Gesundheitsrefom: Wie ein krankes System gesunden soll

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Bund, Länder und Kassen sind sich einig: Die Kosten werden reduziert, die Versorgung soll trotzdem besser werden. Geht das überhaupt? Die Gesundheitsreform soll spätestens 2014 in Kraft treten.

Acht Stunden brüteten die Verhandler von Bund, Ländern und Sozialversicherungen am Dienstag über den letzten Details – am späten Nachmittag war das Konzept fertig und die Gesundheitsreform beschlossene Sache. In Kraft treten wird sie am 1.Jänner2014. Was sie dem Steuerzahler und dem Patienten bringt, und wen sie verärgert: Im Folgenden die Antworten auf die zehn wichtigsten Fragen.

1 Warum braucht es eine Reform des Gesundheitssystems?

Weil der Kostendruck zu groß, oder besser das System unleistbar geworden ist. Die öffentlichen Gesundheitsausgaben wachsen seit 1990 um durchschnittlich 5,2 Prozent im Jahr und damit stärker als das BIP. Mit der Reform wird der Kostenanstieg an das (prognostizierte) BIP-Wachstum gekoppelt.

2 Was sind die Gründe für diese Entwicklung?

Die Demografie, der medizinische Fortschritt, vor allem aber die Bürokratie: Die Spitäler werden derzeit von den Ländern verwaltet, die Arztpraxen (Kassenstellen) von den Sozialversicherungen. Eine gemeinsame Planung gab es nicht – stattdessen werden die Patienten vom einen in den anderen Bereich verschoben. Mit dem Effekt, dass Krankheiten, die ambulant behandelt werden könnten, vielfach im teureren Krankenhaus behandelt werden. Das zeigt auch die Statistik: Mit 7,7 Spitalsbetten pro 1000Einwohner liegt Österreich im internationalen Spitzenfeld, deutlich vor europäischen Reformvorbildern wie Schweden (2,8), Norwegen (3,3) oder Holland (4,7).

3 Wie viel Steuergeld soll in (naher) Zukunft eingespart werden?

Die Verhandler meiden das Wort Einsparungen. Sie sprechen von Kostendämpfungen, was im Grunde auch richtig(er) ist: 2016 soll das Gesundheitssystem um 3,4 Milliarden Euro weniger verschlingen als (bisher) erwartet. Gut zwei Milliarden müssen die Länder aufbringen, der Rest entfällt auf die Sozialversicherungen. Einschnitte in der Versorgung, wie sie die Ärztekammer prophezeit, soll es nicht geben – ganz im Gegenteil, wird betont.

4 Wie soll das gelingen – oder: Was sind die Eckpunkte der Reform?

Länder und Sozialversicherungen sollen künftig kooperieren; Spitäler und Kassenpraxen werden gemeinsam geplant – in den neun Landeszielsteuerungskommissionen. Diese Gremien legen die Versorgungsstrukturen für das jeweilige Land fest: Welches Angebot fehlt in dieser und jener Region? Und wo gibt es ein Überangebot? Der Bund hat ein Vetorecht, falls ein Beschluss gegen seine Vorgaben verstößt.

Effizienter und damit billiger soll das System auch in der alltäglichen Praxis werden. Derzeit wird ein Drittel der verschriebenen Medikamente gar nicht eingenommen. Hinlänglich bekannt sind auch die Klagen über Doppel- und Dreifachbefundungen. In diesem Sinne ist ELGA, die Elektronische Gesundheitsakte, als Vorleistung bzw. Teil der Reform zu verstehen.

5 Welche Verbesserungen sind aus Sicht des Patienten zu erwarten?

Wenn der niedergelassene Bereich, wie versprochen, ausgebaut wird, profitiert nicht nur der Steuerzahler, sondern auch der Patient: Ordinationen und/oder Gruppenpraxen sollen vermehrt abends und an Wochenenden geöffnet haben, damit die Spitalsambulanzen entlastet werden. Das führt im besten Fall zu geringeren Wartezeiten und kürzeren Anfahrtswegen.

6 Müssen deshalb Krankenhäuser geschlossen werden?

Nicht unbedingt. Aber einzelne Stationen werden wohl aufgelassen oder umstrukturiert. Aus Akutabteilungen könnten Pflegestationen werden. Möglich ist auch, dass in manchen Regionen zwar im Schwerpunktkrankenhaus operiert wird. Die Nachbehandlung findet dann aber anderswo statt.

7 Wer gibt die überregionalen Ziele vor – und wer kontrolliert sie?

Die maßgeblichen Entscheidungen werden in der Bundeszielsteuerungskommission getroffen, in die Bund, Länder und Sozialversicherungen je vier Vertreter entsenden. Das Gremium gibt die (Kosten-)Ziele vor, deren Einhaltung wird von der Gesundheit-Österreich-Gesellschaft überwacht.

8 Können Sanktionen verhängt werden?

Ja, denn die Reform ist eng mit dem Stabilitätspakt verknüpft. Für Länder und Kassen gilt: Wer sich nicht an die Vorgaben hält, muss die Mehrkosten selbst tragen.

9 Warum ist die Ärztekammer gegen die Gesundheitsreform?

Weil sie an Einfluss verliert. Die Reform wurde zwischen Bund, Ländern und Kassen ausverhandelt – den Finanziers (obwohl das eigentlich die Steuerzahler sind). Nach dem Motto: Wer das Geld verwaltet, schafft an. Die Ärzte werden als eine Gruppe von mehreren „Gesundheitsdienstanbietern“ gesehen, die allesamt nicht eingebunden wurden. Man darf gespannt sein, wie die Kammer reagiert: Sie hat mit Streiks im Jänner gedroht, wenn ihre Forderungen (unter anderem deutlich geringere Einsparungen) nicht erhört werden. Das wurden sie nicht.

10 Wann und wie wird der Reformvorschlag Gesetz?

Die Bund-Länder-Verträge werden am 19.Dezember von der Landeshauptleutekonferenz beschlossen. Der Nationalrat und die Landtage sollen im Laufe des nächsten Jahres zustimmen, damit die Reform spätestens 2014 in Kraft treten kann.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.12.2012)

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