Erwin Buchinger: "Mehr Pflegegeld ist am wichtigsten"

Erwin Buchinger
Erwin BuchingerClemens Fabry
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Der Behindertenanwalt warnt im "Presse"-Interview, die Pflegereform schreibe „politisches Elend“ fort. Buchinger stellt die Lockerung des Kündigungsschutzes für Behinderte infrage.

„Für die Leute am wichtigsten wäre eine Valorisierung des Pflegegeldes.“ Für Erwin Buchinger, den früheren Sozialminister (SPÖ) und jetzigen Behindertenanwalt des Bundes, fehlt in dem von seinem Nachfolger Rudolf Hundstorfer (SPÖ) zuletzt vorgestellten Reformplan für die Pflege damit ein „entscheidender Punkt“, wie er im Interview mit der „Presse“ betont. Er wisse, dass eine Erhöhung schwierig sei. Zuletzt wurde gegen Ende von Buchingers Amtszeit als Minister 2008 das Pflegegeld mit Wirksamkeit gestaffelt angehoben. „Wird das Pflegegeld valorisiert, wäre das Finanzierungsproblem für die Länder minimiert“, prognostiziert Buchinger. Denn Betroffene könnten dann selbst höhere Kosten tragen.

Er vermisst im Reformplan für die Pflege einen zweiten Punkt. Wie „Die Presse“ am 20. Dezember berichtet hat, gibt es für Menschen, die auf Pflege angewiesen sind, regional stark differierende Angebote. Genau da hakt die Kritik des Bundesbehindertenanwalts ein: „Derzeit ist die Situation zwischen den Bundesländern völlig unterschiedlich.“ Diesbezüglich sehe er „zu wenig konkrete Hinweise“ für Änderungen in dem Papier. So müssten beispielsweise Mindesterfordernisse überall festgeschrieben werden.

Die Folge: „Da ist der Zufall der Wohnsituation entscheidend“, also in welchem Bundesland jemand lebt. Es gebe sogar Probleme, wenn eine Person in einem Bundesland wohnt und arbeitet und seine pflegebedürftigen Eltern in einem anderen Bundesland daheim sind. Lösungen seien dann „in jedem Einzelfall ein mordsmäßiger Aufwand“, beklagt der Behindertenanwalt.

„Sicher kein großer Wurf“

Insgesamt kommt Buchinger, der anders als Länder-, Sozialversicherungs- und Interessenvertreter nicht in die Erstellung des Pflegekonzepts eingebunden war, zu dem Befund: „Das Konzept birgt keine großen Überraschungen und ist sicher kein großer Wurf.“ Das Papier spiegle vielmehr „das Elend der politischen Situation“ zwischen Bund, Sozial- und Finanzlandesräten wider. Denn die Finanzlandesräte seien nicht eingebunden. „Im Wesentlichen ist es eine Zusammenfassung bestehender Diskussionsergebnisse auf dem Niveau von Überschriften.“ Auch bei der Finanzierung seien mit der Festlegung, zusätzliche Mittel durch Steuern statt über eine Versicherung aufzubringen, Lösungen nur „angedeutet“ worden. Am Christtag wurde Bundeskanzler Werner Faymann bei einem Pflegeheimbesuch in Wien deutlicher: Er bekräftigte die Forderung, mit der Wiedereinführung der Erbschaftssteuer auch Geld für die Pflege aufzutreiben.

Beschwerden wegen strengerer Regeln

Für die Auszahlung von Pflegegeld wurden bereits Anfang 2011 strengere Auflagen in den beiden untersten Stufen I und II eingeführt. Inzwischen hätten zahlreiche Betroffene Beschwerde eingebracht, vor allem, weil die Anspruchsvoraussetzungen für den Zugang zur niedrigsten Stufe und damit zum Pflegegeld verschärft wurden. Für Behinderte seien zahlenmäßig „die generell schlechteren Bedingungen für behinderte Menschen auf dem Arbeitsmarkt“ das Hauptproblem. Daher seien zusätzliche arbeitsmarktpolitische Aktivitäten notwendig.
Konkret rät Buchinger zur Vorsicht wegen der Anfang 2011 erfolgten Ausdehnung der Wartezeit auf den Kündigungsschutz für Behinderte. Statt nach sechs Monaten gilt der besondere Kündigungsschutz seither erst nach einer Wartefrist von vier Dienstjahren. Buchinger drängt auf eine Evaluierung durch das Sozialministerium: „Die Signale, die ich als Behindertenanwalt bekomme, zeigen, dass sich die Beschäftigungssituation für Behinderte durch die Ausdünnung des Kündigungsschutzes nicht verbessert hat.“

Appell an „Sensibilität“ der Jugendämter

Besonders liegt Buchinger am Herzen, dass die Praxis von Jugendämtern, behinderten Eltern „relativ rasch“ die Obsorge für Kinder zu entziehen, verbessert wird. „Für die Betroffenen sind das ganz, ganz große Probleme.“ Derzeit können die Jugendämter bei Gefahr im Verzug sofort die Abnahme eines Kindes anordnen. Eine Änderung gebe es „offensichtlich nur, indem man bei den Jugendämtern ein bisschen mehr Sensibilität schafft, dass die besondere Situation auch berücksichtigt wird“, erläuterte Buchinger. Er hoffe, dass es durch das neue Familienrecht künftig schnellere Entscheidungen gebe.

Zur Person

Erwin Buchinger wurde am 25. Dezember 57 Jahre alt. Der gebürtige Mühlviertler ist vorerst bis Ende 2013 Behindertenanwalt des Bundes. Von Jänner 2007 bis Dezember 2008 war der SPÖ-Politiker in der Regierung Gusenbauer Sozialminister, davor war er Landesrat in Salzburg. In beiden Funktionen hat er die Pläne für eine soziale Mindestsicherung massiv vorangetrieben, die von seinem Nachfolger im Sozialressort, Rudolf Hundstorfer (SPÖ), mit September 2010 umgesetzt wurden.

(Printausgabe, 27.12.2012)

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