Bürokratie-Dschungel: Behinderte im Kreis geschickt

Bürokratie-Dschungel
Bürokratie-Dschungel(c) Clemens Fabry
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Bis zu 16 Stellen sind zuständig, wenn Menschen mit sozialen Problemen Unterstützung benötigen. Der Rechnungshof kritisiert die Tücken der Verwaltung.

Wien/Graz/Ett. Jeder Politiker redet mittlerweile von Bürokratieabbau und Vermeidung von Doppelgleisigkeiten. Die Realität sieht für viele Betroffene noch immer ganz anders aus. Auch im Sozialbereich müssen sich Menschen mit Behinderung, Krankheit und/oder finanziellen Schwierigkeiten erst durch die Verwaltung durchkämpfen, weil weder Bund noch Länder Kompetenzen abtreten wollten. So gibt es „für Menschen mit Behinderungen bis zu 16 Ansprechpartner“, wie der Rechnungshof jetzt in einem aktuellen Bericht über das zum Sozialministerium gehörende Bundessozialamt und die Sozialabteilung des Landes Steiermark bemängelt.

Die Beanstandungen stehen exemplarisch dafür, wie Betroffenen de facto im Kreis herumgeschickt werden und der Verwaltungsapparat wegen vieler Parallelitäten teuer kommt. Gleichzeitig besteht wenig Hoffnung auf zügige Änderungen. Bundeskanzler SPÖ-Chef Werner Faymann hat sich zwar zu Weihnachten für einen Abbau dieser Unterschiede ausgesprochen. In dem erst vor wenigen Tagen vorgelegten Bericht zur Reform der Pflege findet sich jedoch nur ein recht vages Bekenntnis zu einer „Harmonisierung“ der unterschiedlichen Systeme und Angebote.

Was Menschen, die etwa für ihre Eltern um Pflegegeld oder Förderungen ansuchen, im privaten Gespräch schildern, bestätigt sich im nüchternen Befund der Rechnungshof-Prüfer. So werden ausgerechnet Behinderte regelrecht im Kreis geschickt: „Im Förderungsverfahren gab es sieben mögliche Stellen (Bezirksverwaltungsbehörde, Bundessozialamt, AMS, Pensionsversicherungsträger, Unfallversicherungsträger, Amt der Landesregierung, Finanzamt). Und weiter: „Es traten bis zu fünf verschiedene Gutachter auf (solche des Vereins zur Feststellung des individuellen Hilfsbedarfs, des Bundessozialamtes, des AMS Steiermark und der PVA sowie Amtsärzte).“ Die tatsächlichen Leistungen, beispielsweise Lohnförderungen, wurden über die Trägerorganisationen für die Maßnahmen beziehungsweise über den Arbeitgeber bezahlt.

Für Betroffene war es allerdings noch komplizierter, wie der Rechnungshof penibel auflistet. Denn „für jede Leistungsart kamen in der Regel mehrere Maßnahmenträger infrage, die spezifische Unterschiede aufwiesen“.

Selbst das Land Steiermark trat den Betroffenen gleich in mehreren Funktionen gegenüber: etwa für Behindertenbeihilfe oder soziale Mindestsicherung. Die Dienstgeber haben mit diesem bürokratischen Hürdenlauf ebenfalls keine Freude: Auch die Arbeitgeber „nahmen die Vielzahl der Akteure als Nachteil wahr“, wie eine Befragung im Zuge eines Projekts zeigte. 84 Prozent der Arbeitgeber gaben dabei an, die Schaffung einer zentralen Anlaufstelle wäre Voraussetzung für eine erfolgreiche Beschäftigung von Menschen mit Behinderung. Kritik an der Zersplitterung kam auch von den Behindertenorganisationen. Die Antwort des Sozialministeriums auf eine Empfehlung des Rechnungshofes lässt kaum eine baldige Änderung der Situation erwarten. Das Ministerium verwies in seiner Stellungnahme nämlich darauf, „dass das Behindertenwesen aufgrund der Kompetenzverteilung eine Querschnittsmaterie darstelle“. Unter seiner Federführung seien „laufend Abstimmungs- und Steuerungsprozesse“ im Gange, wurde im Ressort von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) mitgeteilt.

Kritik an mangelnder Effizienz

Dabei hielt das Kontrollorgan fest, dass das Bundessozialamt und die Länder seit dem Jahr 2002 versuchten, eine Entflechtung ihrer Aufgaben zu erreichen. Offensichtlich mit geringem Erfolg: „Dennoch bestand im Jahr 2010 eine komplexe Verflechtung ihrer Tätigkeiten“, wird jetzt im Rechnungshof-Bericht bemängelt.

Das Kontrollorgan hegt massive Zweifel an einem effizienten Einsatz der Mittel: „Das Bundessozialamt und das Land Steiermark betreuten weder idente, noch klar unterschiedene, sondern einander überschneidende Zielgruppen.“ Die Folge: Behinderte wurden vom jeweiligen Amt neu eingeschätzt. Das führte nicht nur zu einem erhöhten Verwaltungsaufwand – und somit naturgemäß zu höheren Kosten –, sondern auf der anderen Seite bei den betroffenen Menschen auch zu „Unsicherheiten und Mehrfachgutachten“. Eine Vereinheitlichung war zwar in einer Arbeitsgruppe „angedacht, aber nicht umgesetzt worden“.

Mitunter machten sich die Sozialeinrichtungen des Bundes und das Landes das Leben gegenseitig noch schwerer. Das zeigte sich beim Mobilitätszuschuss für Behinderte. Dafür war die Eintragung „Unzumutbarkeit der Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel“ im Behindertenpass nach einer vorhergehenden Begutachtung nötig.

Allerdings: Dieser Eintrag berechtigte nicht zum Parken auf Behindertenparkplätzen. Denn dafür war – erraten – ein eigener Parkausweis nach der Straßenverkehrsordnung samt eigener Begutachtung notwendig. Um Doppelgutachten zu vermeiden, erkannte das Bundessozialamt den Parkausweis als Nachweis für die Unzumutbarkeit öffentlicher Verkehrsmittel an, obwohl dafür andere Voraussetzungen galten. Die skurrile Folge: „Auch Personen, die beim Bundessozialamt bereits abgewiesen worden waren, erreichten so eine Zuerkennung von Leistungen.“

Auf einen Blick

Bis zu 16 Stellen sind für Menschen mit Behinderung zuständig, kritisiert der Rechnungshof. Das Sozialministerium verteidigt den Zustand: Das Behindertenwesen sei eine Querschnittsmaterie. Die Abstimmungsprozesse würden aber laufend verbessert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.01.2013)

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