Wolfgang Eder: "Die Jugend muss radikaler werden"

Wolfgang Eder Jugend muss
Wolfgang Eder Jugend muss(c) APA ROBERT JAEGER (ROBERT JAEGER)
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Die Republik braucht Bilanzierungsregeln wie ein Konzern, fordert der Chef der Voestalpine, um Skandale wie in Salzburg zu vermeiden. Hohe Lohnkosten und teure Sozialsysteme bringen Europa ins Hintertreffen.

Österreich steht heuer ein Superwahljahr bevor. Bei der Nationalratswahl geht es auch um wirtschaftspolitische Weichenstellungen. Was erwarten Sie von der neuen Regierung?

Wolfgang Eder: Es geht um die Restrukturierung des Landes. Es kann nicht sein, dass wir nach 250 Jahren maria-theresianischer Verwaltungsstrukturen noch immer so tun, als ob sie die besten wären. Ich finde es gut, dass man jetzt in der Steiermark daran geht, Gemeinden und Bezirke zusammenzulegen. Das ist der richtige Ansatz, es fehlt aber das gesamtösterreichische Konzept. Wir brauchen eine zeitgemäße Verwaltung, wenn wir die Staatskosten in den Griff bekommen wollen. Zum anderen geht es um das Pensionssystem, vor allem um die Erhöhung des Antrittsalters. Was jetzt passiert, geht zulasten der nächsten Generationen. Ich halte das für unverantwortlich.

Können wir uns das noch leisten?

Wir haben zwar das wünschenswerteste, weil breiteste Sozialsystem, aber wir sind dabei, es uns nicht mehr leisten zu können. Ich bin für eine bestmögliche Versorgung, aber die Systeme sind hypertroph und nicht darauf ausgerichtet, dass die Menschen heute viel älter werden. Wir erreichen bald einen Punkt, wo die Steuern so hoch sind, dass die Menschen und die Unternehmen einfach nicht mehr mitmachen. Wir liegen mit unserer Steuerquote in Europa unter den Top drei. Eine Folge davon ist zunehmend, dass wir viele gut ausgebildete junge Leute verlieren. Auch das können wir uns nicht leisten.

Stichwort Föderalismus: Wir haben einen riesigen Finanzskandal in Salzburg. Jetzt wird ein Spekulationsverbot gefordert oder, die Bundesländer ganz abzuschaffen...

Ein börsenotierter Konzern wie die Voestalpine muss bis zur kleinsten Tochtergesellschaft strenge Bilanzierungsvorschriften einhalten. Für den größten Konzern Österreichs, die Republik, gelten solche Vorschriften nicht. Warum kann man nicht die Prinzipien des Konzernrechnungswesens auf den Staat übertragen? Ich halte es für unerträglich, über die wahre Finanzsituation Österreichs nicht Bescheid zu wissen. Mir soll niemand erzählen, dass das nicht geht, das ist eine Frage des Willens. Vielleicht führen die letzten Ereignisse dazu, dass man sich auf oberster politischer Ebene dazu durchringt. Transparenz herzustellen.

Wäre Salzburg eine börsenotierte Firma – wären die Spekulationen nicht passiert?

Ich will nicht alle börsenotierten Unternehmen als vorbildlich hinstellen, aber eines ist klar: Aufgrund der vielen Kontrollinstanzen wäre man viel früher auf Unregelmäßigkeiten aufmerksam geworden. Wir haben im Konzern de facto ein Spekulationsverbot. Als Konzernvorstand verwalte ich fremdes Geld. Damit muss ich noch sorgfältiger umgehen als mit dem eigenen. Jede Gebietskörperschaft verwaltet auch fremdes Geld, unser Steuergeld. Warum sollen dort nicht dieselben Regeln gelten?


Trotz des Skandals und der Korruptionsaffären gewinnt man den Eindruck, dass die Regierung vorrangig wichtige Positionen in staatsnahen Betrieben besetzt...

Ich mache kein Hehl daraus, dass der 31. August 2005 der schönste Tag in meinem Berufsleben war, als der Staat die letzte Voest-Aktie verkaufte. Wir sind seither ein freies Unternehmen, nur den Aktionären, Mitarbeitern und Kunden verantwortlich. Zur Vergangenheit möchte ich nichts mehr sagen.

Sie möchten auch nie mehr Manager in einem verstaatlichten Konzern sein?

(Lacht.) Es ist für mich nicht vorstellbar, beruflich nach Kriterien abseits der unternehmerisch relevanten beurteilt zu werden. Das ist im staatlichen Bereich aber der Fall.

Reizt es Sie, in die Politik zu gehen?

Das können andere besser.


Es heißt doch, es gibt zu wenig Manager in der Politik. Stronach ist einer der wenigen...

Er hat das Sendungsbewusstsein und den monetären Hintergrund.

Was trauen Sie Stronach zu?

Ich kenne ihn persönlich nicht und möchte ihn daher nicht beurteilen.

In anderen Ländern wie den USA ist die Durchlässigkeit zwischen Wirtschaft und Politik größer. Stößt Manager hierzulande ab, dass Politik als korruptes Geschäft gilt?

Die Politik ist nicht generell korrupt, wir haben auch in Österreich hervorragende Politiker. Schwarze Schafe gibt es überall. Aber es stimmt, dass in Österreich wenig Unternehmer und Freiberufler in der Politik sind. Das hängt mit der Sozialpartnerschaft, mit den Kammern und ihren Vorfeldorganisationen zusammen, die auch die Besetzung des Nationalrats stark beeinflussen. Es ist aber auch eine Zeitfrage, Beamte tun sich leichter, sich karenzieren zu lassen. Faktum ist, dass Berufsgruppen wie die Landwirtschaft und der Staatsdienst überproportional im Parlament vertreten sind, die Industrie dagegen sehr schwach.

Im Europaparlament ist das nicht anders. Was bedeutet das für den Standort Europa?

Faktum ist, dass der steigende Wohlstand die Industriegesinnung zurückgedrängt hat. Die Propheten der Dienstleistungsgesellschaft glauben, man könnte eine Gesellschaft auch unter weitgehendem Verzicht auf die Industrie mit dem heutigen Wohlstandsniveau weiterführen. Dieses Dienstleistungsparadies funktioniert aber nicht. Dienstleistung brauche ich nur dort, wo ich eine industrielle Basis habe. Das reicht von Logistik über IT bis zum Engineering. Man kann mir vorwerfen, ich sehe das nur mit der Industriebrille. Aber schauen Sie nach England und in die USA: Dort sieht man, was passiert, wenn die Industrie zurückgedrängt wird. Die Arbeitslosigkeit ist hoch, die sozialen Unruhen steigen, es entwickeln sich politische Extrempositionen. Deshalb betreiben die USA jetzt ganz massiv die Reindustrialisierung und holen sich mit attraktiven Incentives in ihren Branchen führende Unternehmen ins Land. England, wo die Industrie nur mehr rund zehn Prozent am BIP hat, wird diese Umkehr nicht mehr schaffen.

Was ist mit dem restlichen Europa?

Wir tun so, als ob nie etwas schiefgelaufen wäre. Wir sind aber dabei, den Fehler, den die zwei Länder gemacht haben, als Dritter zu machen. Es gibt zwar in Europa Ansagen in Richtung Forcierung der Industrie, das sind jedoch nur schöne Worte. Es fehlen die Taten, es gibt keine Milliarden-Incentives, dafür im Jahrestakt neue Auflagen. Damit wird der Entindustrialisierungszug in Europa nicht aufzuhalten sein. Die Stahlindustrie ist nicht die erste, die weggeht, die Chemieindustrie ist weiter, auch die Autoindustrie.


Auch die Voest geht weg, Sie planen ein großes Werk in Nordamerika...

Wir investieren gut 500 Mio. Euro in den USA oder Kanada. Wir bauen auch Werke in China und Südafrika.

Ist der Grund die Schiefergas-Revolution in den USA, die die Energie deutlich verbilligt?

Der Schiefergas-Boom gab nur den letzten Anstoß. Es ist eine Summe an Fakten: In Europa kostet die Megawattstunde Gas 25 bis 35 Euro, in den USA 8,50 Euro. Bei Strom liegen wir in Österreich bei 60 Euro pro MWh, in den USA bei 40 Euro. Industriegrundstücke kosten hier und in der EU 100 bis 200 Euro pro Quadratmeter, in den USA zehn Euro. Ein Facharbeiter kostet in Oberösterreich 49.000 Euro pro Jahr, im Süden der USA 37.000 Euro. Die Umweltstandards sind in den USA wie in Europa, nur CO2 ausgenommen. Da geht man einen anderen Weg.

In Linz würden Sie also keine große neue Fabrik bauen?

Nein, das Werk wäre im laufenden Betrieb um mindestens 15 Prozent teurer.

Warnende Stimmen meinen, der Schiefergas-Boom verführt die USA wieder zur Energieverschwendung und in 20 Jahren ist erneut alles vorbei...

Das glaube ich nicht, weil der globale Kostendruck zu groß ist.

Bei Lohn- und Sozialkosten kann Europa ohnedies nicht mithalten. Welche Chance bleibt uns noch?

Wir müssen nicht die gesamte Kostendifferenz von 25 Prozent kompensieren, aber die Hälfte. Wir haben in Europa noch einen Know-how-Vorsprung und eine andere Einstellung zur Arbeit. Auch die Facharbeiterausbildung ist deutlich besser. Das kompensiert teilweise den Kostennachteil. Wir müssen aus der Verwaltung und dem Sozialsystem die „nice to haves“ herausbringen.


Wie viel Korrektur ist notwendig?

Der überflüssige Speck muss weg. Deshalb müssen wir konsequent an allen Schrauben drehen. Wenn wir das schaffen, müssen wir unser Gesellschaftssystem nicht grundlegend infrage stellen. Dazu braucht es natürlich Politiker mit Führungsqualitäten.

Haben wir die in Österreich?

Wir haben hier sehr gute Unternehmen, die extrem mutig sind. Warum soll das in der Politik nicht gehen? Man müsste sich nur von den wöchentlichen Meinungsumfragen lösen und davon, immer everybody's darling sein zu wollen. Ein gutes Beispiel ist die deutsche Kanzlerin Angela Merkel: Sie hat unpopuläre Maßnahmen gesetzt, das war kurzfristig ein Nachteil für sie. Jetzt, wo Deutschland damit reüssiert, hat sie tolle Werte. Die Menschen verstehen und belohnen es, wenn man über unpopuläre Maßnahmen letztlich ihre Zukunft absichert.


Bei Unternehmen ist das ja nicht anders?

Nein. Ich erinnere mich gut an die Krise 2008/09. Wir haben den Mitarbeitern jeden Monat gesagt, wir können Kurzarbeit und einen Jobabbau nicht ausschließen. Mich hat dennoch niemand beschimpft, die Menschen haben das verstanden. Man hätte auch in der auslaufenden Legislaturperiode die Chance gehabt, härtere Maßnahmen zu setzen. Es geht nicht um die jetzt 60-, 70-Jährigen, sondern um die 15-, 20-, 25-Jährigen. Eigentlich muss man hoffen, dass die Jugend wieder radikaler wird und massiver Maßnahmen einfordert, die ihre Zukunft sichern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.01.2013)

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