Drogenkonsum in Österreich: Straftat oder Krankheit?

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Drogenkonsum oesterreich Straftat oder c Dapd Ronald Zak
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Es begann mit einer missverständlichen Presseaussendung des Innenministeriums - und endete mit einer hitzigen Debatte. Das tatsächliche Problem, nämlich die Verschreibepraxis von Drogenärzten, geht dabei unter.

Wien. Vor drei Monaten stellte das Innenministerium seine neue Anti-Drogen-Strategie vor. Damals interessierte das in der Öffentlichkeit – fast – niemanden.

Seit Dienstag ist das anders. Zwischen Boden- und Neusiedler See ist eine heftige Debatte entbrannt: Innenministerin Johanna Mikl-Leitner, so der Vorwurf, fordere in ihrer Drogenstrategie das Verbot der Heroin-Ersatztherapie, der sogenannten Substitution. Ärzte, Sozialarbeiter, Politiker und auch Medien sehen in dem Vorstoß einen gesundheitspolitisch fahrlässigen Akt. 17.000 von geschätzten 34.000 Heroinsüchtigen erhalten derzeit in Österreich Medikamente aus der Apotheke anstatt Stoff vom Dealer. Ein Verbot der weltweit anerkannten Therapieform, so die Ärztekammer Niederösterreich, würde nur in ihrem Bundesland zu 100 Toten führen.

Allein: Die Proteste beruhen auf der falschen Wiedergabe einer inhaltlich missverständlich formulierten Presseaussendung des Innenressorts. „Weg von Drogenersatzstoffen“, heißt es dort in einer Überschrift.

Substitutionsverbot nie geplant

Obwohl Mikl-Leitner in der Pressekonferenz im November präzisierte („Wir wollen die Substitution nicht abschaffen“), brachte das Ö1-„Mittagsjournal“ am Dienstag eine Geschichte über die angebliche Forderung der Ministerin nach einem Verbot. Der „Standard“ griff die Debatte auf und zitierte eine Reihe prominenter Drogenexperten, die den (angeblichen) Vorstoß heftig kritisierten – in der Sache objektiv, im Ton emotional. Auch die Austria Presse Agentur (APA) wollte sich der medialen Kettenreaktion nicht mehr entziehen und veröffentlichte eine Reihe von Artikeln, in denen Experten und Politiker das angeblich geplante Verbot ablehnten. Nur Gabriele Fischer, Doyenne der Suchttherapie am Wiener AKH, kam die Angelegenheit seltsam vor. Gegenüber „derstandard.at“ bezeichnete sie es als geradezu „absurd“, eine anerkannte Behandlungsform für Schwerstkranke zu verbieten. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das jemand ernsthaft überlege.

Tatsächlich tut das in Österreich niemand. Auch nicht das Innenministerium, dem die verunglückte Aussendung vom November trotzdem peinlich genug war, um sie am Donnerstag von der Webseite des Hauses zu nehmen. Und drei Monate nach ihrem ersten Dementi sagte Mikl-Leitner erneut: „Wir wollen die Substitution nicht abschaffen.“ Die heftigen Reaktionen auf ihre Kritik am österreichischen System der Heroinsubstitution zeigen aber, dass etwas nicht stimmt.

Die Emotionalität des Diskurses hängt unter anderem damit zusammen, dass Hinweise auf Probleme und Vorschläge zur Verbesserung der Drogensubstitution vom Mainstream der Experten fast immer als reaktionär und rückständig abgetan werden. Unterm Strich bleibt – wie so oft – eine Auseinandersetzung vermeintlich liberaler und restriktiver Ideologien. Die einen, so das Klischee, wollen nur helfen, verstehen und Schäden minimieren. Die anderen aus Kranken Straftäter machen.

Dass Kritik nicht nur ideologisch verbrämt, sondern auch richtig sein kann, geht dabei unter. Niemand scheint bereit, der jeweils anderen Seite zuzuhören. Nur fünf Prozent aller Substituierten, sagt das Innenministerium, kommen irgendwann weg vom Heroin. Für die kritisierten Experten ist das kein Problem, schließlich sei Sucht eine chronische Krankheit. Stimmt, nur wie ist es zu erklären, dass nach einer Studie des Berliner Gesundheitsministeriums in Deutschland immerhin zehn bis 20Prozent der Patienten die Droge dauerhaft hinter sich lassen?

Verschreiben gegen das Gesetz?

Der Grund liegt in der Verschreibepraxis von Österreichs Drogenärzten. 55Prozent der 17.000 Substituierten bekommen eine weltweit geächtete Substanz (retardiertes Morphin), die Heroin sehr ähnlich ist. Eine Substanz, die deshalb häufig am Schwarzmarkt landet, missbräuchlich intravenös gespritzt und so gefährlicher als Heroin selbst wird. Inzwischen gehen 88Prozent der Kosten der Kassen für Heroinersatz in retardiertes Morphin, obwohl die Substanz laut Gesetz eigentlich nur in Ausnahmefällen (Unverträglichkeit) verschrieben werden dürfte.

Die Folgen zeigt ein Vergleich mit dem Ausland. Substitution ist weltweit anerkannt, weil sie wirkt, die Sterblichkeit senkt, Hepatitis-, HIV-Infektionen und Überdosierungen vermeidet. Im bevölkerungsmäßig zehn Mal größeren Deutschland, wo retardiertes Morphin nicht zugelassen ist, sank die Zahl der Drogentoten seit dem Jahr 2000 – auch dank der Substitution – von 2030 pro Jahr auf zuletzt 986. In Österreich das umgekehrte Bild: Im gleichen Zeitraum stieg die Opferzahl von 167 auf 201. Und das, obwohl immer weniger Drogen-Verdachtsfälle per Obduktion untersucht und bestätigt werden.

Das größte Problem mit der Substitutionstherapie in Österreich liegt jedoch im Ablauf der Behandlung. Die volle Wirkung entfaltet die Therapie nämlich nur mit begleitender psychosozialer Betreuung. Laut dem Gerichtspsychiater und Suchtmediziner Reinhard Haller bekommen eine solche Begleitung jedoch gerade einmal zehn Prozent der Betroffenen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2013)

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