Volksanwaltschaft: "Unsäglich, was man da erlebt"

Peter Kostelka
Peter Kostelka(c) Clemens Fabry
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Der scheidende Volksanwalt und ehemalige SPÖ-Klubobmann Peter Kostelka sieht im Föderalismus den größten Reformbedarf.

Die Presse: Im Rahmen der Diskussion um ihre Nachfolge wurde die Volksanwaltschaft oft als „politisches Ausgedinge“ bezeichnet. Wie lebt es sich denn in diesem Ausgedinge?

Peter Kostelka: Das ist eine unfaire und falsche Betrachtungsweise. Auf die Idee kann nur jemand kommen, dem Menschenrechte nicht am Herzen liegen. Die Volksanwaltschaft kontrolliert seit 2012 als zentrale Menschenrechtsagentur Österreichs auch alle Anhaltesituationen von Gefängnissen bis zur Psychiatrie. Das kann man doch nicht als Ausgedinge betrachten.

Im Zuges dieser Kompetenzausweitung gab es auch Kritik am Bestellungsmodus, dass die drei stärksten Parteien jeweils einen Volksanwalt bestellen dürfen. Ist das noch zeitgemäß?

Diese Methode ist weltweit atypisch, eine Nähe zur Politik gibt es aber überall. Es gibt die Gefahr der Parteipolitisierung, davor muss man sich sehr in Acht nehmen. Das haben die Volksanwälte in der Vergangenheit getan und alle Parteifunktionen zurückgelegt.

Müssen die Volksanwälte denn immer ehemalige Parteifunktionäre sein? Könnte man nicht Parteiferne nehmen, Exrichter oder Uni-Professoren?

Politiker haben den Vorteil intimer Kenntnis des Systems – und weniger Probleme, politisch zu intervenieren, wenn ein Minister seine Administration nicht durchschaut. Der Minister sieht die Welt Top down, die Volksanwaltschaft sieht sie aus Sicht der Bürger und erkennt so Dinge, die er nie sehen würde. Da ist für einen Expolitiker der Weg zum Abstellen solcher Missstände kürzer. Bis ein Universitätsprofessor den Hörer in die Hand nimmt, um den Minister anzurufen und zu sagen, „mit dem Blödsinn ist Schluss zu machen“, dauert es in der Regel ein bisschen.

Also ein Anerkenntnis informeller Kanäle?

Zunächst einmal braucht es den Mut, offizielle Wege zu beschreiten und einem Minister zu sagen, was Sache ist. Das kann ein Expolitiker relativ leicht. Und zu dem Geschäft gehört immer mehr, in der Öffentlichkeit zu stehen. Ein Richter müsste das erst lernen.

Hat sich die Ausweitung der Kompetenzen der Volksanwaltschaft im Vorjahr ausgezahlt?

Die Prüfung von 4200 Anhalteeinrichtungen ist ein mühsamer Prozess, das geht nicht von heute auf morgen. Was jetzt schon auffällt, ist die Unterschiedlichkeit der Praxis in Österreich: In einem Teil wird etwa ein Medikament zur Patientenberuhigung verwendet, das woanders nicht einmal zweite Wahl ist.

Haben sich die Beschwerden an die Volksanwaltschaft durch die Finanzkrise eigentlich geändert?

Ganz klar ist, dass die budgetäre Knappheit rundherum Probleme macht. Dass etwa die Belastung der Beamtenschaft noch weiter zunimmt, sodass diese noch weniger auf den Einzelfall hin agieren.

Sie haben in den vergangenen Jahrzehnten die Republik aus unterschiedlichsten Ämtern erlebt. Wo sehen Sie Reformbedarf?

Das größte Potenzial liegt beim Föderalismus. Wir haben mit dem EU-Beitritt Kompetenzen nach oben abgegeben, das muss innerösterreichisch Konsequenzen haben. Und die Verwaltung muss bürgernäher werden: Während bei der Anlagengenehmigung der One-Stop-Shop selbstverständlich ist, müssen Sie drei, vier Einrichtungen abklappern, wenn Sie einen Rollstuhl brauchen.

Die Verwaltung näher zum Bürger, andererseits mehr Aufgaben an höhere Ebenen übertragen? Das ist doch ein Widerspruch.

Die generell-abstrakten Regeln hat es bundesweit zu geben. Wir prüfen gerade die unterschiedlichen Gesetze zur Heimunterbringung in Österreich – unsäglich, was man da erlebt. Die Dokumentationen von Pflege und Medikation ist völlig unterschiedlich geregelt – was letztlich auch die Vergleichbarkeit verhindert. Regelungen gehören eher nach oben, die Exekutive nach unten.

Wenn Sie zurückschauen und die SPÖ von heute mit jener früherer Zeiten vergleichen: Wie würden Sie die Partei unter Faymann beurteilen?

Die politische Arbeit ist schwieriger geworden. In einer Zeit, in der zwei Parteien 90Prozent der Stimmen hatten, war es natürlich wesentlich leichter. Die Zahl der Parteien im Nationalrat wird wohl eher zunehmen.

Ist das nicht ein Zeichen dafür, dass SPÖ und ÖVP etwas falsch gemacht haben?

Die Dominanz zweier politischer Lager wie in den 1970er-, 80er-Jahren war weltweit eher eine Anomalie. Diese Dominanz war wohl weder natürlich noch gut, die neue Heterogenität im Parlament spiegelt wahrscheinlich eher die Meinung der Bürger wider – macht aber auch die Kompromissfindung schwierig. Das ist ein gesunder Normalisierungsprozess, der zur Folge hat, dass Österreich heute ist, was es 1945 nur in Anfängen war: eine funktionierende, echte Demokratie.

Auf einen Blick

Seit Juli 2001 ist Peter Kostelka (66) als Volksanwalt tätig, seine Funktionsperiode läuft mit Ende Juni aus – ihm folgt Günther Kräuter nach. Seine Karriere startete er als Assistent für Staats- und Verwaltungsrecht an der Uni Wien, es folgten politische Tätigkeiten, u.a. als wissenschaftlicher Mitarbeiter im SPÖ-Parlamentsklub, Landesparteisekretär in Wien, Bundes- und Nationalratsmandatar und Beamtenstaatssekretär unter Franz Vranitzky. Vor seinem Wechsel in die Volksanwaltschaft war Kostelka sieben Jahre lang Klubobmann im Parlament, bis er unter Alfred Gusenbauer durch Josef Cap abgelöst wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2013)

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