Befangene Gutachter? Gesetz soll faire Prozesse sichern

Befangene Gutachter Neues Gesetz
Befangene Gutachter Neues Gesetz(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Um sie dreht sich im Strafverfahren alles, doch bestellt werden die Gerichtsgutachter in Österreich vom Staatsanwalt, nicht von einem unabhängigen Richter. Ein neues Gesetz soll mehr Fairness bringen.

Wien. In den spektakulären Wirtschaftsstrafverfahren à la Telekom, Buwog, Meinl oder Immofinanz spielen sie regelmäßig eine tragende Rolle. Aber nicht nur dort – sogar in dem aktuell in Wien laufenden Großprozess um den als Mitglied einer kriminellen Organisation angeklagten früheren „Rotlichtkönig“ Richard Steiner sind sie am Werk: die Gutachter. Doch immer öfter und immer entschlossener werden sie von der Verteidigung abgelehnt. Selbst im Steiner-Verfahren hat der Wiener Anwalt Christian Werner bereits angekündigt, den zum Sachverständigen bestellten Wirtschaftsprüfer Gerhard Altenberger mittels Ablehnungsantrag zu bekämpfen.

Zwar werden derartige Anträge in der Regel vom Gericht zurückgewiesen, aber sie werfen ein Schlaglicht auf die Frage nach Fairness und Waffengleichheit. Grund der Aufregung: Die Sachverständigen, deren Expertisen so manchen Angeklagten hinter Gitter bringen, werden gemäß Strafprozessordnung (StPO) vom Staatsanwalt beauftragt. Also von jener Stelle, die im Prozess auf eine Verurteilung der Beschuldigten hinarbeitet.

Abschied vom „guten alten“ U-Richter

Früher war das anders. Bis zum Inkrafttreten der neuen Strafprozessordnung, Anfang 2008, gab es den Untersuchungsrichter. Der leitete die Ermittlungen. Und bestellte als unabhängiger Vertreter der Gerichtsbarkeit natürlich auch die Gutachter. Wenn sich heutzutage ein Richter in die Ermittlungen einbringt, dann meist „nur“ bei Eingriffen in Grundrechte, Beispiel: als „Haftrichter“ bei Verhängung der U-Haft. Leiter der Ermittlungen ist nun eben der Staatsanwalt. Dieser ist zwar zur Objektivität verpflichtet, dennoch zieht er – wenn er Anklage einbringt – mit jenem Gutachter vor Gericht, der ihn schon im Vorverfahren begleitet hat, dessen Arbeit die Anklage überhaupt erst ermöglicht hat. So wird aus einem Gutachter quasi ein „Zeuge der Anklage“. Wird sich etwas ändern? Höchstwahrscheinlich ja. Der Gesetzgeber wird reagieren (müssen). Im Justizministerium bereitet man sich bereits auf eine Änderung der Strafprozessordnung vor.

Den Vorzug hat folgende neue Variante: Es bleibt zwar dabei, dass der Ankläger im Rahmen der Ermittlungen den Auftrag an den Sachverständigen erteilt, aber wenn es zur Verhandlung kommt, dann soll die Verteidigung bei Gericht einen Antrag auf Beiziehung eines zweiten Experten stellen dürfen. Dieser soll dann als Gerichtsgutachter die bereits vorliegende Expertise neu prüfen. Mehr noch: „Aus meiner Sicht müsste man auch den Einfluss der Verteidigung bei der Bestellung der Sachverständigen verstärken“, sagt Christian Pilnacek, Chef der Strafrechtssektion, im „Presse“-Gespräch. Damit demonstriert gerade er, einer der Väter der geltenden StPO, Reformwillen. Konkret schlägt Pilnacek vor, dass Verteidiger künftig einen Gutachter, den die Anklage engagieren will, ablehnen können – und im Gegenzug ihrerseits einen Dreiervorschlag machen dürfen. Auch solle die Verteidigung bei einer Schlussbesprechung mit dem Staatsanwalt und dem Sachverständigen (oft ist das ein Wirtschaftsprüfer) dabei sein dürfen. Und dort unter Beiziehung eines Privatgutachters die Möglichkeit haben, das beabsichtigte Resultat der Expertise infrage zu stellen.

Ob diese Pläne tatsächlich Eingang in ein neues Gesetz finden, hängt auch noch von jenem Unterausschuss zum parlamentarischen Justizausschuss ab, der bis Ende Mai seinen Bericht zur Evaluierung der StPO vorlegen wird. Vor allem aber muss die Entscheidung von ÖVP-Justizministerin Beatrix Karl abgewartet werden. Wie auch immer ihr Reformplan im Detail aussehen wird – in der laufenden Legislaturperiode wird sich eine Beschlussfassung im Nationalrat wohl nicht mehr ausgehen.

OGH als Wegbereiter für die Reform

Den Weg für ein neues „Gutachter-Gesetz“ bereitet auch der Oberste Gerichtshof (OGH). Dessen Präsident, Eckart Ratz, wird in der aktuellen Ausgabe des „Österreichischen Anwaltsblatts“ (2013/05) deutlich: „Eine grundrechtliche Schieflage besteht darin, dass seit Betrauung der Staatsanwaltschaft mit der Leitung des Ermittlungsverfahrens (...) der spätere Ankläger den Sachverständigen im Ermittlungsverfahren bestimmt und führt.“ Dies sei „mit Blick“ auf die europäische Menschenrechtskonvention und die dort verankerten Grundrechte auf Verteidigung „nicht hinzunehmen“.

Geht es hingegen nach den Staatsanwälten, so besteht nicht unbedingt neuer Regelungsbedarf. Es komme den Anklägern doch gar nicht darauf an, ob jemand verurteilt werde oder nicht; Österreich sei nicht Amerika, wo ein Rudolph Giuliani als Staatsanwalt Mafiabosse und Wirtschaftskriminelle überführte und dafür zum Bürgermeister von New York gewählt wurde, meint der Präsident der Staatsanwälte-Vereinigung, Gerhard Jarosch, zur „Presse“.

Hierzulande werde weder die Einstellung eines Verfahrens noch ein Freispruch im Prozess als Misserfolg der Anklage gewertet. Somit würden Gutachter keineswegs in eine bestimmte Richtung – eben in Richtung Verurteilung – gedrängt. Einwenden könnte man die (rhetorische) Frage: Wäre zum Beispiel der Staatsanwalt im Bawag-Verfahren, Georg Krakow, auch dann Kabinettschef im Justizressort geworden, wenn Helmut Elsner aus Mangel an Beweisen freigesprochen worden wäre? (Wäre in diesem Fall Richterin Claudia Bandion-Ortner Justizministerin geworden?)

Die Anwälte sehen naturgemäß sehr wohl Reformbedarf. So spricht sich die Vizepräsidentin der Wiener Anwaltskammer, Elisabeth Rech, klar „für die Zulassung von Privatgutachten im Strafverfahren“ aus. Alternativ dazu tritt sie für die vom Justizressort bevorzugte Variante ein, nämlich die Möglichkeit, den von der Anklage bestellten Spezialisten durch einen Gerichtsgutachter „überprüfen“ zu lassen.

Auf einen Blick

Streit um Waffengleichheit. Was hat das Verfahren um die Telekom-Aktienaffäre mit einem Mafiaprozess um einen ehemaligen Wiener Rotlichtkönig zu tun? Rein inhaltlich gar nichts – aber in beiden Fällen bekämpft(e) die Verteidigung (so wie mittlerweile in vielen großen Strafverfahren) die Bestellung des Gutachters. Dieser erhält nämlich vom Staatsanwalt und nicht vom unabhängigen Gericht seine Aufträge. Dies widerspreche einem fairen Verfahren, sagen nicht nur die Anwälte. Auch der OGH will eine Änderung der Situation. Das Justizressort lenkt ein. Eine neue Regel soll kommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2013)

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