Lebenslange Haftstrafe: 149 Personen eingesperrt

(c) Clemens Fabry
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Nur Kapitalverbrechen wie Mord oder schwerer Raub mit Todesfolge sind (auch) mit lebenslanger Haft bedroht.

Wien. Ein 36-jähriger, vielfach vorbestrafter Gewalttäter seilt sich mit Tischtüchern aus der Justizanstalt Wien-Simmering ab. Er will seine Freundin, mit der er immer wieder wüste Auseinandersetzungen hat, sehen. Mit einem Küchenmesser bewaffnet trifft er in der Wohnung der jungen Frau deren 72-jährigen Vater an – und ersticht diesen nach einem Streit. Das war im August vorigen Jahres. Vor zwei Wochen wurde der Täter im Straflandesgericht Wien zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Außerdem wurde eine Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher verfügt.

Wird diese Strafe rechtskräftig, so zählt der Täter zu jenen Personen, über die die härteste Sanktion verhängt wurde, die es im österreichischen Strafrecht gibt: Eine lebenslange Haftstrafe ist bei schwersten Verbrechen vorgesehen – in der Regel als Alternative zu einer zeitlich beschränkten Haftstrafe von zehn bis zwanzig Jahren. Die Anstaltseinweisung gilt nicht als Strafe, sondern als vorbeugende Maßnahme. Wird – wie im obigen Beispiel – beides ausgesprochen, so besteht selbst dann noch, wenn der Täter Anspruch auf eine vorzeitig bedingte Entlassung aus der Haft hat, die Möglichkeit einer weiteren unbefristeten Anhaltung desselben – wegen besonderer Gefährlichkeit. Mit dem Argument wird im aktuellen SPÖ-Justizprogramm die Notwendigkeit einer lebenslangen Haftstrafe in Abrede gestellt. „Die Presse“ liefert hier Antworten auf die wichtigsten Fragen zu dem heiklen Thema.

1 Welche Delikte sind mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht?

„Wer einen anderen tötet, ist mit Freiheitsstrafe von zehn bis zu zwanzig Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe zu bestrafen.“ So lautet Paragraf 75 des österreichischen Strafgesetzbuches. Dieser Paragraf gilt als Klassiker unter den „Leib- und Leben-Delikten“. Seine schlichte, klare Formulierung wird übrigens von Juristen immer wieder lobend hervorgehoben. Nicht nur Mord ist (abgesehen von zeitlich beschränkten Strafen) mit lebenslang bedroht, auch erpresserische Entführung mit Todesfolge. Ferner schwerer Raub mit Todesfolge; Brandstiftung mit Todesfolge „für eine größere Zahl von Menschen“; Herstellung und Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, „sofern der Täter weiß, dass die Kampfmittel zum Einsatz gelangen sollen“; Luftpiraterie, sofern eine „größere Zahl“ von Menschen stirbt; vorsätzliche Gefährdung der Sicherheit der Luftfahrt – wiederum bei Todesfolge für eine „größere Zahl von Menschen“; Vergewaltigung, wenn das Opfer ums Leben kommt; sexueller Missbrauch Wehrloser bzw. Unmündiger bei Todesfolge; Folter samt Todesfolge; Völkermord sowie Verstöße gegen das Verbotsgesetz „bei besonderer Gefährlichkeit“ des Täters.

2 Wie viele Personen sitzen lebenslang ein, wie viele Verurteilungen gibt es?

Derzeit werden in Österreichs Gefängnissen 149 Personen angehalten, über die eine lebenslange Haftstrafe verhängt wurde. Die Kriminalstatistik weist für 2011 (2012 wurde noch nicht ausgewertet) bundesweit sechs „Lebenslang-Verurteilungen“ wegen (vollendeten) Mordes, zwei wegen versuchten Mordes und eine wegen erpresserischer Entführung mit Todesfolge aus. 2010 gab es siebenmal lebenslang, durchwegs wegen Mordes. 2009 entschieden Gerichte fünfmal auf lebenslang (dreimal Mord, einmal Mordversuch, einmal schwerer sexueller Missbrauch mit Todesfolge). Besonders schlimm war es im Zehnjahresrückblick 2003 mit zwölf Verurteilungen, elfmal wegen Mordes, einmal wegen Mordversuchs.

3 Bleiben „Lebenslange“ tatsächlich bis zum Tod eingesperrt?

Nein. Im Durchschnitt werden die Häftlinge nach 22 bis 23 Jahren vorzeitig bedingt entlassen. Eine vorzeitige Entlassung nach beachtlich „kurzer“ Zeitspanne gelang dem „Häfenliteraten“ Jack Unterweger, der wegen Frauenmordes zu lebenslangem Freiheitsentzug verurteilt worden war: Er kam nach 16 Jahren frei. Und wurde danach wegen neunfachen Frauenmordes erneut zu lebenslang verurteilt. Kurz nachdem dieser Spruch verkündet worden war, erhängte sich Unterweger in seiner Zelle.

4 Wer entscheidet überhaupt, ob jemand zeitlich unbegrenzt ins Gefängnis muss?

Ein Geschworenengericht. Den Schuldspruch an sich fällen Geschworene (rechtliche Laien) allein, ohne ihn begründen zu müssen (das könnten sie als Laien auch kaum). Die Strafbemessung wird von den Geschworenen gemeinsam mit den Berufsrichtern vorgenommen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.05.2013)

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