Gesundheitsreform: Weniger Spitalsbetten, mehr Praxen

Kürzere Wartezeiten beim Arzt: Abends und an Wochenenden soll das medizinische Angebot erweitert werden.
Kürzere Wartezeiten beim Arzt: Abends und an Wochenenden soll das medizinische Angebot erweitert werden.(c) Michaela Bruckberger
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Bund, Länder und Kassen haben die Ziele für die Gesundheitsreform definiert. Ab 2014 soll es flexiblere Öffnungszeiten, mehr tagesklinische Operationen und Beratung per E-Mail geben.

Wien. Die Bezeichnung ist eigentlich ein Unwort: Bundes-Zielsteuerungsvertrag. Dahinter verbirgt sich ein 74-seitiges Konvolut, das die Rahmenziele für die Gesundheitsreform vorgibt. Der Vertrag wurde am Mittwoch von Bundesregierung, Ländern und Sozialversicherungen unterzeichnet – und veranlasste Gesundheitsminister Alois Stöger (SPÖ) dazu, von einem „großen Schritt“ zu sprechen. Was ändert sich ab 2014, wenn die Reform beginnt, für Patienten und Ärzte?

► Mehr Gruppenpraxen: In einem ersten Schritt muss jedes Bundesland mindestens zwei interdisziplinäre Behandlungszentren einrichten, zum Beispiel Gruppenpraxen. Der Hintergedanke? Wenn Fachärzte unterschiedlicher Disziplinen eine Gemeinschaftspraxis bilden, bleiben dem Patienten lange Anfahrtswege erspart. Und der Steuerzahler profitiert, weil dadurch die Spitäler entlastet werden (eine Behandlung im niedergelassenen Bereich ist bekanntlich viel billiger).

► Flexiblere Öffnungszeiten: Der Patient soll abends bzw. an den Wochenenden ein breiteres medizinisches Angebot vorfinden. Länder und Sozialversicherungen wurden daher beauftragt, Modelle für flexiblere Öffnungszeiten in den Arztordinationen zu erarbeiten.

► Erstberatung per E-Mail: Bei manchen Beschwerden fällt die Entscheidung schwer, ob man zum Hausarzt, zum Facharzt oder ins Krankenhaus gehen soll. Der Staat will daher eine Erstberatung via Telefon bzw. im Internet anbieten.

► Mehr tagesklinische Eingriffe: Um die Aufenthaltsdauer im Spital zu reduzieren, werden die tagesklinischen Leistungen für bestimmte Eingriffe ausgebaut. Die Liste reicht von Katarakt- (grauer Star) und Knieoperationen über Krampfadern bis hin zu Leistenbrüchen.

► Qualitätsmanagement: Die Behandlungsqualität soll nicht nur im stationären, sondern – bis 2014 – auch im ambulanten Bereich messbar werden. Die Kriterien sind dieselben. Regelmäßige Berichte sollen dem Patienten Orientierungshilfe geben (etwa bei der Entscheidung, wo er sich operieren lässt).

► Einheitliche Standards: In den Spitälern und Arztpraxen wird eine Diagnose- und Leistungsdokumentation etabliert. Einer bestimmten Diagnose hat demnach ein bestimmter Eingriff zu folgen. Die Ärzte werden mit diesen Vorgaben mutmaßlich wenig Freude haben (gestern gab es noch keine Reaktionen). Ein einheitliches Aufnahme- und Entlassungsmanagement soll außerdem sicherstellen, dass eine stationäre Aufnahme nur dann erfolgt, wenn sie notwendig ist (und nicht, weil gerade ein Bett frei ist).
Die Umsetzung obliegt nun den Ländern und den Krankenkassen. Bis Ende September müssen die Landes-Zielsteuerungsverträge ausgearbeitet werden. Darin wird beispielsweise festgeschrieben, in welcher Region die beiden Gruppenpraxen errichtet werden.

Die Wiener Gesundheitslandesrätin Sonja Wehsely (SPÖ) gibt sich zwar nicht der Illusion hin, dass diese politische Einigung über Silvester alles ändern werde. Aber: Der „Paradigmenwechsel“ werde rasch sichtbar sein. Das Wesen dieser Gesundheitsreform ist nämlich ein partnerschaftlicher Ansatz: Stationärer und niedergelassener Bereich werden künftig gemeinsam gesteuert. Bisher waren die Länder für die Spitäler und die Kassen für die selbstständigen Ärzte verantwortlich – zulasten der Patienten und vor allem des Staatshaushalts. Denn die Gesundheitsausgaben sind in den vergangenen Jahren stärker gestiegen als das BIP.

Der oberösterreichische Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) formulierte es so: Aus den Solisten werde nun ein Orchester. Dessen Hauptaufgabe ist es, die Patienten von den Krankenhäusern in die Arztpraxen umzuleiten. Denn mit 261 Spitalsaufenthalten pro 1000 Einwohner ist Österreich einsame Weltspitze (der Schnitt liegt bei 155), wie eine OECD-Studie im April einmal mehr dokumentierte. Fürs Erste soll diese Statistik um 1,1 Prozentpunkte verbessert werden.

Sanktionen für Länder, die ihre Ausgabenobergrenzen überschreiten, sind nicht geplant. Finanzministerin Maria Fekter (ÖVP) verwies jedoch an den Stabilitätspakt, in dem Pönalen vorgesehen sind: Ein Land, das seine Gesundheitsausgaben nicht im Griff habe, könne nicht ausgeglichen bilanzieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2013)

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