Clemens Jabloner: "Ich fürchte die Macht der Demagogen"

Clemens Jabloner fuerchte Macht
Clemens Jabloner fuerchte Macht(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Das "Demokratiepaket" könne zur Abschaffung der Demokratie führen, warnt Clemens Jabloner, scheidender Präsident des Verwaltungsgerichtshofs. Dass die Politik bei Richterbesetzungen mitredet, sei in Ordnung.

Die Presse: Seit Ihrem Amtsantritt als Präsident 1993 haben Sie sich um eine zweistufige Verwaltungsgerichtsbarkeit bemüht. Jetzt kommen diese neuen Gerichte, die Routinefälle klären und so den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) entlasten, am 1. Jänner 2014 – also am Tag, nachdem Sie aus dem Amt scheiden. Bedauern Sie, dass Sie die Reform nicht in Ihrer aktiven Zeit erleben?

Clemens Jabloner: Nein. Das ist ein sehr schöner Moment aufzuhören. In gewisser Weise konnte ich meinen wichtigsten Programmpunkt verwirklichen. Das neue System bewirkt eine Reihe von Umstellungen im VwGH. Daher ist es ein guter Moment, sich zurückzuziehen.

Sie haben einmal gesagt, im Idealfall könnte der Gerichtshof nach dieser Reform verkleinert werden. Wann ist damit zu rechnen?

Ich würde schon eine Übergangsphase von drei oder vier Jahren einkalkulieren. Aber dann könnte es zu einer so wirksamen Entlastung des VwGH kommen, dass in der Tat die Richterbank ein wenig redimensioniert wird.

Ein Schatten liegt aber über den neuen Verwaltungsgerichten, weil der eine oder andere Richterposten politisch besetzt wurde.

Ich kann das in der Form nicht bestätigen. Man kann nicht erwarten, dass bei der Erstbesetzung der Verwaltungsgerichte ein derartiger Standard wie am Verwaltungsgerichtshof besteht, wo Dreiervorschläge für Richterernennungen bindend sind.

Aber bei Nachbesetzungen am Verfassungsgerichtshof kommt abwechselnd ein roter und ein schwarzer Richter zum Zug. Und Ihr Nachfolger als Präsident am Verwaltungsgerichtshof wird der ÖVP und die Stellvertreterin der SPÖ zugerechnet. Alles Zufall?

Das ist natürlich kein Zufall, sondern eine politische Entscheidung. An der Spitze des Verwaltungsgerichtshofs ist eine demokratische Rückkoppelung durch das Ernennungsrecht des Bundespräsidenten gegeben. Und beim Verfassungsgerichtshof müsste die Gegenfrage lauten: Wer sollte sonst die Richter bestellen, wenn nicht Parlament, Regierung und Bundespräsident?

Ist die Gegenfrage nicht eher: Warum kann man nicht Höchstrichter werden, wenn man nicht der roten oder schwarzen Reichshälfte angehört?

Ich glaube, dass man die Frage nicht so stellen kann. Und dass auch die Leute, die ernannt werden, nicht in einem solchen Naheverhältnis zu Parteien stehen. Sie haben bestimmte weltanschauliche Prägungen, was aber ihrer Unabhängigkeit keinen Abbruch tut.

Aber das Präsidium des Verwaltungsgerichtshofs war in den vergangenen Jahrzehnten immer rot-schwarz oder schwarz-rot und wird es wohl auch noch ein paar Jahre bleiben.

Präsident und Vizepräsident werden von der Bundesregierung vorgeschlagen und vom Bundespräsidenten ernannt. Diese Organe sind demokratisch legitimiert. Wenn Sie die Justiz völlig vom politischen System isolieren, dann hat das vielleicht gewisse Vorteile, aber es hat auch Nachteile.

Nämlich?

Ein Nachteil wäre, dass sich die Justiz zu sehr abkoppelt, ein Eigenleben entwickelt und dass sie selbst zu einer politischen Kraft werden kann, was aber gerade nicht ihre Aufgabe ist.

Vor Kurzem wurden das Wasser und der Tierschutz in die Verfassung gehoben, um das Volk zu beruhigen. Auch wenn diese Maßnahme so gut wie keine Auswirkungen hat. Was halten Sie von diesem Umgang mit der Verfassung?

Ich bin ganz gegen solche Entwicklungen. Für mich ist die Verfassung hauptsächlich eine Verfahrensregelung. Sie soll die demokratischen Prozesse steuern. Die Verfassung aufzufetten mit allen möglichen Bekenntnissen, halte ich für ganz verfehlt.

Das heißt, Tierschutz und Wasser haben in der Verfassung nichts zu suchen?

Stimmt, man soll die Tiere schützen und die entsprechenden Gesetze erlassen. Man muss auch das Wasser schützen, aber ich glaube nicht, dass das unbedingt in die Verfassung hineingehört.

Sie haben sich in Ihrer Zeit am VwGH auch immer sehr für die Restitution starkgemacht, als Vorsitzender der Historikerkommission und des Kunstrückgabebeirats. Ist das bei der jüdischen Bevölkerung gut angekommen, was Österreich hier gemacht hat? Und haben Sie von anderer Seite Anfeindungen wahrgenommen?

Es waren wichtige Gesten, die die Republik gesetzt hat. Es gibt in Argentinien, Israel oder den USA viele alte österreichische Emigranten, die sehr arm sind – für diese Menschen waren die Zahlungen schon etwas, das ihnen geholfen hat. Anfeindungen war ich nie ausgesetzt.

Wenn man die Politik der vergangenen Jahrzehnte betrachtet, sehen Sie da eine Entwicklung zum Negativen? Schwindet das Vertrauen, wenn – wie jetzt wieder – von mutmaßlichen Schwarzgeldzahlungen die Rede ist?

Natürlich ist das alles grauslich. Aber wenn es um Politik ging, bin ich als Präsident des Verwaltungsgerichtshofs in der Regel in Deckung geblieben. Denn es war nicht meine Aufgabe, mich mit allgemeinen politischen Themen auseinanderzusetzen. Ich habe das nur dreimal durchbrochen: Einmal, als ich eben diese historische Aufarbeitung übernommen habe. Das zweite Mal habe ich mich 2006 auf eine scharfe Debatte mit Jörg Haider eingelassen (zum Thema Ortstafeln, Anm.). Und jetzt habe ich geschrieben, dass ich gegen das Demokratiepaket bin.

Warum sind Sie gegen das Demokratiepaket, durch das mit ausreichend unterstützten Volksbegehren eine Volksbefragung erzwungen werden können soll?

Weil ich es für einen Unsinn halte. Ich bin durchaus für mehr plebiszitäre Demokratie. Die Politik soll von sich aus mehr Volksabstimmungen über Gesetze abhalten und Volksbegehren ernster nehmen. Aber in unser System etwas einzubauen, mit dem das System letztlich selbst über Bord geworfen werden kann, ist unverantwortlich. Denn die sozialen und ökonomischen Verhältnisse können sich ändern. Wenn man etwas in die Verfassung schreibt, muss man damit rechnen, dass das in zehn, 15 Jahren unter ganz anderen Voraussetzungen ausgenützt wird.

Sie fürchten also, dass durch das Demokratiepaket ein Ende der Demokratie möglich wird?

Ja. Zwar soll es laut dem Entwurf Schranken geben, etwa soll man keine Plebiszite über Grundrechte erzwingen können. Aber es ist naiv zu glauben, dass ein solcher Volkswille nicht trotzdem in genau diesen verpönten Bereichen artikuliert wird: also wenn es um Minderheiten, Außenseiter oder supranationale Einflüsse geht. Wenn diese Plebiszite dann von den Institutionen gestoppt werden, wird die Frustration über die Institutionen steigen. Und bereits 15 Prozent der Bevölkerung sollen laut dem Entwurf ein Plebiszit zur Änderung von Verfassungsrecht erzwingen können. So lassen sich dann die noch bleibenden Schranken wegspülen.

Das führt zur Frage: Ist das Volk zu dumm, um zu wissen, wie wichtig Grundrechte sind?

Das Volk ist nicht dumm. Aber man kann unter den Bedingungen der heutigen Mediengesellschaft und mit genügend Gold sehr viel bewegen. Ich fürchte die Macht der Demagogen. Und man muss sich vor Augen halten, dass der Bundespräsident über sehr scharfe Kompetenzen verfügt, die sich im Prinzip gegen die parlamentarische Demokratie richten. Das sind heute fast vergessene Kompetenzen. Aber es könnte ja sein, dass wir einmal nicht wie gewohnt einen Bundespräsidenten des josephinischen Typs haben, sondern jemanden ganz anderen. Und dann kann dieser zusammen mit plebiszitären Instrumenten die Demokratie völlig aushebeln.

Soll man dann die gegen das Parlament gerichteten Rechte des Bundespräsidenten beschneiden?

Nein. Aber man sollte nicht die parlamentarische Demokratie schwächen, indem man die Plebiszite wie angedacht ausbaut. Denn plebiszitäre Demokratie und Führerprinzip stehen historisch miteinander im Zusammenhang. Nur in der Schweiz ist das anders, aber sie hat eine ganz andere Geschichte.

Der Bundespräsident hat ja auch noch ganz andere Rechte: So kann er strafgerichtliche Verfahren niederschlagen. Sollte man dieses Recht beseitigen?

Man kann sich sicher überlegen, dieses Recht abzuschaffen.

Was werden Sie nach Ihrer Amtszeit als VwGH-Präsident machen? Würde es Sie reizen, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren?

Das ist das Letzte, was ich möchte. Ich glaube nicht, dass ich mich für diese Funktion eigne. Aber ich bin ja Geschäftsführer des Hans-Kelsen-Instituts und werde dorthin den Schwerpunkt meiner Tätigkeit legen. Und ich werde meine wissenschaftliche Tätigkeit intensivieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.09.2013)

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