Gorbachs Rekord, Kreiskys Glück und Schüssels Wagnis

Geschichte der Koalitionsverhandlungen. Warum Alfons Gorbach 129 Tage verhandeln musste. Was Bruno Kreiskys Karriere mit Franz Olah zu tun hat. Und warum Wolfgang Schüssels Taktik nicht immer aufging.

Wien. „Rund einen Monat nach den Wahlen in Österreich sind die Verhandlungen über die Bildung einer Großen Koalition vorerst geplatzt. Streitfall ist der Kauf von 18 Eurofightern, den die Sozialdemokraten als zu teuer kritisieren. Die Volkspartei des scheidenden Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel setzte die Gespräche gestern Abend aus. Schüssel sagte, er sehe die ,Voraussetzungen für eine vertrauensvolle Verhandlungsarbeit sehr infrage gestellt‘. In den Verhandlungen mit der SPÖ habe sich bislang ,relativ wenig Substanz‘ ergeben, sagte Schüssel. Zu einer möglichen Wiederaufnahme der Gespräche wollte er sich nicht äußern. Neuwahlen wolle in seiner Partei aber niemand.“

Das war am 31. Oktober 2006. Der sozialdemokratische Spitzenkandidat, Alfred Gusenbauer, war überraschend als Sieger aus der Wahl am 1. Oktober hervorgegangen. Die SPÖ und die ÖVP als zweitstärkste Fraktion hatten Verhandlungen mit dem Ziel der Bildung einer Großen Koalition begonnen. Doch im Parlament hatten SPÖ, Grüne und FPÖ zwei Untersuchungsausschüsse beschlossen, die die Großbanken und den Eurofighter-Ankauf unter die Lupe nehmen sollten. (Was später auch geschah.) Erst zwei Wochen nach dem Eklat kehrte die geschlagene ÖVP an den Verhandlungstisch zurück. Und drei Monate später war dann die „neue“ Große Koalition unter Gusenbauers Führung geboren. Nach 102 Tagen also.

96 Tage waren es im Winter 2002/2003 gewesen, als erst wochenlang sondiert wurde, ehe ÖVP-Kanzler Schüssel Verhandlungen mit den Grünen aufnahm, da ihm das Wagnis einer neuerlichen schwarz-blauen Kooperation nicht geheuer war. Fast war er sich mit dem grünen Sprecher Alexander Van der Bellen schon einig, doch die linke Wiener Grün-Basis machte dem Experiment den Garaus. Die Verhandlungen waren gescheitert, Schüssel schloss neuerlich mit den Freiheitlichen ab, deren Regierungsteam später dann zum BZÖ abwanderte.

„Ich bring es nicht durch“

1999/2000 hatte Schüssel 124 Tage gebraucht, um von Platz drei aus Schwarz-Blau zu zimmern. Der Auftrag zur Regierungsbildung war erst an Viktor Klima (SPÖ) als Stimmenstärkstem ergangen, der sich mit der ÖVP redlich Mühe gab. Dann verlangte der Taktiker Schüssel das Finanzministerium. Auch dies wäre noch verhandelbar gewesen, doch die ÖVP forderte plötzlich, auch der ÖGB müsse den Koalitionspakt unterzeichnen, sonst halte es nicht. Das musste Metallgewerkschafter Rudolf Nürnberger (SPÖ) ablehnen. „Ich bring es bei meinen Leuten nicht durch“, klagte er. Und Schüssel nahm den Ball dankbar auf. Die FPÖ Jörg Haiders wurde sein Partner. Zum Zorn des Bundespräsidenten, Thomas Klestil.

Der bisherige Rekord an Verhandlungsdauer datiert aus „grauer Vorzeit“: 1962/1963 benötigte ÖVP-Kanzler Alfons Gorbach 129 Tage, um eine Große Koalition zu schmieden, obwohl es damals gar keine andere Variante gab. Schon damals litten die Sozialisten unter dem Trauma, stetig Stimmen zu gewinnen, aber am Verhandlungstisch zu verlieren. Die ÖVP wollte das Außenministerium zurück, doch der mächtige ÖGB-Präsident Franz Olah schlug auf den Tisch: „Das Außenministerium hängt net auf'm Christbaam!“ So rettete er Bruno Kreisky dessen Amt.

Und nur so konnte der spätere SPÖ-Vorsitzende und Kanzler seine Karriere beginnen. Als er 1970 überraschend die (allein regierende) Volkspartei an Stimmen und Mandaten überflügelte, gab es zwar auch Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP, doch dann entschloss sich Kreisky zum Alleingang in Form einer Minderheitsregierung. Von da an tat er sich mit der Regierungsbildung leicht. 1975 benötigte er nur 23 Tage. Bei einer absoluten Mehrheit genügte das Wort eines Einzigen. Und das blieb Kreisky bis 1983.

Dann spielte er seinen allerletzten Trumpf aus. Im April 1983 kam die SPÖ nur mehr auf die relative Stimmenmehrheit, innerhalb von vier Wochen waren sich die alten Herren von SPÖ und FPÖ, Kreisky und Friedrich Peter, einig: Vizekanzler Fred Sinowatz musste den schweren Gang als Regierungschef antreten, Norbert Steger durfte als Vizekanzler und Handelsminister agieren. Das Experiment sollte nur bis 1986 halten. Dann trat Jörg Haider seinen Siegeszug an, und die SPÖ rettete sich unter Franz Vranitzky in eine Große Koalition mit ÖVP-Chef Alois Mock.

Drei Parteien in der Regierung

Übrigens: Drei Parteien in einer Bundesregierung – das gab es nur einmal: 1945. Nach den ersten freien Wahlen nach dem Krieg bestand die Regierung aus ÖVP, SPÖ und einem KPÖ-Minister. Der trat allerdings 1947 aus der Koalition aus. Eine weitere Dreierkoalition (mit der Vorgängerorganisation der FPÖ) hatte die Volkspartei 1953 überlegt, um die (damals einzige) Oppositionspartei einzubinden. Das Ansinnen wurde von Bundespräsident Theodor Körner rundweg abgelehnt. Die Partei sei nicht staatstragend ...

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2013)

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