Heinz Fischer: "Die Hörner abgestoßen"

Heinz Fischer
Heinz Fischer(c) EPA (FILIP SINGER)
  • Drucken

Bundespräsident Fischer glaubt nach wie vor daran, dass Rot-Schwarz auch Erfolg haben kann. Bis Mitte Dezember soll die Regierung stehen. Ein Gespräch mit der "Presse am Sonntag".

Herr Bundespräsident, was sagen Sie eigentlich dazu, dass Monika Lindner ihr Mandat nun doch annimmt?

Heinz Fischer:
Ich schweige zunächst einmal zu dieser Frage. Rechtlich wird das vermutlich nicht bekämpfbar sein. Manche, die der Partei ihre Stimme gegeben haben, auf deren Liste Monika Lindner kandidiert hat, werden nun vermutlich sehr verärgert sein.

Was würden Sie Monika Lindner raten?

Das muss sie selbst entscheiden.

Ist das für den Parlamentarismus nicht ein Problem, wenn, wie in den vergangenen Jahren, die Abgeordneten von einer Fraktion zur anderen wechseln?

Also mir gefällt das nicht. Und ich bin auch nicht böse, wenn Sie das als ein altmodisches Verständnis von Parlamentarismus bezeichnen.

Aber gerade Sie waren seinerzeit als Nationalratspräsident in die Entstehung des Parlamentsklubs des Liberalen Forums involviert.

Das kann man sicher nicht vergleichen. Ich hatte damals die Geschäftsordnung zu handhaben, und dass meine Entscheidung richtig war, hat der Verfassungsgerichtshof bestätigt. Hinter der Gründung des LIFs stand ein eindrucksvolles politisches Engagement, dessentwillen man bereit war, auch politische Risken einzugehen. Im Gegensatz zu damals geht es hier, soweit ich das beurteilen kann, eher um ein taktisches Manövrieren und um ein mehrfaches Wechseln des Standpunktes in kurzer Zeit.

Es gab diesmal eine relativ ernsthafte Debatte über Rot-Blau, in und außerhalb der SPÖ geführt, von Gewerkschaftern bis hin zu linksliberalen Intellektuellen. Wäre diese Variante für Sie prinzipiell akzeptabel?

Die Frage ist in der Richtung entschieden worden, dass Werner Faymann und Michael Spindelegger einen Weg beschritten haben, den ich auch empfohlen habe. Daher beschäftigen mich theoretische Fragen über Rot-Blau eigentlich nicht.

Also noch einmal Rot-Schwarz. Glauben Sie nicht, dass SPÖ und ÖVP dann noch weiter verlieren werden?

Schauen Sie sich die Alternativen an. Dann finden Sie eine Antwort auf diese Frage. Wenn jemand sagt: Ich will unbedingt verhindern, dass in fünf Jahren die FPÖ Regierungspartei wird – dann kann es ja nicht logisch sein, zu sagen: Ich möchte, dass man gleich mit der FPÖ eine Koalition macht. Und es könnte ja auch sein, dass die Regierung aus SPÖ und ÖVP sich so viel Anerkennung erwirbt, dass sie damit den Trend der vergangenen Jahre ins Gegenteil verkehrt.

In den Großen Koalitionen der jüngeren Vergangenheit war das aber nie der Fall.

Das ist kein rein österreichisches Phänomen. Ähnliche Situationen findet man in vielen europäischen Ländern, wo die regierenden Parteien geschwächt wurden oder ihre Mehrheit verloren haben. Es gibt heute eine weit größere Aufsplitterung der politischen Landschaft als noch vor zwanzig Jahren. Aber das ist ja auch das Schöne an der Demokratie: dass es die Flexibilität der friedlichen Machtverschiebung gibt. Die Demokratie ist jene Regierungsform, in der ein friedlicher Machtwechsel systemimmanent ist. Dieser Leitsatz hat auch für Österreich und Deutschland Gültigkeit.

Aber das stimmt doch nicht. Es gibt keinen Machtwechsel. Es gibt immer wieder Rot-Schwarz.

Ja, weil der Machtwechsel kein Systemwechsel ist, sondern einer in der Gewichtsverteilung.

Sie werden beide immer schwächer.

Richtig. Außer sie lernen aus ihren Fehlern.

Aber wäre es nicht besser, würde man mit einem Mehrheitswahlrecht einen echten Wechsel ermöglichen?

Das ist der Vorteil des Mehrheitswahlrechts. Der Nachteil ist, dass eine Partei mit 40 Prozent allein regieren kann. Und das wollen viele nicht.

In den nordischen Ländern gibt es immer wieder Minderheitsregierungen. Wieso nicht auch bei uns?

Es hat auch in Österreich schon eine Minderheitsregierung gegeben. Aber das ist eben nur möglich, wenn sie nicht fürchten muss, sofort wieder gestürzt zu werden. Wenn ich mir die Zahl der Misstrauensanträge im österreichischen Parlament in den vergangenen Jahren ansehe, kann man daraus ableiten, dass eine Minderheitsregierung alle drei Monate gestürzt werden würde.

Während in Deutschland die Große Koalition die Ausnahme ist, ist sie bei uns die Regel. Es scheint, als entspräche sie unserem Nationalcharakter.

In dieser Bemerkung könnte sogar ein Funken Wahrheit stecken. Aber schauen Sie doch auf die Schweiz. Da ist die Koalition in Form der sogenannten Zauberformel sogar noch langlebiger und stabiler als bei uns.

Wichtige Themen werden dafür in Volksabstimmungen entschieden.

Richtig. Demokratie ist eben kein starres System, es gibt verschiedene Formen. In Österreich ist es immer noch so, dass man mit Minderheitsregierungen und deren Erpressbarkeit keine große Freude hat. Und die Wähler insofern Konstanz beweisen, als sie zwar die Stärke der beiden größten Parteien in den letzten Jahren systematisch reduziert haben, aber gleichzeitig immer noch dafür gesorgt haben, dass die SPÖ Nummer eins ist und die ÖVP Nummer zwei – und dass beide zusammen eine Mehrheit haben. Das sollte bei einer Regierungsbildung nicht völlig unberücksichtigt bleiben. Im Übrigen hätte ich keinen Einwand, vom Instrument der Volksabstimmung etwas häufiger Gebrauch zu machen als bisher.

Was macht Sie so sicher, dass es diesmal funktioniert mit der Großen Koalition?

Ich bin nicht sicher, aber zuversichtlich, weil ich an die Lernfähigkeit von Spitzenpolitikern glaube. Man hat sich jetzt zur Genüge im Konflikt die Hörner abgestoßen. Man hat eine Reihe von Fehlern gemacht – und das hoffentlich auch erkannt. Und wenn die Konjunktur wieder ein wenig Fuß fasst, wäre auch wieder ein bisschen mehr Manövrierfähigkeit in der Politik möglich.

Was erwarten Sie sich vom Ausgang der Koalitionsverhandlungen? Die Einführung einer Gesamtschule? Die Wiedereinführung der Erbschaftssteuer?

Als Erstes erwarte ich mir, dass die Koalitionsverhandlungen kein Hickhack werden, sondern dass man ernsthaft an wichtigen Projekten arbeitet. Zweitens glaube ich, dass man zwar nicht hudeln muss, aber doch wissen muss: Zeit ist nicht unbegrenzt vorhanden. In der ersten Dezemberhälfte sollten die Verhandlungen abgeschlossen sein. Drittens hoffe ich, dass schon während der Koalitionsverhandlungen ein klares europapolitisches Profil erkennbar ist. Viertens bin ich ein unerschütterlicher Anhänger der Theorie, dass das Bemühen um soziale Gerechtigkeit auch ein wichtiger Beitrag zur Stabilisierung eines Landes ist. Und fünftens erhoffe ich mir ein Bildungssystem, das leistungsfähig ist, das den Interessen der Eltern und Schüler bestmöglich entgegenkommt und Österreich in den internationalen Rankings wieder nach oben führt.

Finden Sie nicht, dass Österreich ohnehin schon sehr sozial gerecht ist?

Ich bin durchaus stolz auf unser Sozialsystem. Aber ich weiß natürlich, dass es von vielen auch als Bremse für Gewinnmöglichkeiten gesehen wird, während es in meinen Augen dazu da ist, den Menschen ein menschenwürdiges Dasein zu ermöglichen.

Und um dieses aufrechtzuerhalten, sollte man auch über neue Steuern nachdenken?

Diesen engen Konnex stelle ich nicht her. Man kann den Sozialstaat auch finanzieren durch Einsparungen in anderen Bereichen – durch Abschaffung von Steuerprivilegien beispielsweise. Steuern zu erhöhen ist kein Selbstzweck. Aber es dürfen nicht die Interessen eines Teils der am Wirtschaftskreislauf beteiligten Bürger höher bewertet werden als die berechtigten Interessen anderer Bürger.

Wären Sie dafür, die Regierung zu verkleinern?

Ich hätte das nicht als vordringlich eingestuft. Aber wie es derzeit aussieht, ist es das gemeinsame Bemühen der beiden Parteivorsitzenden, die Regierung unter Einrechnung der Staatssekretäre um zwei Mitglieder zu verkleinern. Es wird interessant sein, wo man bei dieser Verkleinerung ansetzen wird.

Gibt es mögliche Ressortzusammenlegungen oder -veränderungen, bei denen Sie sagen würden: Nicht mit mir!

Würde jemand das Verteidigungs- und das Innenministerium zusammenlegen, würde ich sagen, dass das keine gute Idee ist. Ich würde auch zögern, wenn man Unterricht und Wissenschaft zusammenlegte. Weil ich es 1970 wirklich als Fortschritt betrachtet habe, als ein Signal für die Wissenschaft und die Forschung, dass man ein eigenes Wissenschaftsministerium gegründet hat. Jetzt können Sie natürlich sagen, ich hätte ein Bias, weil ich selbst einmal Wissenschaftsminister war. Aber der Stellenwert von Wissenschaft und Forschung würde wahrscheinlich nicht der gleiche sein, wenn Wissenschaft und Forschung in einem quantitativ und budgetmäßig übermächtigen Unterrichtsministerium eingegliedert werden würden.

Ein parteifreier Justizminister würde Ihnen zusagen?

Wir haben einige Male mit parteifreien Justizministern gute Erfahrungen gemacht. Ich denke da an Minister Kapfer, an Minister Gerö, an Minister Michalek. Aber ehrlich gesagt, der größte Justizreformer der Zweiten Republik war Christian Broda. Und er hat vielleicht die eine oder andere Reform nur durchsetzen können, weil er die Unterstützung einer großen Partei hatte. Und weil er ein wirklicher Netzwerker war. Er hat aus seiner sozialdemokratischen Position heraus viele Kontakte auch in das bürgerliche Lager gehabt.

Haben Sie – angesichts der Stimmenzuwächse für EU-kritische Parteien – das Gefühl, dass SPÖ und ÖVP die Euro-Rettung zu schlecht erklärt haben?

Ich habe das Gefühl, dass Kanzler und Vizekanzler über die Bedeutung des Europa-Themas Bescheid wissen. Und sie wissen auch, dass man den Skeptizismus in Bezug auf die europäische Integration dahingehend bekämpfen muss, dass man sich einige Grundtatsachen immer wieder in Erinnerung ruft: Das europäische Projekt ist ein Friedensprojekt. Und die 500 Millionen Europäer werden nur in der Lage sein, sich in der Welt zu behaupten, wenn sie in der Lage sind, ihre Ziele und Interessen zu bündeln.

Was halten Sie eigentlich von den Neos?

Das ist ein Farbfleck im Parlament.

Sind das für Sie mehr die Söhne und Töchter der ÖVP oder mehr die Söhne und Töchter des Liberalen Forums?

Ich glaube, da haben sich ein paar Söhne der ÖVP und ein paar Töchter des Liberalen Forums gefunden – oder umgekehrt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2013)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Pröll Häupl
Innenpolitik

Die Regierung am Gängelband der Länder

Bei den Koalitionsverhandlungen haben die Vertreter der Bundesländer ein gewichtiges Wort mitzusprechen – ein guter Beleg dafür, wie die Realverfassung in Österreich tatsächlich aussieht.
Leitartikel

Leitartikel: Junge Hoffnung, alte Garde

Die bisherigen Regierungsverhandlungsrituale zeigen: Es läge zwar Veränderung in der Luft, aber noch einmal übernehmen die alten Hasen gnadenlos das Kommando.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.