Moser: „Die Regierung macht den Leuten etwas vor“

Josef Moser
Josef MoserAPA/ROLAND SCHLAGER
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Die Milliardenlücke überrascht Rechnungshof-Präsident Josef Moser nicht. Er habe davor gewarnt. Jetzt brauche es radikale Reformen – nicht nur im Pensionssystem.

Die Presse: Waren Sie überrascht, als diese Woche eine Milliardenlücke im österreichischen Staatshaushalt aufgetaucht ist?

Josef Moser: Österreich hat sich in der EU verpflichtet, bis 2016 einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Wenn man dieses Ziel erreichen will, braucht es strukturelle Veränderungen. Darauf weisen wir seit 2010 hin.

Aber die Regierung hat nichts getan?

Sie hat die nötigen Reformen aufgeschoben. Deshalb haben wir jetzt diese Lücke.

Im Februar 2012 gab es immerhin ein Konsolidierungspaket.

Das war ein Softpaket, nicht mehr. Strukturell ist bisher nichts geschehen.

Warum nicht? Haben Sie eine These?

Die Politik glaubt, sie kann sich davonstehlen. Man fürchtet sich vor Veränderung. Nur: Wer bewahrt, gefährdet die finanzielle Nachhaltigkeit. Und vor dieser Situation stehen wir jetzt.

Wie viel Geld fehlt denn genau? Die Schätzungen reichen mittlerweile bis zu 40 Milliarden Euro, kumuliert bis ins Jahr 2018.

Der Rechnungshof beteiligt sich nicht an Schätzungen. Ich sage nur: Wir werden die Budgetziele nicht erreichen, wenn wir nicht endlich die richtigen Maßnahmen setzen.

Ein Sparpaket ist also unumgänglich.

Wir brauchen Strukturreformen.

Das klingt besser, ist aber das Gleiche.

Nein, das ist ein Unterschied. Das Problem ist, dass das Geld in historisch gewachsene Strukturen fließt und nicht dorthin, wo es benötigt wird: beim Bürger, beim Patienten, beim Schüler, beim Förderungsempfänger.

Beim Förderungsempfänger?

Wir haben die Familienförderungen im Bund und in drei Bundesländern untersucht. Dabei hat sich herausgestellt, dass es 117 verschiedene Förderungen gibt: 47 im Bund, 70 zahlen die Bundesländer. Doch am Ende weiß niemand, ob die Familie mit dem Geld, das sie bekommen hat, auch auskommt. Und das ist nicht nur im Familienbereich so.

Was muss im Pensionsbereich geschehen?

Wir haben immer noch etliche Sonderpensionsregelungen. Wer vor 1993 in die Nationalbank eingetreten ist, kann mit 55 Jahren und 85 Prozent des Letztbezugs in den Ruhestand gehen. Oder: Würde man die Sozialversicherungsbediensteten mit den Bundesbeamten gleichstellen, könnte man 1,4 Milliarden Euro heben. Wo bleibt denn da die Gerechtigkeit?

Sie wollen einen radikalen Schnitt?

Je länger man wartet, desto mehr Steuergeld geht verloren. Es kann nicht eine Generation zulasten ihrer Kinder und Enkelkinder leben.

Wie viel Geld könnte der Staat insgesamt einsparen, also über alle Bereiche?

Ich nenne keine Zahlen, sonst diskutiert die Politik nur noch darüber und nicht mehr über Reformen. Nur so viel: Jede Prüfung zeigt, dass es wahnsinnig viel Optimierungspotenzial gibt. Sparen ist das falsche Wort.

Aber wir müssen doch sparen, oder nicht?

Schon, aber das geht nicht in allen Bereichen. Aus dem Gesundheitssystem zum Beispiel wird man kein Geld herausnehmen können.

Wegen des demografischen Wandels?

Wir werden immer älter, und der medizinische Fortschritt wird immer teurer. Wenn wir die gewohnte Versorgung weiterhin sicherstellen wollen, müssen wir die Strukturen verschlanken und das Geld dorthin lenken, wo es benötigt wird: zum Patienten.

Im Gesundheitsbereich werden mit den Zielsteuerungskommissionen aber gerade neue Strukturen geschaffen – das Ganze läuft unter dem Titel Reform.

Leider.

Hat die Regierung reformpolitisch versagt?

Wenn man den Leuten etwas vormacht und sagt: „Wir sind immer noch besser als andere Länder.“ Wenn ein Bürger zum anderen sagt: „Dir geht es aber gut, du bist mit 53 Jahren in Pension und kannst schon Golf spielen.“ Und der andere antwortet: „Du bist blöd, dass du noch arbeitest.“ Wenn man diese Mentalität erzeugt und sie auch noch als finanzierbar darstellt, darf man sich nicht wundern, wenn die Reformbereitschaft enden wollend ist.

Es gibt Parteien, die behaupten, man könne die meisten Finanzprobleme des Staates mit Vermögensteuern lösen.

Das wird aber nicht funktionieren. Unser Haushalt ist wie ein Fass mit vielen Löchern. Da können Sie oben hineinschütten, so viel Sie wollen. Es rinnt doch wieder alles hinaus.

Dieses Bild kenne ich von Maria Fekter.

Das hat sie vielleicht von mir. Als ich von Mitarbeitern einmal ein Fass geschenkt bekommen habe, ist mir diese Metapher eingefallen.

Die Finanzministerin könnte Ihnen demnächst abhanden kommen. Wären Sie darüber glücklich oder unglücklich?

Der Rechnungshof bewertet nie.

Braucht der Rechnungshof mehr Rechte, um sich besser durchsetzen zu können?

Nein. Der Rechnungshof erfüllt seine Aufgabe und hat deshalb auch eine entsprechende Reputation. Im Vertrauensindex stehen wir gemeinsam mit der Arbeiterkammer an erster Stelle. Und international werden wir beachtet.

Aber nicht von der nationalen Regierung.

80 Prozent unserer Empfehlungen werden umgesetzt, immerhin. Wichtiger wären allerdings die restlichen 20 Prozent, bei denen es um strukturelle Veränderungen geht.

Wären Sie gern in die Koalitionsverhandlungen eingebunden?

Nein. Aber wir stehen jederzeit mit Rat und Tat zur Verfügung.

Ist die Große Koalition ein Auslaufmodell?

Entscheidend ist, dass wir Politiker haben, die verantwortungsvoll agieren.

Haben wir die?

Der Rechnungshof legt Fakten auf den Tisch, die Regierung entscheidet, was sie damit tut. Aber es steht uns nicht zu, politische Fragen zu beurteilen. Das ist Sache der Bevölkerung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.11.2013)

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