Bei der Präsidentenwahl im August in der Türkei können türkische Staatsbürger erstmals auch in Österreich ihre Stimme abgeben.
Wien. 114.000 türkische Staatsbürger leben derzeit in Österreich, 44.000 davon in Wien. Seit Mai 2012 – als ein entsprechender Gesetzesentwurf der Regierung das Parlament in Ankara passierte – haben sie die Möglichkeit, in der türkischen Botschaft in Wien und den drei Generalkonsulaten (Wien, Salzburg, Bregenz) bei Parlaments- und Präsidentschaftswahlen ihre Stimme abzugeben. Nicht hingegen bei den Kommunalwahlen – hier ist ein Hauptwohnsitz in der Türkei erforderlich. Die nächsten finden Ende März statt, gewählt werden die örtlichen Regierungen, Stadträte und Bürgermeister.
Erstmals zur Anwendung kommen soll das neue System, das für die ganze Welt, nicht nur für Österreich gilt, bei den Präsidentenwahlen im kommenden August, die zum ersten Mal in der Geschichte der Türkei als Direktwahl abgehalten werden.
Bisher mussten türkische Auslandswähler (insgesamt leben 4,2 Millionen türkische Staatsbürger außerhalb der Türkei) für eine Wahlteilnahme die eigens an türkischen Grenzübergängen und Flughäfen aufgestellten Wahlurnen benutzen. Das Ergebnis dieser Regel war eine sehr geringe Wahlbeteiligung, die bei der letzten Parlamentswahl 2011 bei nur fünf Prozent lag.
Relevante Gruppe für Parteien
Dank der Neuregelung können türkische Staatsbürger im Ausland künftig über etwa 20 der 550 Abgeordneten im Parlament entscheiden, rechnete die türkische Zeitung „Radikal“ unlängst vor. Dem neuen Gesetz zufolge wird türkischen Auslandswählern ein genauer Termin zur Stimmabgabe in einer diplomatischen Vertretung in der Nähe ihres Wohnortes zugeteilt. Indem die Stimmabgabe im Ausland über einen Monat gestreckt wird, soll vermieden werden, dass Konsulate und Botschaften einen Massenansturm von Wählern erleben. Im Ausland benutzte Wahlurnen sollen nach der Wahl in die Türkei gebracht und erst dort geöffnet werden. Ob durch diese neue Möglichkeit wesentlich mehr türkische Staatsbürger in Österreich von ihrem Wahlrecht gebrauch machen werden, hängt laut dem Wiener Integrationsexperten und Soziologen Kenan Güngör zufolge im Wesentlichen davon ab, wie schmutzig und hart der Wahlkampf in der Türkei ausgetragen wird. „Dabei kommt den Medien und türkischen Vereinen in Österreich eine besonders wichtige Rolle zu“, sagt Güngör. „Die Wahlbeteiligung der hier lebenden türkischen Staatsbürger dürfte also umso höher sein, je polarisierter und geladener der Wahlkampf geführt wird.“
„Außenpolitisierung der Innenpolitik“
Was die Grundorientierung der Türken in Österreich angeht, sei die Wahrscheinlichkeit recht hoch, dass sie tendenziell die AKP von Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan wählen – schließlich würden viele von ihnen aus dem religiös und konservativ geprägten Zentralanatolien kommen, wo Erdoğan traditionell die meisten Anhänger hat.
Daher sei künftig auch von einem verstärkten Wahlkampf türkischer Parteien in Österreich auszugehen. „Denn“, so Güngör, „in Gesellschaften wie der türkischen mit einer großen Diaspora ist häufig zu beobachten, dass diese immer wieder aus innenpolitischen Erwägungen heraus aktiviert wird. Diese Außenpolitisierung der Innenpolitik dürfte sich weiter verstärken.“ (kb)
("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.02.2014)