Dallingers Schatten über SPÖ-Ministern

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Der Ex-Sozialminister rüttelte bereits vor 30 Jahren mit dem Vorschlag eines höheren Pensionsantrittsalters an einem Tabu, trug aber zur Frühpensionsmentalität bei.

Wien. „Wenn die Lebenserwartung der Menschen so weiter steigt“, und Menschen 110 bis 115 Jahre alt werden, werde es so sein, dass „es dann ein Pensionsanfallsalter mit 55 nicht geben kann, nicht geben darf im Interesse der Menschen“. Der Ausspruch stammt weder von einem Pensionsexperten noch von Neos-Chef Matthias Strolz und auch nicht aus den vergangenen Monaten, sondern aus 1985, vom damaligen Sozialminister Alfred Dallinger, einem SPÖ-Politiker.

Rudolf Hundstorfer, der jetzige Ressortchef, hat selbst schon über ein höheres Frauenpensionsalter nachgedacht. Aber bei Gabriele Heinisch-Hosek, Frauen- und jetzt auch Unterrichtsministerin sowie SPÖ-Frauenvorsitzende, würde Dallinger auf erbitterten Widerstand stoßen.

Dallinger ist vor 25 Jahren, am 23. Februar 1989, bei einem Flugzeugabsturz in den Bodensee ums Leben gekommen. Der Privatangestelltengewerkschafter und Sozialminister hat mit seinen Plänen für die 35-Stunden-Woche oder die als „Maschinensteuer“ verteufelte Wertschöpfungsabgabe vor allem Wirtschaftsvertreter zur Weißglut getrieben. Aber nicht nur die. Selbst seine SPÖ-Parteikollegin und damalige Frauenvorsitzende Jolanda Offenbeck hat den Rücktritt Dallingers gefordert. Dieser hatte es gewagt, im Zuge einer Pensionsreform die Witwenpensionen aufgrund der zunehmenden Erwerbstätigkeit der Frauen zu beschneiden.

Zumindest in diesem Punkt müsste Dallinger im Gegensatz zum höheren Pensionsantrittsalter ähnliche Reaktionen von Heinisch-Hosek nicht fürchten. Die amtierende Frauenministerin beschwört selbst, wie wichtig die eigenständige Altersvorsorge für Frauen durch Berufstätigkeit ist. Nicht nur wegen der Diskussion über die finanzielle Absicherung des gesetzlichen Pensionssystems, die Dallinger unter anderem durch eine Ausdehnung des Bemessungszeitraumes der Pensionen erreichen wollte, wirken seine Denkanstöße und sozialpolitischen Überlegungen, als ob sie aus jüngster Zeit stammen. Während er ab Mitte der 1980er-Jahre einerseits Einschnitte vorgenommen hat, leidet umgekehrt besonders sein jetziger Nachfolger Hundstorfer unter den Ideen, die der häufig als „Visionär“ eingestufte Dallinger vorangetrieben hat.

Pervertierte Hacklerpension

Mit den Weichenstellungen für den vorzeitigen Antritt der Pension zur Bewältigung des unter Bruno Kreisky als tabu geltenden massenhaften Abbaus der Arbeitsplätze in der Verstaatlichten wie der Voest, wurde auch das Tor Richtung Frühpensionen weiter aufgemacht. Vor allem aber bekamen die Österreicher den Eindruck, dass sie eine Art Anspruch auf die Frühpension hätten. Hundstorfer hat jetzt alle Hände voll zu tun, um dieser Frühpensionsmentalität und dem Pensionsantritt mit durchschnittlich 58,5 Jahren in der gesetzlichen Pensionsversicherung entgegenzuwirken. Die Hacklerpension, die vielfach nicht von Arbeitern, sondern Beschäftigten in gemütlichen (Sozialversicherungs-)Büros genützt wird, ist eine Pervertierung von Dallingers Vorstellungen mit Arbeitsstiftungen und Sozialplänen für ältere Gekündigte und Arbeitslose.

Die mit Dallinger verbundene Form der aktiven Arbeitsmarktpolitik hat in der heutigen (Sozial-)Politikergeneration noch ihre Nachahmer. Angesichts der Massenarbeitslosigkeit in anderen EU-Staaten wird Österreich vor allem mit seinen Programmen im Kampf gegen Jugendarbeitslosigkeit von den EU-Spitzen als Vorbild herumgereicht. Dafür machen die rot-schwarzen Bundesregierungen seit 2007 viel Geld locker. Die nächste Ausbaustufe nach der Ausbildungsgarantie für Jugendliche bis 18 steht mit der Ausbildungspflicht, damit diese nicht auf der Straße landen, bevor. Diese wurde nicht nur von Sozialminister Hundstorfer vorangetrieben, sondern auch von Wirtschaftsvertretern wie Kammerpräsident Christoph Leitl.

Ganz im Gegensatz zu Dallingers Vision einer Wertschöpfungsabgabe, bei der die Sozialabgaben nicht wie derzeit vom Bruttolohn, sondern von der gesamten Wertschöpfung eines Betriebes berechnet wird. Auf eine Entlastung des Faktors Arbeit warten Dienstgeber und Dienstnehmer, von der geplanten Minisenkung der Beiträge für die Unfallversicherung und den Insolvenzfonds einmal abgesehen, noch immer. Aber die Konfrontationen um die Wertschöpfungsabgabe werden immer noch ähnlich erbittert wie vor einem Vierteljahrhundert geführt.

Kluft Arbeiter/Angestellte

Beim zweiten Reizthema, Dallingers Vision einer 35-Stunden-Woche, ist inzwischen sogar die ÖGB-Spitze auf Distanz gegangen, auch wenn sie sich nicht davon verabschiedet hat. Aber eine Einführung per Generalkollektivvertrag ist längst kein Thema mehr. Hundstorfer und mit ihm der Gewerkschaftsbund haben vielmehr alle Hände voll zu tun, dass die Österreicher in Form vieler Überstunden nicht noch länger arbeiten. Nach der Konfrontation zwischen SPÖ und ÖVP im Wahlkampf um die Höchstarbeitszeit-Erlaubnis von zwölf Stunden pro Tag wurde im Regierungsprogramm nun sogar dabei die Tür unter bestimmten Bedingungen einen Spalt aufgemacht.

Ernüchternd fällt die Bilanz ein Vierteljahrhundert nach Dallingers Tod bezüglich der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten im Berufsleben aus. Noch immer existieren im Arbeits- und Sozialrecht Benachteiligungen von Arbeitern. Erst jetzt hat sich die Bundesregierung vorgenommen, diesbezüglich einen erneuten Anlauf in dieser Gesetzgebungsperiode bis 2018 zu unternehmen.

Der nicht übertrieben große Eifer der Gewerkschaft ist nicht überraschend. Schließlich hat der ÖGB als Dachorganisation der Teilgewerkschaften in seiner internen Struktur diese Trennung über die Jahre festgeschrieben. Daher gibt es nach wie vor die Gewerkschaft der Privatangestellten (nun fusioniert mit den Druckern zur GPA-DJP). Die denkt als größte Einzelgewerkschaft nicht daran, diese Mauer zu den Arbeitern niederzureißen. Dünkel im Verhältnis von Arbeitern und Angestellten sind genauso wenig wie zu Dallingers Zeiten überwunden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.03.2014)

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