Gesundheitsreform: Die All-inclusive-Praxen kommen

ARCHIVBILD: ILLUSTRATION ZU BEVORSTEHENDEN STREIK DER AERZTE AM 8.NOVEMBER
ARCHIVBILD: ILLUSTRATION ZU BEVORSTEHENDEN STREIK DER AERZTE AM 8.NOVEMBER(c) APA (PATRIK SEEGER)
  • Drucken

Gruppenordinationen sollen spätestens 2016 zur Normalität in Österreich werden. Daneben wird es medizinische Beratung via Telefon und Internet geben. Haftungsfragen sind noch ungeklärt.

Wien. Viel Zeit bleibt nicht mehr. Ende Juni muss das Konzept für eine neue Primärversorgung fertig sein – so steht es im Vertrag für die Gesundheitsreform, den Bund, Länder und Sozialversicherungen gemeinsam aufgesetzt haben. Bis 2016 soll die neue Struktur dann in den Ländern umgesetzt werden.

Mit Primärversorgung ist im Wesentlichen die erste Anlaufstelle im Gesundheitssystem gemeint. Früher war das meist der Hausarzt. Doch immer mehr Patienten, vor allem in den Städten, gehen heute gleich ins Krankenhaus. Nicht nur in Notfällen. Untersuchungen haben gezeigt, dass etwa die Hälfte aller Patienten, die in einer Ambulanz vorstellig werden, genauso gut im niedergelassenen Bereich behandelt werden könnte.

Um die Spitäler und ihre überfüllten Ambulanzen zu entlasten, sollen die Patienten in die Arztpraxen umgeleitet werden (wo die Behandlung meist auch billiger ist). Die Frage ist nur: Wie? Ambulanzgebühren gelten als politisch überholt. In einer Reformgruppe, die von Minister Alois Stöger (SPÖ) geleitet wird und in die Vertreter aus allen Bereichen des Gesundheitswesens eingebunden sind, werden daher völlig neue Zugänge diskutiert. Dabei läuft alles auf ein Modell hinaus, das den Arbeitstitel „Gesundheitsnetzwerk“ trägt, wie Stöger am Dienstag der „Presse“ angekündigt hat. In der Schweiz oder Israel wird es bereits erfolgreich eingesetzt. Die Pläne im Detail.

• Gesundheitsnetzwerk heißt, dass der Patient mit einem Team vernetzt wird, das sich aus verschiedenen Gesundheitsdienstleistern zusammensetzt: einem Allgemeinmediziner vor allem, aber auch mit Krankenpflegern, Physiotherapeuten, Psychotherapeuten, Sozialarbeitern, Ernährungsberatern etc.

• Das Netzwerk kann im selben Gebäude – als Gruppenpraxis – eingerichtet oder auch dezentral organisiert sein. Viele Allgemeinmediziner sind heute schon sehr gut mit anderen Branchen vernetzt, allerdings „nur informell“, sagt Stöger. Im neuen Modell soll die Vernetzung systemimmanent werden.

• Die ersten Pilotversuche starten im Herbst: jedenfalls in Enns, wo ein solches Netzwerk Aufgaben des Spitals übernehmen soll, das gerade verkleinert wird. Dem Vernehmen nach könnte der Versuch gleich auf ganz Oberösterreich ausgedehnt werden. Stöger wollte das aber noch nicht bestätigen.

• Fix ist hingegen, dass Servicestellen eingerichtet werden, die rund um die Uhr medizinische Erstberatung anbieten. Am Telefon vor allem, aber auch webbasiert. Das seien Hotlines, keine Praxen, präzisiert Hauptverband-Chef Hans Jörg Schelling (siehe auch Interview auf Seite 2). Derzeit läuft noch die technische Ausschreibung. Mit den Testläufen will man im Herbst, spätestens aber 2015 beginnen – und zwar in Niederösterreich und Vorarlberg. Laut Stöger soll es am Ende zumindest eine Hotline pro Bundesland geben.


• Durch die Gruppenpraxen werden auch längere bzw. flexiblere Öffnungszeiten rechtlich möglich. Das soll zu mehr Angeboten am Abend und an den Wochenenden führen. Das Ziel sind 48 bis 72 Wochenstunden, derzeit sind 24 das Limit.


• Die Sozialversicherungen wollen auch neue Kassenverträge vergeben – nämlich einen für zwei Ärzte. Der eine ordiniert am Vormittag, der andere am Nachmittag. So könne es vielleicht besser gelingen, Familie und Beruf zu vereinbaren, meint Schelling.

Ärztekammer? „Konstruktives“ Klima

• Offen ist die Frage der Berufsrechte bzw. der Haftungen. Die zentrale Rolle in den Gesundheitsnetzwerken ist weiterhin dem Arzt zugedacht, er soll der medizinisch Letztverantwortliche sein. Die Ärzte fürchten jedoch, dass sie gewisse Dinge nicht entscheiden können, aber trotzdem dafür haften.

„Da haben wir in den nächsten Wochen noch einige Hürden zu überwinden“, räumt der Hauptverband-Chef ein. Allerdings sei die Ärztekammer mit drei Vertretern in die Verhandlungen eingebunden. „Und diese verlaufen bis dato sehr konstruktiv.“

Weitere Infos:www.diepresse.com/gesundheitspolitik

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.04.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

PK PR�SENTATION DER ARZNEI & VERNUNFT LEITLINIE ´ANTIKOAGULANTIEN´: SCHELLING
Gesundheit

Schelling: „Mehr Wettbewerb bei den Krankenkassen zulassen“

Der Datenschutz sei ein schlechtes Argument gegen ELGA, sagt Sozialversicherungs-Chef Schelling. PCs von Ärzten wären leichter zu hacken.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.