ELGA: "Wir haben vor Mehraufwand und Kosten Angst"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ab Herbst werden in der Elektronischen Gesundheitsakte (ELGA) verschiedene Daten und Befunde gespeichert. Was sind die Vor-, was die Nachteile des Systems? Minister Stöger und Ärztekammer-Chef Wechselberger im Streitgespräch.

Die Presse: Herr Wechselberger, haben Sie sich schon von ELGA abgemeldet?

Artur Wechselberger: Nein.

Warum nicht? Der Hausärzteverband warnt ja davor, dass ELGA für die eigenen Daten gefährlich werden kann.

Wechselberger: Nachdem bis Ende des Jahres noch keine Daten auf ELGA gespeichert werden, habe ich noch Zeit zu überlegen.

Sobald Befunde im System sind, sollte man sich also Sorgen machen?

Alois Stöger: Nein. Es ist ein großer Nutzen für Arzt und Patienten, dass der Allgemeinmediziner den Befund seiner Kollegen kennt. Dadurch kann er eine noch qualifiziertere Diagnose stellen.

Wechselberger: Hier werden Hypothesen als Tatsachen hingestellt. Als Allgemeinmediziner weiß ich, dass das so nicht stimmt. Wir haben schon ein gutes elektronisches Informationsaustauschsystem. Es ermöglicht den sogenannten gerichteten Datenaustausch. Das bedeutet: Ich weise einen Patienten zu einem bestimmten Facharzt zu und bekomme die Befunde verschlüsselt zurück.

Stöger: Jetzt gehören die Daten den Ärzten. In Zukunft werden die Daten dem Patienten zurückgegeben. Der Patient soll entscheiden, wer auf Daten zugreifen kann.
Wechselberger: Jetzt kann auch jeder Patient zum Arzt gehen und eine Abschrift vom Befund bekommen. Die Stärkung der Patientenautonomie durch den elektronischen Zugriff ist sehr eingeschränkt: Gerade ältere Menschen haben oft keinen Zugang zu elektronischen Medien.

Stöger: Man soll ältere Menschen nicht unterschätzen. Es haben viele Zugang zu elektronischen Medien. Aber wir haben auch bei der Patientenanwaltschaft Ombudsstellen eingerichtet, die Menschen unterstützen.

Haben Ärzte Angst vor Mehraufwand?

Wechselberger: Ja, wir haben unzweifelhaft vor einem Mehraufwand und vor Mehrkosten Angst. Als Interessenvertretung sind wir an einer Arbeitsgruppe des Ministeriums beteiligt, um den Ärzten diese Ängste zu nehmen. Wir fordern etwa eine Suchfunktion für das System, über die man gezielt Informationen abrufen kann. Jetzt muss ich mir PDF-Files herunterladen.
Stöger: Wir werden testen, wie das System in der Praxis funktioniert. Befunde müssen so hinterlegt werden, dass sie die Arbeit vereinfachen. Dazu müssen sie aber auch auf einem gewissen Level erstellt werden. Das wird den Arbeitsgang verändern.

Der Hausärzteverband ist gegen diese Veränderung. Wäre die Akzeptanz für ELGA höher, wenn man von Anfang an die Frage nach der Entschädigung geklärt hätte?

Stöger: Es gibt eine Entschädigung. Ärztliche Leistungen werden schon bezahlt.

Aber es gibt keine zusätzliche Entschädigung für ELGA.

Stöger: Nein, weil es keine Computerentschädigung gibt. Ärztliche Leistung wird in Österreich bezahlt, und das gar nicht einmal so schlecht. Aber wie sie bezahlt wird, ist ein Verhandlungsergebnis zwischen Ärztekammer und Krankenkassen.

Wechselberger: Derzeit ist ELGA ein Gesetz zulasten Dritter – also Ärzte und Spitäler. Daher fordern wird, dass die Mehrkosten, die durch ELGA entstehen, etwa von Sozialversicherungen bezahlt werden.

Stöger: Die Ärztekammer kann mit ihren Sozialversicherungsträgern verhandeln. Da mische ich mich nicht ein.

Wechselberger: Da möchte ich Sie aber an Ihre Zusage erinnern, dass der Bund Mittel vorgesehen hat, um Ärzte zu unterstützen.

Stöger: Wir werden sie bei den Grundfunktionen unterstützen. Die Regierung sollte aber nicht ärztliche Tarife festlegen.

Wechselberger: Aber wenn der Staat schon eine Investitionsnotwendigkeit vorgibt, muss er sich darum kümmern, dass Kassenärzte und Spitäler irgendwie aus dieser Kostenfalle herauskommen können.

Stöger: Von einer Kostenfalle würde ich nicht reden. Es geht darum...

Wechselberger: Wir sind gebrannte Kinder!

Stöger: ...sich weiterzuentwickeln! Auch in anderen Arbeitsfeldern ist Innovation zu tragen und abzugelten.

Wechselberger: Wir sprechen hier nicht von freier Wirtschaft, wo wir Kosten auf Kunden umwälzen. Es führen so viele Dinge zu einer großen Veränderung im Arbeitsumfeld. Aber das Mitnehmen der Leute bei dem Wechsel, das Nehmen von Ängsten und das Geld in die Hand zu nehmen, das brauchen wir jetzt. Und daran arbeitet die Ärztekammer.

Das sind die Ängste der Ärzte. Die Patienten fürchten sich vor allem um die Sicherheit ihrer Daten.

Stöger: Der Patient kann entscheiden, wer auf Daten zugreifen kann. Das wird auch protokolliert. Mit ELGA wird der Datenschutz also ganz massiv verbessert.

Wechselberger: Das ist nur ein Teil der Fakten. Zum einen muss man wissen, dass die Datenleitungen zwar gesichert sind. Aber bei Datenspeichern hat man keine Verpflichtung, die Daten verschlüsselt abzulegen. Wenn ein Datenleck besteht, kann jemand von außen auf alle Daten – etwa eines Bundeslandes – zugreifen. Zum anderen kommt das Protokoll immer erst im Nachhinein. Und es wird nur protokolliert, welche Stelle zugegriffen hat – nicht welche Person.
Stöger: Es gibt keinen großen Datenspeicher, Daten sind dezentral angelegt. Auch Datenschützer sagen, dass das ein gutes Modell ist.

Nein, Arge Daten hat beispielsweise sehr wohl Bedenken geäußert.

Stöger: Ja. Aber sie sagen, dass es unattraktiv für Hacker ist, weil bei ELGA keine gesammelten Daten vorhanden sind.

Wechselberger: Es gibt hier immer nur die halbe Wahrheit. ELGA ist kein rein dezentrales System. Viele Krankenanstaltgesellschaften werden sich eigene „Affinity Domains“ zulegen. Alle Daten der Spitäler eines Landes sind in einer solchen Einheit gespeichert.

Stöger: Das gibt es ja jetzt schon.

Wechselberger: Bald kann man aber auf alle Daten eines Landes von außen zugreifen. Außerdem ist die E-Medikation ein Teil von ELGA. Die ist ein zentraler Datenspeicher.

Raten Sie also Ihren Patienten, sich von ELGA abzumelden?

Wechselberger: Ich rate ihnen, es sich zu überlegen. Welche Daten haben sie? Besteht die Gefahr, dass sie in die falschen Hände geraten? Man muss sie auf die Eventualitäten vorbereiten. Es gibt Patienten, die sehr mobil sind, aber auch jene, die eine schwerwiegende Erkrankung haben, bei der es relevant ist, an einer anderen Stelle die Befunde gleich zu haben. Das muss jeder für sich entscheiden.

Warum ist man als Patient automatisch bei ELGA dabei und muss sich erst abmelden, wenn man dagegen ist? Hatten Sie Angst, dass sich keiner dafür anmeldet?

Stöger: Nein, aber man muss ein System aufstellen, das für alle funktioniert. Das braucht für den Start alle Personengruppen. Wenn man nicht angemeldet ist, aber das System bei Erkrankung dann braucht, ist es zu spät.

ZUR PERSON

Alois Stöger (SPÖ) ist seit Dezember 2008 Bundesminister für Gesundheit. Davor war Stöger unter anderem Obmann der Oberösterreichischen Gebietskrankenkasse und Sekretär der Gewerkschaft Metall-Bergbau-Energie. Der 53-Jährige ist gebürtiger Linzer und absolvierte eine Lehre als Maschinenschlosser. Außerdem schloss er das Fernstudium der Sozialen Praxis an der Marc-Bloch-Universität in Straßburg ab.

ZUR PERSON

Artur Wechselberger ist seit Juni 2012 Präsident der Österreichischen Ärztekammer. Gleichzeitig ist er auch Chef der Tiroler Ärztekammer. Der praktische Arzt aus Hall in Tirol gilt als ÖVP-nahe. Seine Praxis in Tirol hat er nicht aufgegeben, er reist jede Woche nach Wien. Seit 1998 ist der 61-Jährige Lehrbeauftragter für Allgemeinmedizin an der Universität Innsbruck bzw. an der Medizinischen Universität Innsbruck.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.04.2014)

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