„Zuständig für die gerechte Verteilung des Wohlstands“

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Alfred Gusenbauer sieht nicht ein, „warum es den Menschen nicht gut gehen sollte“, will aber kein „Wellnesskanzler“ sein.

Die Presse: Welche Schulnote würden Sie der Bundesregierung im Jahreszeugnis geben?

Alfred Gusenbauer: Was den Inhalt betrifft, „gut“, was die äußere Form der schriftlichen und mündlichen Arbeit betrifft, ein schwaches „Befriedigend“.

Vor allem im Thema Pflege regiert der Streit. Wird da ab dem Jahreswechsel das große Chaos herrschen?

Gusenbauer: Ich erwarte mir, dass bei allen – auch bei der ÖVP – Vernunft einkehren wird. Diejenigen, die sich bisher eine 24-Stunden-Betreuung zu Hause leisten konnten, werden sehen, dass das legale Modell in Wahrheit kostengünstiger ist, weil selbstständige Beschäftigung neben der beschlossenen Förderung auch als außergewöhnliche Belastung von der Steuer absetzbar ist.

Sie wollen damit wirklich sagen: Wer sich 24-Stunden-Betreuung bisher leisten konnte, wird das in Zukunft noch besser können?

Gusenbauer: So ist es. Und für diejenigen, die sich das bisher nicht leisten konnten, werden wir eine andere Lösung finden müssen. Die 24-Stunden-Betreuung zu Hause ist ja nur ein Teil des Pflegeproblems. Daneben gibt es noch mobile und stationäre Betreuungsformen, die wir unterstützen müssen. Der Sozialminister arbeitet daran.

Zum Auslaufen der Amnestieregelung für eine illegale 24-Stunden-Betreuung hat der niederösterreichische Landeshauptmann Erwin Pröll angekündigt, Verstöße nicht ahnden zu lassen.

Gusenbauer: Die Nähe von Landtagswahlen bestimmt das Ausmaß des so genannten „Landeshauptmann-Populismus“.

Ist illegale Betreuung zu ahnden, wenn es eine Anzeige gibt?

Gusenbauer: Wenn es eine Anzeige gibt, wird sich die Behörde damit auseinandersetzen müssen. So wie bei jeder anderen Anzeige auch.

Soll die Behörde im vorliegenden Fall nachsichtiger sein?

Gusenbauer: Ich bin nicht der Behördenleiter. Aber ich sage, nachdem Österreich ein Rechtsstaat ist, wird jedes Gesetz im gleichen Ausmaß praktiziert.

Innenminister Platter hat entschieden, Arigona Zogaj abzuschieben. Unterstützen Sie das jetzt oder lehnen Sie das ab?

Gusenbauer: Nachdem das Asylverfahren abgeschlossen war, hatte Günther Platter die Möglichkeit, Aufenthalt aus humanitären Gründen zu gewähren oder eben nicht zu gewähren. Er hat sich in seiner Ministerverantwortung dafür entschieden, keinen Aufenthalt zu gewähren. Was die Menschen dabei schwer verstehen, ist, dass der Wirtschaftsminister nach Indien reist, um dort Facharbeiter anzuwerben und gleichzeitig eine junge, voll integrierte Frau (Arigona Zogaj), die die Chance hat, eine Fachausbildung zu machen, abgeschoben wird.

Soll sie bleiben dürfen?

Gusenbauer: Günther Platter hat als verantwortlicher Minister entschieden.

„So feig muss man nicht sein“, hat Ihnen der oberösterreichische SPÖ-Landesrat Ackerl ausrichten lassen.

Gusenbauer: Ich ersuche Josef Ackerl seine Kritik an jene zu richten, die die Verantwortung dafür tragen.

Die Gesundheitsfinanzierung zählt zu den größten Herausforderungen. Die Wiener Gebietskrankenkasse behauptet, pleite zu sein.

Gusenbauer: Nicht nur die Wiener Gebietskrankenkasse hat große Probleme, sondern – in dieser Reihenfolge – auch die Niederösterreichische, die Kärntner und die Steirische. Bevor wir darüber reden, woher das Geld kommen soll, um die Kassen zu sanieren, müssen die betroffenen Krankenkassen sagen, worin ihr Beitrag besteht. Diese Diskussion werden wir ihnen nicht ersparen.

Gibt es Tabus?

Gusenbauer: Tabu ist die medizinische Versorgungsqualität; die wollen wir nicht einschränken, sondern ausbauen. Über alles andere muss man nüchtern diskutieren.

Auch über die Selbstverwaltung?

Gusenbauer: Auch über die Form der Selbstverwaltung wird man diskutieren: Ob die bisherigen Strukturen in Stein gemeißelt sind oder Verbesserungsbedarf besteht.

Es ist bereits von Zwei-Klassen-Medizin die Rede.

Gusenbauer: Die privaten Krankenversicherungen haben eine sehr nützliche Funktion, weil sie einen wesentlichen Beitrag zu Gesundheitsfinanzierung leisten.

Haben Sie eine Privatversicherung?

Gusenbauer: Nein, ich habe keine. Was mich aber stört, ist, wenn jemand gegen Geld einen früheren Operationstermin bekommt. Das ist absolut inakzeptabel. Das ist Korruption und damit muss daher Schluss gemacht werden.

Weil wir übers Sparen geredet haben: Was ist mit der Staatsreform?

Gusenbauer: Die Staatsreform wird Stück für Stück umgesetzt. Dinge, die Einsparungen bringen könnten, nämlich die Kompetenzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften, liegen noch vor uns. Das wird ein hartes Stück Arbeit.

Was ist da konkret zu erwarten?

Gusenbauer: Sicher interessant wird zum Beispiel, wie die Frage der Schulkompetenzen gelöst wird: Da eine Ministerialbehörde, dort die Landeschulräte plus allem, was dazugehört.

Die großen Einsparungen wird das aber noch nicht bringen. Was ist insgesamt drinnen? Drei Milliarden?

Gusenbauer: Die Industriellenvereinigung spricht von drei Milliarden Euro, doch daran ist aus meiner Sicht nicht zu denken. Wir wären glücklich, wenn wir längerfristig eine Milliarde Euro einsparen könnten.

Ist die ORF-Gebührenerhöhung akzeptabel?

Gusenbauer: Der ORF hat es nicht einfach: Der Finanzminister wurde seitens der Unternehmensführung ersucht, so wie er es bis 2000 getan hat, die Gebühren für all jene Österreicher zu überweisen, die die Republik davon befreit hat. Molterer hat das abgelehnt. Auch eine Nulllohnrunde war nicht durchzubringen. Deshalb musste der Generaldirektor andere Vorschläge machen.

Die USA haben Vorbehalte gegen das OMV-Engagement im Iran. Ist das berechtigt?

Gusenbauer: Die Vorgangsweise ist unerhört: Sie sind selber vor Ort engagiert und sagen, die OMV müsse draußen bleiben. Das ist nicht nachvollziehbar.

Bei Shell wurden in Bezug auf Nigeria auch hohe menschenrechtliche Standards angesetzt.

Gusenbauer: Ein großer Teil der Bodenschätze, die wir nutzen, lagert in Ländern, in denen die Menschenrechte nicht das Primat der Politik sind. Wenn man Öl und Gas nur aus entwickelten Demokratien bezieht, haben wir relativ rasch ein Mengenproblem.

Die sozialdemokratische Tradition „Menschenrechte vor Ökonomie“ gilt nicht mehr?

Gusenbauer: Sie hat nie gegolten.

Wie wird die Regierung ihren ersten Jahrestag feiern?

Gusenbauer: Wir werden heute einen Bilanzministerrat abhalten, nichts Spektakuläres.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat unlängst geschrieben, diese Regierung regiere nicht, sie amtiere.

Gusenbauer: Wir haben zwei wesentliche Veränderungen erreicht, die nicht von „Amtieren“ kommen können: Österreich ist sozialer geworden, da ist eine Kurskorrektur erfolgt. Pensionserhöhung, bedarfsorientierte Mindestsicherung, gestiegene Sozialausgaben – das sind Elemente, die dazu da sind, den sozialen Zusammenhalt zu stärken. Außerdem hat „Zukunft, Bildung, Wissenschaft, Innovation“ einen anderen Stellenwert als vor zwei, drei Jahren.

Sind Sie ein „Wellnesskanzler“, der den Menschen keine Opfer abverlangen will?

Gusenbauer: Ich sehe nicht ein, wieso es den Menschen in einem Land mit einem sensationellen Wirtschaftswachstum nicht gut gehen sollte. Also, falls jemand glaubt, dass meine Aufgabe darin besteht, zu sagen, es geht uns zwar wunderbar, aber die Bevölkerung soll jetzt einmal büßen – das ist nicht meine Aufgabe. Ich bin dafür zuständig, dass der Wohlstand in diesem Land gerecht verteilt wird. Wobei es manchmal natürlich Dinge gibt, die aus guten Gründen erledigt werden müssen. So war es nicht populär, die Mineralölsteuer zu erhöhen, aber aus Umweltschutzgründen notwendig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2007)

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