Auf der Suche nach dem Mittelstand

Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Politik umwirbt den Mittelstand. Doch niemand legt sich fest, was er darunter versteht. 12 Prozent der Österreicher zahlen 40 Prozent der Steuern. Ihre Entlastung ist offen.

Wien. Kein Politiker kennt, doch alle beschwören ihn: der Mittelstand. Er wird bis zu den nächsten Wahlen von den Parteien so eifrig umworben werden wie keine andere Bevölkerungsgruppe.

„Mittelstand“: Abhängig von der ideologischen Duftnote des Betrachters sind das die „Leistungsträger“ (so die Industriellenvereinigung) oder jene Menschen, die unter der ÖVP-FPÖ/BZÖ-Regierung „die Hauptlast der Konsolidierungspolitik getragen haben“ (das meint Bundeskanzler Gusenbauer).

Wer also ist der heiß umworbene Mittelstand? Die „Presse“ hat die Aussagen der Parteien in den letzten Monaten analysiert und folgende Gruppe ermittelt: Zum Mittelstand zählt in Österreich jemand, der monatlich ungefähr zwischen 2000 und 5000 Euro brutto verdient.

Jeder Achte ist betroffen

Das sind nicht sehr viele Menschen. Doch sie finanzieren den Staat. In der aktuellsten integrierten Lohn- und Einkommensteuerstatistik (für das Jahr 2004) fielen 973.987 „Steuersubjekte“ in diese Einkommensgruppe. Also jeder achte Mensch in diesem Land.

Diese zwölf Prozent der Bevölkerung (oder jeder vierte Werktätige) zahlen einen überdurchschnittlich großen Teil der Lohn- und Einkommensteuer. 41,8 Prozent waren es vor vier Jahren.

Wegen der kalten Progression dürfte der Mittelstand 2008 noch mehr Steuer zahlen. Denn mit jeder Gehaltserhöhung rückt man als mittelprächtig verdienender Mensch näher an (und über) die nächste Steuerstufe. Ohne freilich real reicher geworden zu sein.

Darum soll der Mittelstand entlastet werden. Drei Milliarden Euro möchten SPÖ und ÖVP dann an die Bürger verteilen. Und das rechtzeitig vor der Nationalratswahl.

Bloß wird das nicht einfach. Denn den Mittelstand eint fast nichts. Vier von zehn sind Angestellte. Jeder Sechste ist Arbeiter. Sie würde eine Lohnsteuerreform entlasten. Etwa eine Milderung der Progression.

Eine Senkung des Spitzensteuersatzes von 50 Prozent käme hingegen besonders gut bei den zehn Prozent Selbstständigen unter den Mittelstandsbürgern an, die trotz nominell gleich hoher Steuersätze benachteiligt sind, weil sie kein gering versteuertes Urlaubsgeld haben. Pointiert gesagt: Warum sollte ein Tischler einen Betrieb gründen und bis zur Hälfte seines Gewinns an den Staat abliefern, wenn er als Angestellter einer Möbelmarkt-Filiale dank Steuerbegünstigung des 13. und 14. Gehalts höchstens 43,7 Prozent berappt?

Eine heiße Frage. Genauso wie jene, wie man die 18 Prozent entlasten soll, die dem Staat dienen. Oder die 15 Prozent Pensionisten.

Budgetüberschuss als Bedingung

Sicher ist nur eines: Die von der Regierung für 2010 versprochene Entlastung wird es nur geben, wenn selbige Regierung bis dann das Budgetdefizit in einen leichten Überschuss dreht. Ob dies gelingt, ist angesichts der dunklen Wolken über dem Himmel der Weltwirtschaft und der stockenden Verwaltungsreformen mehr als fraglich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.01.2008)

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