Tschetschenen-„Affäre“: Haider attackiert Polizei

AP (HANS PUNZ)
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Villachs Exekutive soll Bürgern von Anzeigen gegen Gewalttäter abgeraten haben. Polizei dementiert, Stadt prüft sogar Klage.

Villach. Die Affäre um 18 aus Kärnten „abgeschobene“ Asylwerber aus Tschetschenien erreichte Donnerstag die nächste Eskalationsstufe. Landeshauptmann Jörg Haider behauptete in einem Interview mit der Austria Presseagentur nämlich, dass die Polizei der Stadt Villach Bürgern dazu geraten haben soll, Anzeigen gegen gewalttätige Tschetschenen zurückzuziehen, weil sie sonst „Schwierigkeiten“ mit Asylwerbern bekommen könnten.

Weiters warf er Exekutive und der „roten Stadtverwaltung“ vor, Verbrechen verharmlost zu haben. Polizei und Stadt weisen die Vorwürfe zurück, das Villacher Rathaus will sogar gegen die Behauptung klagen.

Hintergrund der Aufregung ist eine wilde Schlägerei zwischen tschetschenischen Asylwerbern und einheimischen Jugendlichen in der Neujahrsnacht in Villach. Mehrere Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Haider hatte als Konsequenz 18 mutmaßliche Gewalttäter aus „seinem“ Bundesland „abgeschoben“. Menschenrechtsorganisationen hatten stets darauf hingewiesen, dass die Schuld der Verdächtigen keineswegs erwiesen sei. Jetzt werden noch andere, bemerkenswerte Details in der Causa bekannt. „Presse“-Recherchen im Innenministerium ergaben, dass Haider keine Rechtsgrundlage für die Aktion hat. Laut Vereinbarung zwischen Bund und Ländern ist es nämlich die Pflicht der Landesbehörden, für die Unterbringung von Asylwerbern zu sorgen. Dennoch verweigerte Haider den Tschetschenen eine Unterkunft. Das Innenministerium übernahm die Asylwerber dennoch aus „Good-Will“, wie es heißt, und brachte sie im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen unter.

Weiters stellte sich inzwischen heraus, dass lediglich zwei der 18 Tschetschenen unter Verdacht stehen, an der Villacher Massenschlägerei beteiligt gewesen zu sein.Markus Plazer, Leiter der Sicherheitspolizeilichen Abteilung in Villach, wies Haiders Vorwürfe scharf zurück. Bei den kolportierten Strafrechtsdelikten sei die Exekutive nämlich von sich aus verpflichtet, die Vorfälle zu überprüfen.

Das SPÖ-regierte Villacher Rathaus hat den Verharmlosungs-Vorwurf Haiders von einem Anwalt prüfen lassen. Der ist der Meinung, dass die Aussagen des Landeshauptmanns den Tatbestand der Rufschädigung erfüllen. Das Einbringen einer Klage werde derzeit geprüft, sagte Vizebürgermeister Richard Pfeiler.

Aggressionen aufgeschaukelt

Weiters zeigen die Recherchen, dass die Schlägerei – anders als von Haider und manchen Medien dargestellt – kein Willkürakt einer tschetschenischen Schlägerbande war. „Der Zwischenfall in der Neujahrsnacht war an Brutalität kaum zu überbieten. Tatsache ist jedoch, dass sich die Aggressionen zwischen zwei Gruppen über eine ganze Nacht immer weiter aufgeschaukelt haben und es schließlich zu offener Gewalt gekommen ist“, heißt es. Insgesamt waren 25 Personen an den Ausschreitungen im Villacher Lokal-Viertel beteiligt. Laut Polizei können die Ermittlungen noch Wochen dauern. Meinung Seite 40

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.01.2008)

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