Vorstoß für echtes Mehrheitswahlrecht

INTERVIEW. ÖVP-Minister Josef Pröll würde in Österreich gerne über das britische Wahlmodell diskutieren: Statt der Partei sollte der Kandidat im Vordergrund stehen.

Die Presse: Herr Minister, Sie gelten als Befürworter des Mehrheitswahlrechts. Sie haben aber noch nie konkret gesagt, welches Modell Sie sich wünschen. Was schwebt Ihnen denn vor?

Josef Pröll: Ich will Anstoß für eine ausgiebige Diskussion geben. Aber insgesamt behagt mir jenes Modell am meisten, bei dem die direkte Entscheidung in den Wahlkreisen gefällt wird und die Politiker damit den Bürgern unmittelbar verantwortlich sind. Wovon ich weniger halte, sind Hybrid-Modelle zwischen Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht.

Das heißt, vom Wunsch Ihres Minister-Kollegen Martin Bartenstein nach einem minderheitenfreundlichen Mehrheitswahlrecht halten Sie wenig?

Pröll: Gemeinsam mit Martin Bartenstein möchte ich die Diskussion vorantreiben. Das ist aber ein Modell, dass meiner Meinung nach nicht vorrangig verfolgt werden sollte. Aber alle Pläne gehören auf den Prüfstand und diskutiert. Vielleicht kommen wir am Ende der Diskussion auch dazu, dass wir beim jetzigen Wahlrecht bleiben sollen.

Wo sehen Sie denn die Probleme beim von Bartenstein gewünschten Wahlrecht? Fürchten Sie Schwierigkeiten durch die dann nur sehr knappe Mehrheit von einem einzigen Abgeordneten?

Pröll: Natürlich. Da ist man immer knapp an der Kante. Der Grundsatz „Klarheit durch Mehrheit“ ist dabei schon wieder gefährdet.

Sie sprechen sich also für eine Diskussion über ein echtes, ein klares Mehrheitswahlrecht aus?

Pröll: Im Endeffekt kann es nur dann ein neues System geben, wenn Politiker in den Regionen ihren Wählern stärker verpflichtet sind als bisher.

Soll man seine Abgeordneten dann gleich direkt wählen?

Pröll: Ich halte viel davon, das Listenwahlrecht zu hinterfragen und über die Persönlichkeitswahl zu reden. In England ist es so, dass der erste im Wahlkreis alles mitnimmt. Das ist zwar eine Extremform. Ob ein solches Modell auch in Österreich Sinn macht, sollte diskutiert werden.

Wenn man die Abgeordneten direkt wählt: Sollte am Wahlzettel überhaupt noch die Partei stehen oder nur mehr der Kandidaten-Name?

Pröll: Für diese Frage ist es jetzt noch zu früh. Aber ich möchte absolut auch diese Debatte führen. Ich will eine Diskussion mit allen Parteien, mit Experten und Bürgern führen.

Ein echtes Mehrheitswahlrecht würde bedeuten, dass die kleinen Parteien nicht mehr in die Regierungsverantwortung kommen . . .

Pröll: Jörg Haider hat fast das Gegenteil beweisen. Der startete mit fünf Prozent. 14 Jahre später, im Jahr 1999, war er an zweiter Stelle und schon knapp dran am zweiten Platz.

Beim Mehrheitswahlrecht könnten Ihrer Ansicht nach also etwa auch die Grünen oder die FPÖ leicht auf Platz eins kommen?

Pröll: Wenn Sie entsprechende Politik für die Bürger in den Wahlkreisen vor Ort machen, warum sollen die nicht in eine Mehrheitsposition kommen können? 1986 hätte Haiders Aufstieg auch niemand für möglich gehalten.

Wer müsste denn zustimmen, damit ein Mehrheitswahlrecht eingeführt wird?

Pröll: Eine Volksabstimmung ist absolut notwendig.

Ist die Zustimmung der momentan skeptischen Opposition ein Muss?

Pröll: Wir brauchen in Österreich eine andere Diskussionskultur. Wir sollen nicht gleich mit einem Beißreflex ausrücken. Wenn ein Vorschlag von der Partei X kommt, ist automatisch die Partei Y dagegen. Das ist so sinnlos und macht mich schon langsam unrund. Das halte ich für falsch.

Heißt das, dass man nach einer Volksabstimmung auch gegen den Willen der kleinen Parteien ein Mehrheitswahlrecht einführen sollte?

Pröll: Eine Volksabstimmung ist das stärkste Mittel der Demokratie. Aber ich gehe davon aus, dass man auch die kleineren Parteien mit an Bord holen wird.

Jetzt wird also einmal diskutiert, wann gibt es denn Ergebnisse?

Pröll: 2009 sollten wir zu einer Entscheidung kommen, ob man das Mehrheitswahlrecht einführen will: Ja oder Nein.

Das neue Wahlrecht könnte dann schon 2010 angewandt werden?

Pröll: Für 2010 sehe ich das neue Wahlrecht noch nicht. Es zu schaffen, wäre eine Aufgabe für die danach folgende neue Regierung.

Also: 2009 sollte man wissen, ob es ein neues Wahlrecht gibt und dieses dann gegebenenfalls ab 2015 anwenden?

Pröll: Das wäre der logische Schritt.

Glauben Sie, dass die Bevölkerung denn ein Mehrheitswahlrecht will?

Pröll: Ich habe sehr viel Zuspruch dafür, dass wir die Idee diskutieren.

Würde die Politikverdrossenheit durch ein neues Wahlrecht sinken?

Pröll: Ich denke schon, dass ein Teil der Politikverdrossenheit vom jetzigen anonymen Listenwahlrecht kommt. Da muss man über Alternativen nachdenken.

ÖVP-Klubchef Wolfgang Schüssel ist gegen das Mehrheitswahlrecht. Ist die ÖVP schon mutig genug, gegen Schüssels Willen ein Mehrheitswahlrecht zu beschließen?

Pröll: Die ÖVP wird ihre Meinung zu bilden haben. Nicht gegen oder für jemanden, sondern im Gesamten.

Beim Koalitionspartner SPÖ kommt noch keine richtige Debatte über das Mehrheitswahlrecht auf. Worin sehen Sie den Grund dafür?

Pröll: Wahrscheinlich hat das mit dem erwähnten automatischen Beißreflex zu tun. Sagt die eine Partei was, sagt die andere Nein. Schade. Gusenbauer war schon einmal für das Mehrheitswahlrecht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 15.02.2008)

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