Verfassungsgerichtshof hob in fünf Jahren 234 Gesetze auf

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Verfassungsgerichtshof (c) APA/HERBERT PFARRHOFER (HERBERT PFARRHOFER)
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Ein zentrales Verfassungsdokument müsse her, sagen die Neos. Dann würde bei Gesetzen mehr auf die Verfassung geachtet werden.

Wien. Der Verfassungsausschuss im Nationalrat ist nicht rasend schnell unterwegs, zumindest erweckt die Tagesordnung für kommenden Montag den Eindruck. So wird über den Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) aus dem Jahr 2012 beraten. Der Gerichtshof hat inzwischen schon den Bericht für 2013 vorgelegt.

Für Neos-Mandatar Nikolaus Scherak aber liegt das noch viel größere Problem in den Zahlen, die durch die Jahresberichte ans Tageslicht kommen. Insgesamt 234-mal habe das Höchstgericht Gesetze oder Gesetzesteile in den vergangenen fünf Jahren aufgehoben, hat Scherak ausgerechnet.

Im Vorjahr sah das Gericht in 44 der insgesamt 118 Gesetzesprüfungen Handlungsbedarf. Die Zahlen sind zwar nur bedingt aussagekräftig, weil sie nicht aussagen, wann und von wem die nun aufgehobenen Gesetze ausgearbeitet wurden. Aber sie würden über die Jahre hinweg sehr wohl zeigen, dass „das Bewusstsein“ der Politik fehle, sagt Scherak. „In den vergangenen Jahren gab es viele Gesetze, die glatt verfassungswidrig waren“, betont der Oppositionspolitiker.

Um das Problembewusstsein zu steigern, fordert Scherak ein einheitliches Verfassungsdokument in Österreich (so wie es das etwa in Deutschland gibt). Hierzulande existiert neben dem zentralen Bundes-Verfassungsgesetz aus 1920 noch eine Vielzahl weiterer Verfassungsnormen, die quer durch diverse Gesetze verstreut sind. Der Ruf nach einem zentralen Verfassungsdokument war etwa auch schon im Österreich-Konvent 2004 laut geworden. Umgesetzt wurde die Idee nie. Immerhin wurde in weiterer Folge der sogenannte „Verfassungsschotter“ verringert, indem viele nicht mehr benötigte Bestimmungen gestrichen wurden.

Manch merkwürdig anmutende Norm ist aber nach wie vor in Geltung, etwa die 94 Jahre alte Bestimmung, laut der sich die Grenzen der Gerichtsbezirke und der politischen Bezirke nicht überschneiden dürfen. Die Regierung ignorierte das aber unlängst, als es um die Zusammenlegung von Gerichtsbezirken in Oberösterreich ging. Die Verordnung wurde deswegen – was absehbar war – vom VfGH gekippt. In einer geplanten parlamentarischen Anfrage an Kanzleramtsminister Josef Ostermayer will Scherak daher nun wissen, welche Regierungsvorlagen der vergangenen fünf Jahre vom Verfassungsdienst im Kanzleramt begutachtet wurden und welche nicht. Insbesondere will der Mandatar wissen, ob die Behauptung der früheren Justizministerin Beatrix Karl richtig sei, laut der die Verordnung über die Bezirksgerichte nicht vom Verfassungsdienst beanstandet worden ist.

Werden künftig mehr Gesetze gekippt?

Die Zahl der Gesetze, die wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben werden müssen, könnte ab dem nächsten Jahr noch steigen. Durch die Einführung der Gesetzesbeschwerde können Bürger nämlich dann Zivil- und Strafgesetze, die sie in einem Prozess betreffen, selbst beim VfGH anfechten. Bisher war es den Zivil- und Strafgerichten vorbehalten, diese Gesetze dem VfGH vorzulegen. Der VfGH kann aber auch immer, wenn er eine Verfassungswidrigkeit in einer bei ihm anhängigen Materie vermutet, von sich aus eine formelle Gesetzesprüfung einleiten. Auch ein Drittel der Abgeordneten des Nationalrates kann beim VfGH eine Gesetzesüberprüfung verlangen.

Thematisch waren die vom VfGH aufgehobenen Normen in den vergangenen fünf Jahren breit gefächert: Vom Fortpflanzungsmedizingesetz (fehlende Samenspende für lesbische Frauen) über die Einhebung von Studiengebühren durch die Unis bis hin zur Anerkennung von Religionsgemeinschaften reichten die Fälle.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.05.2014)

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