Der ÖVP-Finanzstaatssekretär glaubt nicht, dass es beim Pensionsantrittsalter bereits eine Trendumkehr gibt.
Wien. Als wäre die Debatte um eine Reform des Steuersystems nicht schon Streitthema genug in der Koalition, stürzen sich SPÖ und ÖVP nun auch auf die Pensionen. Jochen Danninger, Finanzstaatssekretär der ÖVP, zweifelte am Donnerstag die Zahlen von Sozialminister Rudolf Hundstorfer (SPÖ) an. Das Sozialressort habe die Pensionsstatistik „schöngeschminkt“, schrieb Danninger in einer Aussendung. Hundstorfer bleibt bei seiner Position: Es gebe einen „echten Anstieg“ beim Pensionsantrittsalter.
Stein des Anstoßes war ein Hundstorfer-Interview im „Standard“. Darin vermeldete der Minister, dass das durchschnittliche Pensionsantrittsalter im vergangenen Jahr um mehr als acht Monate gestiegen sei. In den ersten fünf Monaten 2014 sei es bei 58,77 Jahren gelegen, im gleichen Zeitraum des Vorjahres bei 58,06 Jahren. In der Differenz sieht Hundstorfer „ein Zeichen, dass sich der Trend umkehrt“.
In den fünf Jahren davor war das faktische Pensionsantrittsalter (das gesetzliche liegt im ASVG bei 65 Jahren für Männer und 60 für Frauen) um nicht einmal fünf Monate gestiegen. Insgesamt. Hundstorfer betonte auch, dass die Zahl der Pensionseintritte heuer um ein Prozent gesunken sei. Außerdem habe der Zulauf in die Invaliditätspension – dank einiger verschärfender Maßnahmen – um 14 Prozent abgenommen.
Reha-Geld-Bezieher nicht eingerechnet?
Danninger aber wollte und will das so nicht stehen lassen. „Einen Anstieg des faktischen Pensionsantrittsalters um acht Monate in einem Jahr würden wir uns alle wünschen, aber in Wahrheit bewegen wir uns kaum von der Stelle.“ Hundstorfers Darstellung sei deshalb falsch, weil er die Bezieher von Rehabilitationsgeld nicht in die Berechnung miteinbezogen habe. Der Sozialminister ging auf diesen Vorwurf nicht näher ein, er meinte im ORF-Radio nur: Er habe diese Zahlen auch schon Finanzminister Michael Spindelegger (ÖVP) präsentiert – und in dessen Ressort seien sie zur Kenntnis genommen worden.
Kritik an Hundstorfer wurde inzwischen auch in der Wirtschaftskammer laut. „Wir brauchen keine statistische, sondern eine echte Trendumkehr“, befand Martin Gleitsmann, der Leiter der sozialpolitischen Abteilung in der WKÖ. Im Vorjahr habe sich das Pensionsantrittsalter bei 58,5 Jahren eingependelt, da sei ein Anstieg auf 58,77 Jahre nicht „besonders positiv zu bewerten“. Die entscheidende Frage sei, ob die Erhöhung auch budgetwirksam sei, sagte Gleitsmann.
Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, forderte „echte Strukturreformen“ im Pensionssystem, andernfalls werde die Bundesregierung ihr Ziel – sie will das faktische Pensionsalter bis 2018 auf 60,1 Jahre anheben – nicht erreichen. „Das bloße Herausrechnen von Personengruppen aus der Pensionsstatistik, die nunmehr ein Rehabilitations- oder Umschulungsgeld statt einer befristeten Invaliditätspension beziehen, löst die strukturellen Probleme nicht.“ Mit einer Trendumkehr habe das nichts zu tun, so Neumayer.
Khol gegen ÖVP
Seniorenbundobmann Andreas Khol stellte sich in dieser Debatte auf die Seite Hundstorfers und damit gegen seine Partei, die ÖVP. „Die apokalyptischen Reiter können einpacken. Wir lassen uns das Pensionssystem und auch die Arbeitseinstellung der Älteren in Österreich nicht länger schlechtreden“, ärgerte sich Khol. Dass der Sozialminister hier statistische Tricks anwende, um die Zahlen zu beschönigen, wies er zurück.
Der Pensionistenverband sieht das ähnlich. „Die gesetzlichen Maßnahmen wirken“, versicherte die SPÖ-Teilorganisation am Donnerstag in einer Aussendung. Für weitere Reformen gebe es daher keinen Bedarf mehr. Allerdings müssten „endlich“ auch die Unternehmen in die Pflicht genommen werden – und zwar mit einem „Bonus-Malus-System“. Dieser Meinung schloss sich auch Wifo-Expertin Christine Mayerhuber an: Neben Abschlägen für Arbeitnehmer, die in Frühpension gingen, brauche es Anreize und Boni für Betriebe, um die Menschen länger in Beschäftigung zu halten. (red./APA)
Gastkommentar von Rudolf Hundstorfer: Seite 27
("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.07.2014)