Asyl: Die wundersame Wandlung Mikl-Leitners

Mikl-Leitner
Mikl-Leitner APA/HELMUT FOHRINGER
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Analyse. Die Innenministerin präsentiert sich neuerdings als Flüchtlingsversteherin. Richtet sich die ÖVP neu aus?

Wien. Von wem stammt die Aussage: „Das Mittelmeer ist schon viel zu lang eine Todeszone"? Vom Papst? Nein, der hat beim Lampedusa-Besuch zum Tod von Flüchtlingen, die über das Mittelmeer kommen, gemeint: „Wer ist verantwortlich für das Blut? Niemand!" Von Caritas-Präsident Michael Landau? Auch nicht. Der hat in der „Presse am Sonntag" erklärt: „Europa schaufelt vor den Küsten von Griechenland, Malta, Italien ein Grab."
Das Zitat stammt von Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Sie begründet so ihren Vorstoß in der EU, ein gemeinsames Projekt zur Aufnahme von Flüchtlingen aus Afrika durchzuführen. In einem Resettlement-Programm, so der rechtlich korrekte Terminus, unter Patronanz des UN-Flüchtlingshochkommissariats.

Unerwarteter Applaus

Mikl-Leitner hat sich mit ihrer Aktion zwar vorerst - trotz Unterstützung aus Deutschland und Schweden - eine Abfuhr unter der Mehrheit ihrer EU-Ministerkollegen geholt. Noch, denn Verhandlungen laufen auf Beamtenebene weiter. Aber gleichzeitig hat Mikl-Leitner Applaus in Österreich von bisher für sie unerwarteter Seite erhalten: Mehrere in der Flüchtlingshilfe tätige NGOs loben mit einem Schlag Mikl-Leitner - von Caritas über Rotes Kreuz bis zum Verein Asylkoordination. Weshalb nun also dieser „Paradigmenwechsel", wie es die Innenministerin zutreffend selbst formuliert?

Erster Annäherungsversuch an eine Erklärung: Österreich klinkt sich gern in Initiativen Deutschlands ein. Nur, in diesem Fall ist, wie im Innenministerium versichert wird, Österreich selbst initiativ geworden.

Zweiter Versuch: Auch Österreichs Politik und die Hochbürokratie sind gegen den Franziskus-Effekt nicht immun. Die fortwährenden Mahnungen des Papstes, Europa möge seine Hartherzigkeit gegenüber Flüchtlingen ablegen, könnten Wirkung zeigen.

Ministerin ist „auch ein Mensch"

Denn infolgedessen verspüren auch jene Organisationen Rückenwind und verstärken ihren Druck, die seit Jahren genau dies fordern, bis hin zur katholischen Kirche.
Damit sind wir beim dritten Versuch einer Annäherung an eine Erklärung für die wundersame Wandlung Mikl-Leitners: Die ÖVP hat alles Interesse der Welt, nicht als vermeintlich „kalte" Partei der Kalkulierer und des Sparens wahrgenommen zu werden, das christlich-soziale Profil zu schärfen. Und sie ist jene Partei, die sich bei Wahlen auf die größte Unterstützung regelmäßiger Kirchgänger verlassen kann. Franziskus links liegen zu lassen kommt in dieser Klientel gar nicht gut.

Vierter Erklärungsversuch: Mikl-Leitner ist, selbst wenn sie als Innenministerin eine Law-and-order-Politik fährt, „auch ein Mensch", wie es in ihrer Umgebung heißt. Zu der Entscheidung sei es nicht von heute auf morgen oder durch Eingabe von oben gekommen. Sondern durch Gespräche in der Familie, durch Bilder, Berichte in Zeitungen...

Dabei ist Österreich - Anfangs in Abrede gestellt - schon 2013 in ein Ressetlement-Programm eingestiegen. Als beschlossen wurde, 500 Syrien-Flüchtlinge aufzunehmen. Heuer wurde das Kontingent um 1000 aufgestockt. Mit aktuellem Stand sind (erst) 404 Syrer im Land, großteils über die Erzdiözese Wien. Für den Rest ist das UNHCR zuständig. Dort werden alle Fälle genau geprüft. Bevor Asyl von Amts wegen gewährt wird, unterzieht der Verfassungsschutz die Betroffenen einem Sicherheitscheck. Ein Mitarbeiter erklärt: „Wir wollen ja keine Jihadisten in Österreich." Da hört sich auch für Mikl-Leitner der Spaß auf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.07.2014)

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