Lopatka: "Bei den Familien muss die ÖVP umdenken"

Reinhold Lopatka
Reinhold Lopatka(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Eine höhere Kinderbeihilfe helfe alleinstehenden Müttern wenig – es brauche mehr Kinderbetreuungseinrichtungen, sagt der Klubchef. Gleichgeschlechtliche Paare dürften nicht mehr länger diskriminiert werden.

Die Presse: Sie haben Kanzler Werner Faymann diese Woche aufgefordert, „aus dem Keller an die politische Oberfläche zu kommen“. Was wurde eigentlich aus dem neuen Regierungsstil?

Reinhold Lopatka: Der Stil ist das eine, die Arbeit das andere. Mir geht es darum, dass das, was im Regierungsprogramm steht, auch umgesetzt wird. Insofern war das eine Aufforderung, dass der Kanzler seine Erstverantwortung wahrnimmt.

Wollte man solche Unstimmigkeiten nicht intern klären?

Der Vorsatz ist geblieben. Wir haben die Punkte intern mehrfach angesprochen – etwa, dass das Pensionsmonitoring, wie vereinbart, mit Juli kommen muss. Aber irgendwann kommt der Punkt, an dem das auch sichtbar werden muss.

Sprich: an dem man über die Öffentlichkeit Druck ausüben muss.

Ein besseres Rezept kenne ich nicht.

Die SPÖ hat sich sofort mit Kritik an Finanzminister Michael Spindelegger bei der ÖVP revanchiert. Glauben Sie nicht, dass die Wähler langsam genug haben von diesen permanenten Sticheleien?

Ich habe mich zum ersten Mal kritisch geäußert, weil ich es für notwendig erachtet habe. Es kann ja nicht sein, dass ein Koalitionspartner ständig seine Positionen ändert.

Sie meinen, dass die SPÖ nun doch schon 2015 eine Steuerentlastung will.

Genau. Die Regierungsparteien haben Ende Mai gemeinsam einen Entschließungsantrag im Nationalrat beschlossen. Darin wird die Regierung aufgefordert, bis Ende 2015 einen Entwurf für eine Steuerreform vorzulegen. Und dann das.

Wenn der Koalitionspartner vertragsbrüchig wird, müsste man sich dann nicht konsequenterweise von ihm trennen?

Nein, ich sage ja nicht: vertragsbrüchig. In diesem Fall muss man die SPÖ nur an diesen Antrag erinnern.

Aber dieses wechselseitige Erinnern führt dazu, dass sich die Wähler von SPÖ und ÖVP abwenden. Die gemeinsame Mehrheit ist in Gefahr. Bestenfalls.

Das stimmt schon. Aber noch gefährlicher wäre es, dem Treiben der SPÖ zuzuschauen. Indem wir das nicht tun, wahren wir die Chance der Regierung, auch beim nächsten Mal eine Mehrheit zu bekommen.

Schuld ist immer der andere, nicht wahr?

Beide Parteien sind gefordert, in den eigenen Reihen dafür zu sorgen, dass die nötigen Reformen umgesetzt werden. Da gibt es in beiden Lagern genug Widerstände.

Welche Reformen sind nötig?

Wir müssen beim größten Kostentreiber ansetzen, bei den Pensionen. Da erwarte ich mir viel mehr Reformfreude vom Sozialminister.

Kritik an Rudolf Hundstorfer gehört neuerdings zum guten Ton in der ÖVP.

Sie müssen mich ausreden lassen. Wenn ich das einfordere, muss ich auch von den eigenen Leuten verlangen, dass das Bonus-Malus-System, das im Koalitionspakt festgeschrieben ist, umgesetzt wird.

Die Wirtschaft soll ihre Blockade aufgeben?

Blockade ist zu hart formuliert. Die Verzögerung sollte ein Ende haben.

Wie hoch sollen die Boni für Unternehmen sein, die ältere Arbeitnehmer beschäftigen – und wie hoch die Strafen für jene, die Ältere in Frühpension schicken?

Ich lege mich da nicht fest, das ist nicht mein Job. Aber es muss schon eine Zahl sein, die spürbar ist, also über eine Alibiaktion hinausgeht.

Der Kärntner Landeshauptmann, Peter Kaiser, hat vorgeschlagen, die Bundesregierung um die Grünen zu erweitern, um die Blockade zu beenden. Wäre das etwas?

Schöne Grüße nach Kärnten: Man soll zuerst seine Hausaufgaben machen, bevor man anderen gute Ratschläge erteilt. Es gibt kein anderes Bundesland, das dem Rest von Österreich so viele Sorgen bereitet.

Apropos Hausaufgaben: Die ÖVP überarbeitet gerade ihr Programm. In welchen Bereichen muss sich die Partei verändern?

Unser Programm stammt aus dem Jahr 1995, da wurde das Thema Integration noch kaum reflektiert. Auch bei den familiären Strukturen hat sich viel geändert. Wir müssen uns stärker mit neuen Formen des Zusammenlebens beschäftigen. Die sind genauso Lebensrealität.

Heißt das, die ÖVP soll gleichgeschlechtliche Ehen erlauben?

Das müssen wir breit diskutieren.

Wie lautet Ihre Position?

Alles, was in Richtung Diskriminierung gehen könnte, muss der Vergangenheit angehören. Alles.

Auch das Adoptionsrecht?

Es gibt derzeit zehnmal so viele heterosexuelle Paare, die ein Kind adoptieren wollen, als Kinder. Somit stellt sich die Frage gar nicht.

Wenn nur heterosexuelle Paare Kinder adoptieren dürfen, ist das dann nicht diskriminierend?

Nein. Wir haben internationales Recht zu beachten. Hier ist festgeschrieben, dass das Kind ein Recht auf Vater und Mutter hat.

Das ist nichts, was sich nicht ändern ließe.

Aber das ist meine Position.

Wie will die Familienpartei ÖVP die Geburtenrate steigern?

Die hängt eng mit einem dichten Netz an Kinderbetreuungseinrichtungen zusammen. Die skandinavischen Staaten und Frankreich sind da erfolgreich unterwegs, die haben einfach viel früher und viel stärker etwas in diese Richtung gemacht.

Man muss also weg von den Geld- und hin zu den Sachleistungen?

Das ist auch notwendig.

Das ist eine bemerkenswerte Aussage für einen ÖVP-Politiker.

Ja, bei den Familien muss die ÖVP umdenken. Die Erhöhung der Kinderbeihilfe hilft einer berufstätigen alleinstehenden Frau in Wirklichkeit wenig. Ihr Problem ist gelöst, wenn sie ihr Kind in eine Einrichtung geben kann, in der es von morgens bis abends beaufsichtigt wird. Das muss man einfach sehen.

Hat die ÖVP da eine Entwicklung verschlafen?

Die freie Wahl ist uns nach wie vor wichtig, aber wir haben lange übersehen, dass manche Probleme nur institutionelle Einrichtungen lösen können. Wobei diese Form der Kinderbetreuung nicht familienersetzend sein soll, sondern familienergänzend. Diese Einrichtungen können auch von Privaten geführt werden, aber öffentlich finanziert.

ZUR PERSON

Reinhold Lopatka (54) ist seit 2013 Klubobmann der ÖVP. Davor war er unter anderem Außenamtsstaatssekretär, Finanzstaatssekretär, Sportstaatssekretär und Generalsekretär der ÖVP.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2014)

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