Garten im Gleichgewicht der Kräfte

Schwalbenschwanzraupe
Schwalbenschwanzraupe(c) Woltron
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Muskatellersalbei und Holzbiene, Schwalbenschwanz und Fenchel, nachtduftende Blüten und Fledermäuse – alles steht mit allem in fantastischen Zusammenhängen.

Mit einem Garten ist es so: Erst formt ihn der Mensch, doch im Lauf der Jahre formt der Garten ihn. Meiner hat mittlerweile bis zu einem gewissen Grad das Kommando übernommen. Ich habe begonnen, ihm zu dienen – und das ist kein schlechter Zustand. Ein paar Beispiele: Im Bereich der Buchshecke wurden heuer erstmals seit Jahrzehnten endlich wieder Zauneidechsen gesichtet. Eidechsen! Meine kleinen Freunde von früher, wohin wart ihr denn so lange entschwunden?

Der Anblick der dicken Eidechsendame im Mai war ein großes Entzücken, denn angesichts ihrer Leibesmitte durfte davon ausgegangen werden, dass die Eiablage bevorstand. Vor Kurzem nun konnte, wieder im Bereich der Buchshecke, ein offenbar frisch geschlüpftes Eidechslein entdeckt werden.

Und das ausgerechnet unter dem Buchs, der wieder einmal vom Zünsler heimgesucht wurde, was sich anhand der nagenden Zünslerraupen ausmachen lässt. Krise! Giftige Substanzen zur Raupenabwehr scheiden wegen der Eidechsen aus. Der Buchs ist groß. Ich sammle die Raupen ab, ein Vorgang, den man früher als „Lausklauberei“ bezeichnet hätte, wobei der Zünslerbefall heuer deutlich schwächer als im Vorjahr ist. Frage an die Buchsbaumbeobachter: Kommt es nur mir so vor, oder haben die Vögel gelernt, Buchsbaumzünslerraupen zu fressen? Erfahrungsberichte sind unter ute.woltron@diepresse.com willkommen.

Weiteres Beispiel: Der Muskatellersalbei neigt dazu, sich mächtig auszusamen, hingegen wächst sich jedes an unmöglichen Stellen gekeimte Muskatellersalbeipflänzchen zu einem Giganten aus. An seinen lila Lippenblüten laben sich aber, neben vielen anderen, gern die großen schwarzblauen Holzbienen. Die wärmeliebenden Insekten fliegen bis in den August, zumindest in Gegenden, in denen es sie gibt. Wie kann man ihnen also ihre Lieblingsspeise wegnehmen, auch wenn sie meterhoch im Weg herumsteht? Bis der Salbei abgeblüht ist, gehe ich eben Umwege, selbst wenn sie über Steinmauern führen.

Weiter geht's: Da der Schwalbenschwanz, neben vielen anderen Faltern, gefährdet ist, wachsen in den Staudenbeeten seit ein paar Jahren vermehrt auch Pflanzen wie Fenchel und Dillkraut. Diese brauchen die Raupen als Nahrung. Wer einen besonders schönen Fenchel sucht, dem sei der Bronzefenchel empfohlen. Er schmeckt Raupe und Mensch genauso gut, ist aber purpur- bis bronzefarben. Aus dem selben Grund gibt es auch die Brennnesselecke unter dem Kirschbaum, Raupenfutter für Tagpfauenauge und Co., und den Faulbaum, die Kinderstube des Zitronenfalters.

Damit auch die nächtlichen Besucher nicht zu kurz kommen, dürfen sich die duftigen Nachtkerzen, Tabake, Staudenphloxe vermehren. Windenschwärmer, Taubenschwänzchen, Wiener Nachtpfauenauge, Totenkopfschwärmer, Ligusterschwärmer und andere Nachtgestalten durchschwirren die blütenparfumgeschwängerte Dunkelheit. Diese locken wiederum die Fledermäuse an. Großes und kleines Mausohr, Hufeisennase – wir sind dank Höhlen und Stollen und kleinteiliger Landwirtschaft hier im südlichen Niederösterreich immerhin eine der Gegenden, in denen diese fantastischen Tiere in noch halbwegs erfreulichen Populationsdichten vorkommen.

Wer sich von allzu säuberlichen Gartenstrukturen verabschiedet und die Angelegenheit ein wenig wilder wuchern lässt, wird reich belohnt. Überall tummelt sich Leben, überall zeigt sich, in welch feinen, verschlungenen und faszinierenden Zusammenhängen alles mit allem steht. Pestizide, Herbizide, Kunstdünger – sie schlagen in diese komplizierten Vernetzungen wie Bomben ein, auch wenn das nur der sehr aufmerksame Beobachter bemerkt. Wer jedoch ein paar Jahre sein Gärtchen mittels Kompostwirtschaft, Pflanzenjauchen und anderer harmloser, aber wirksamer Maßnahmen bewirtschaftet hat, wird feststellen, wie sich auch auf kleinem Raum ein Gleichgewicht der Kräfte einstellt. So ein Garten bringt jedem unweigerlich langsam und geduldig bei, dass wir wissen sollten, dass wir nichts wissen.

GARTENTIPPS

Gartenlaube. 29 Forscher verschiedener Fachrichtungen und aus der ganzen Welt haben über vier Jahre hinweg etwa 800 Einzelstudien ausgewertet und eben ihre Erkenntnisse präsentiert: Pestizide sind demnach weit schädlicher, als man bisher angenommen hat. Nicht nur Bienen und andere Bestäuberinsekten, sondern auch Vögel, Erdwürmer und Gewässer seien bedroht, fanden die Forscher heraus. Und sie fordern, die Notbremse jetzt zu ziehen. Nachzulesen unter: www.tfsp.info

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.07.2014)

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