"Peitscht sie weg": Der Mythos von Tannenberg

Paul von Hindenburg
Paul von Hindenburg(c) imago
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Trotz zahlenmäßiger Unterlegenheit befahl General Hindenburg im August 1914 eine Offensive gegen die Russen - und siegte an einem Ort, wo nicht gekämpft wurde.

Samstag, der 1. August 1914: Das Deutsche Reich erklärt Russland den Krieg - und die erste Niederlage folgt prompt. Schon am 14. August gelingt es den Russen, Marggrabowa zu erobern. Nächstes Ziel: Königsberg. Die Stadt soll in die Zange genommen werden - von Osten sollte die Njemen-Armee unter General Paul von Rennenkampff, von Süden die Narew-Armee Alexander Samsonows angreifen. Die beiden Armeen zählen an die 485.000 Mann. Ihnen entgegen stellen sich lediglich die 173.000 Mann der 8. Armee unter Generaloberst Maximilian von Prittwitz.

Die Russen sind siegessicher: Am 17. August kommt es zum ersten größeren Gefecht bei Stallupönen. Drei Tage später überlässt Prittwitz den Russen bei Gumbinnen voreilig das Feld und ordnet den Rückzug an. Generalstabschef Helmuth von Moltke entbindet Prittwitz von seinen Aufgaben. Er schlägt dem Kaiser vor, den 67-jährigen Paul von Hindenburg sowie den 49-jährigen Erich Ludendorff als Befehlshaber einzusetzen. Willhelm II. stimmt zu. Die beiden Männer eilen nach Ostpreußen, wo die Narew-Armee am 20. August in breiter Front die Grenze überschreitet.

In Deutschland läuft die Propagandamaschinerie indes auf Hochtouren. Um einer Demotivation der Soldaten entgegenzuwirken, gab etwa der Berliner Theaterkritiker Alfred Kerr folgende Parole aus: „Zarendreck, Barbarendreck, peitscht sie weg! Peitscht sie weg!"

Uncodierte Funksprüche und ein riskantes Manöver

Die Deutschen setzen einen Zeppelin ein, um die Stellungen der Gegner ausfindig zu machen. Zudem spielt ihnen die Technik in die Hände: Die Russen sind in Verschlüsselungstechniken nicht geübt - ihr Funksprüche setzen sie uncodiert ab. Hindenburg erfährt so von der geplanten Vereinigung der beiden Armeen. Um dies zu verhindern, wählt er ein riskantes Manöver: Am 26. August schickt er zwei Korps der Narew-Armee entgegen, deren Truppen nicht geschlossen, sondern in großen Abständen marschieren, was die Kommunikation erschwert.

Als die Russen bemerken, dass sie eingekesselt sind, bricht die Kommunikation völlig zusammen. Keiner der Generale ergreift die Initiative, einen Ausbruch zu organisieren. Die Truppenteile fließen in zunehmender Desorganisation durcheinander. Kleinere Einheiten versuchen spontan den Ausbruch, wodurch 10.000 Mann durch die dünne Linie der deutschen Kräfte entkommen können. Am 30. August erkennt auch Samsonow die nahende, finale Niederlage - und erschießt sich. Seine Armee kapituliert.

Gegen die Njemen-Armee schickt Hindenburg unterdessen eine Kavallerie-Division und einige Landsturm-Bataillone ins Feld. Ihnen gelingt Anfang September an den Masurischen Seen der entscheidende Schlag gegen die Feinde aus dem Osten.

„Sühne" für 1410

In der Folge geraten 92.000 Russen in Gefangenschaft, hinzu kommen über 300 Geschütze - Zahlen, die den deutschen Propagandastrategen mehr als gelegen kommen. Obwohl die Kämpfe südlich von Allenstein stattgefunden hatten, sprechen sie von der „Schlacht von Tannenberg". Denn in jenem rund 14 Kilometer entfernten Ort, hatte das polnisch-litauische Heer am 15. Juli 1410 den Deutschen Orden vernichtend geschlagen. Nun aber wird Tannenberg im deutschen Narrativ zu einer der „größten Einkreisungsschlachten der Weltgeschichte" und Hindenburg und Ludendorff zu den „bedeutendsten Kriegsführern".

Ludendorff selbst ist die historische Tragweite des Sieges ebenfalls bewusst. Er notiert in seinem Kriegstagebuch: „Das Oberkommando verlegte am 28. 8. früh seine Gefechts-Befehlsstelle nach Frögenau, westlich Tannenbergs, ich war dagegen, weil ich zu abergläubisch war. Später schlug ich vor, daß die Schlacht den Namen Tannenberg bekommen soll, als Sühne für jene Schlacht von 1410."

(hell)

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