ÖVP: Wie Mitterlehner den Kurs ändert

MITTERLEHNER
MITTERLEHNER(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Der Führungswechsel in der ÖVP wird die Steuerreform beschleunigen. Beim Streitthema Gesamtschule könnte ein Kurswechsel anstehen, ebenso in der Familienpolitik der Volkspartei.

Wien. Am Dienstag war sich der frischbestellte ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner noch unschlüssig – doch schon Mittwochmorgen verkündete er seine Entscheidung: Die Ämter Vizekanzler und Finanzminister werden künftig getrennt. Er will die Mehrfachbelastung, unter der seine Amtsvorgänger gelitten haben, nicht auf sich nehmen und bleibt Wirtschafts- und Wissenschaftsminister. Damit sucht die ÖVP einen neuen Finanzminister – und zwar rasch. Bereits kommenden Montag sollen die neuen Minister angelobt und am Dienstag im Parlament vorgestellt werden.

Unklar ist noch, ob ein Fachexperte oder ein Politiker in das Ministerium einzieht. Wenn es ein Politiker ist, dürfte der niederösterreichische Agrarlandesrat Stephan Pernkopf die besten Chancen haben. Auch über weitere Ministerwechsel wird noch diskutiert. Fix dürfte jedenfalls sein, dass Staatssekretär Jochen Danninger in der Regierung bleibt, aber vom Finanzressort zu Mitterlehner in das Wirtschafts- und Wissenschaftsministerium wechselt. Spannend sind neben den personellen auch die inhaltlichen Veränderungen. In etlichen Bereichen könnte Mitterlehner für einen Kurswechsel sorgen.

1. Die Steuerreform wird rasch kommen – Ausgestaltung ist noch offen

Für Michael Spindelegger war die interne Debatte um die Steuerreform zwar nicht der alleinige Grund für den Rücktritt – wohl aber der letzte Auslöser. Reinhold Mitterlehner wird zwar nicht die Funktion des Finanzministers übernehmen, aber auch für den Parteichef ist das Thema prioritär. Auf ihn wird der Druck jetzt groß, bald eine Reform mit Schwerpunkt auf eine Steuersenkung für Arbeitnehmer umzusetzen. Darauf werden vor allem jene Landesparteichefs drängen, die im kommenden Jahr Landtagswahlen zu schlagen haben – und da sind immerhin wichtige Bundesländer wie Oberösterreich, die Steiermark und Wien dabei.

Mitterlehner hat sich in seinen ersten Stellungnahmen sehr bedeckt gehalten, wie diese Steuerreform konkret aussehen könnte, und vor allem, ob die SPÖ sich mit ihrer Forderung nach einer Millionärssteuer durchsetzen wird. Anzunehmen ist, dass der aus der Wirtschaftskammer kommende Parteichef einen Kompromiss in bester Sozialpartnermanier anstreben wird. Und er wird wohl auf eine höhere Besteuerung von Immobilien hinauslaufen (etwa Grundsteuer). Das ist auch eine Vermögensbesteuerung – aber eine, bei der nicht nur „Millionäre“ betroffen sind, sondern alle Eigenheimbesitzer und – über Betriebskosten – alle Mieter.

2. Die ÖVP könnte sich bei der Gesamtschule bewegen

Das Thema Gesamtschule ist in der ÖVP heiß umkämpft, das weiß auch Mitterlehner. Einen plötzlichen Schwenk darf man sich hier zwar nicht erwarten. Es gibt aber sicherlich mehr Verhandlungsspielraum als noch unter Spindelegger. In den vergangenen Monaten äußerte Mitterlehner sich mit der gebotenen Vorsicht: Er finde es nicht schlecht, das Thema Gesamtschule zu diskutieren. Doch nur mit der Feststellung „Das Gymnasium muss bleiben“ bzw. umgekehrt „Anderes muss überprüft werden“ werde man nicht viel gewinnen. Irgendwann müsse man eine Entscheidung treffen.

Als stellvertretender Generalsekretär der Wirtschaftskammer äußerte sich Mitterlehner im Jahr 2007 übrigens noch offener: Beim Thema Gesamtschule habe die ÖVP „uralte Vorbehalte und Ängste“. Dabei sollte man „lieb gewordene Einstellungen und Organisationsformen einer Überprüfung unterziehen“, so Mitterlehner damals. Die „Westachse“ wartet jedenfalls schon auf eine Entscheidung in ihrem Sinn: „Ich hoffe, dass Neues zugelassen wird“, sagt die Tiroler Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP). Sie wünscht sich eine Gesetzesänderung, die Modellregionen zur Gesamtschule ermöglichen, bei denen tatsächlich keine Wahlfreiheit mehr zwischen verschiedenen Schultypen besteht.

3. Hypo Alpe Adria: Verhandlungen mit Gläubigern?

Die Abwicklung der Hypo Alpe Adria wird mit dem Namen Michael Spindelegger verbunden bleiben. Dessen Lösung einer Bad Bank und eines Schuldenschnitts nur bei den nachrangigen Anleihezeichnern ist zwar umstritten, eine Änderung aber nur noch theoretisch möglich. Dafür wäre eine Änderung der Hypo-Gesetze notwendig – und dafür wird, selbst wenn Mitterlehner das wollte, der Koalitionspartner SPÖ nur schwer zu gewinnen sein. Möglich ist aber eine Verhandlungslösungen mit jenen Gläubigern, denen per Gesetz ein Schuldenschnitt aufgezwungen wurde.

4. Die ÖVP wird sich noch weiter von ihrem traditionellen Familienbild entfernen

Spindelegger hat Sophie Karmasin ins Familienministerium geholt, um ein Zeichen für die Öffnung der Volkspartei in diesem Bereich zu setzen. Diese Aufgabe hat Karmasin auch erfüllt: Mit ihrem unverkrampften Zugang zum Thema Homosexualität und mit ihrer Ankündigung, dass künftig ein höherer Anteil der Fördermittel in Sachleistungen fließen wird. Das widerspricht dem traditionellen ÖVP-Familienbild, in dem Fördermittel dafür da sind, dass Kinder möglichst lange zu Hause betreut werden können. Mitterlehner ist der Vorgänger Karmasins als Familienminister und hat selbst schon – wenn auch mit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit – Akzente in Richtung besserer Kinderbetreuungsmöglichkeiten gesetzt. Anzunehmen also, dass dieser Weg fortgesetzt wird und die ÖVP sich noch weiter vom traditionellen Familienbild entfernen wird.

Weitere Infos:www.diepresse.com/oevp

AUF EINEN BLICK

Die ÖVP ist derzeit noch auf der Suche nach einem neuen Finanzminister. Dieser wird eine wesentliche Rolle in der Volkspartei einnehmen. Es gilt, nicht nur eine Steuerreform auf die Beine zu stellen, sondern auch die Abwicklung der Hypo Alpe Adria abzuschließen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.08.2014)

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