Die freundliche Übernahme der Regierung

Mit Mitterlehner als Vizekanzler gewinnen auch Kammern und Gewerkschafter an Bedeutung. Eine Art Nebenregierung waren die Sozialpartner immer, nun sind sie auch in der echten Regierung wieder bestens verankert.

Wien. „Beneidenswert, bei euch ist sogar der Klassenkampf eine Operette.“ Diese Worte soll ein deutscher Ballbesucher gesagt haben, als die Wiener Faschingsgesellschaft den wichtigsten Protagonisten der Sozialpartner einen humoristischen Orden verlieh. Die Anekdote spielte vor vierzig Jahren, die Ausgezeichneten hießen Anton Benya und Rudolf Sallinger. Und doch erscheint sie sinnbildlich für die ganze Zweite Republik.

Auch wenn die Sozialpartner zwischenzeitlich Macht einbüßten: Jetzt, da Reinhold Mitterlehner Michael Spindelegger als ÖVP-Chef ablöst, sind sie wieder ganz dick im Geschäft. Der künftige Vizekanzler Mitterlehner entstammt der Wirtschaftskammer und ist ein Fan der Sozialpartnerschaft. Ihm sitzt in der Regierung etwa Rudolf Hundstorfer gegenüber, Sozialminister und vormals Präsident des Gewerkschaftsbundes (ÖGB). Dessen Vizechefin, Sabine Oberhauser, kommt als Gesundheitsministerin neu in die Regierung. Auch Alois Stöger, wie Verteidigungsminister Gerald Klug Gewerkschafter, bleibt in der Regierung, als Verkehrsminister. Die Sozialpartner übernehmen die Regierung. Eine gewollte, eine freundliche Übernahme sozusagen.

Eine Nebenregierung waren die Sozialpartner ohnedies fast immer. Begonnen hat alles 1957 mit einer formlosen Abmachung zwischen Kanzler Julius Raab, vormals Handelskammer-Chef, und ÖGB-Pendant Johann Böhm. Der Bürgerkrieg der Ersten Republik hatte die Protagonisten gelehrt, besser zusammenzuarbeiten und keinen Klassenkampf zu führen. Das Land kam auch deswegen zu Wohlstand. Dass das Parlament als legitimer Machtträger oft zur Nebensache verkam, störte wenig.

Die Öffnung nach Europa machte es ab den 1990er-Jahren aber unmöglich, alles unter Sozialpartnern zu regeln. Zur Jahrtausendwende unter Schwarz-Blau riss die Regierung stärker das Szepter der Macht an sich. Ob Pensionen oder Reformen in der Sozialversicherung – auch gegen den Willen der Sozialpartner wurde reformiert. Als Alfred Gusenbauer die Kanzlerschaft nach der Wahl 2006 erlangte und Rot-Schwarz zurückkam, gab es noch einen Schock für die Gewerkschaft: Mit Erwin Buchinger wurde ein Nichtgewerkschafter SPÖ-Sozialminister – ein echter Tabubruch. Schon zuvor hatte Gusenbauer wegen der Affäre um die Gewerkschaftsbank Bawag festgelegt, dass die Spitzen der Gewerkschaft kein Nationalratsmandat bekommen.

Dafür wurden unter Gusenbauer Sozialpartner und Kammern in der Verfassung verankert. Was vor allem Gegner der Zwangsmitgliedschaft in Kammern verärgerte, war für andere nur die gesetzliche Umsetzung der Realverfassung.

Erste Wende schon als Minister

Schon die Regierung Faymann I ab 2008 – als Mitterlehner und Hundstorfer Minister wurden – läutete die Rückkehr der Sozialpartner in die Regierung ein. Doch gerade zuletzt suchte Spindelegger den Konflikt mit Kammern und Gewerkschaft bei der Steuerreform. Unter Mitterlehner werden die Sozialpartner mehr zu reden haben – außer- und innerhalb der Regierung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.08.2014)

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