Marktwirtschaft gegen Kammerwirtschaft

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Der Wirtschaftsbund hat die Vormachtstellung in der ÖVP übernommen. Hinter seinen Kulissen bahnt sich jedoch ein Richtungsstreit an. Was wird Reinhold Mitterlehner tun?

Am Montag, den 1. September – dem Tag, an dem die neuen Regierungsmitglieder angelobt wurden – soll Christoph Leitl, Obmann des ÖVP-Wirtschaftsbundes und Präsident der Wirtschaftskammer, zufrieden in sich hineingelächelt haben. Man konnte es ihm auch nicht verdenken: Mit Reinhold Mitterlehner, Hans Jörg Schelling und Harald Mahrer stellt der Wirtschaftsbund seither den Parteichef und Vizekanzler, den Finanzminister und den Staatssekretär im Wirtschaftsministerium.

Das nennt man wohl eine gute Ausbeute. Dabei wäre allein schon die Obmannentscheidung ein Erfolgserlebnis für Leitl und seine Entourage gewesen. Denn Mitterlehner verkörpert das Ende einer machtpolitisch langen Dürreperiode für den Wirtschaftsbund, er ist der erste Parteichef seit Wolfgang Schüssel, der aus diesem Teil der ÖVP kommt. Schüssel hatte die Funktion im Jänner 2007 abgegeben, danach übernahm der Bauernbund mit Wilhelm Molterer und Josef Pröll, ehe Michael Spindelegger und der Arbeitnehmerbund ÖAAB an der Reihe waren.

Dass Leitl am Ende auch noch seinen Kandidaten für das Finanzministerium durchbrachte und Mitterlehner einen weiteren Wirtschaftsbündler für das vakante Staatssekretariat auserwählte, war mehr, als sich der Wirtschaftskammer-Präsident erhofft und ÖAAB-Obfrau Johanna Mikl-Leitner befürchtet hatte. Die Ernennung der Innenministerin zur Regierungskoordinatorin darf deshalb auch als – strategisch nicht ungeschickter – Akt der Besänftigung gewertet werden.

Chance Wirtschaftspolitik. Man muss den Zweiten Nationalratspräsidenten, Karlheinz Kopf, gar nicht mehr hinzuzählen, um zu dem Schluss zu kommen, dass der Wirtschaftsbund wieder die Vormachtstellung in der ÖVP übernommen hat. Der Meinungsforscher und Volkspartei-Experte Peter Ulram sieht darin sogar eine Chance für die gesamte Partei – vorausgesetzt, es gelinge dem neuen Führungsteam, eine wirtschafts- und finanzpolitische Strategie zu entwerfen, die diesen Namen auch verdiene. Denn Mitterlehners Vorgänger sei dazu nicht in der Lage gewesen, das habe die Krise der ÖVP zumindest mitverursacht, meint Ulram. „Das Finanzministerium war einfach nicht Spindeleggers Kompetenz. Für diesen Job gibt es gewisse Anforderungen – er hat sie nicht erfüllt.“

Dafür seien jetzt „Leute am Ruder, die etwas von der Materie verstehen“. Vor allem in der Person Schelling sieht der Meinungsforscher eine Chance für die neu formierte Volkspartei: Der Finanzminister sei „nicht derjenige, der schon gebeugten Hauptes beim Landeshauptmann hereinkommt“.

Peter Haubner, der Generalsekretär des Wirtschaftsbundes, teilt diese Meinung, auch wenn er sich ein wenig vorsichtiger ausdrückt: Er wolle Spindelegger nichts Schlechtes nachsagen, aber mit Mitterlehner stehe nun jener Mann an der Parteispitze, „der Wirtschaftskompetenz verkörpert“. Und die, so Haubner, sei immer „eine der zentralen Stärken der ÖVP“ gewesen.

Echte und falsche Liberale. Die Frage ist allerdings, in welche Richtung es gehen soll. Denn nicht nur die ÖVP als Ganzes, auch der Wirtschaftsbund, der 1945 gegründet wurde und heute rund 100.000 Mitglieder zählt, ist ideologisch nicht oder nicht mehr homogen. Es gibt zwei Denkschulen: „Die echten Wirtschaftsliberalen und die falschen“, wie es ein Insider zusammenfasst.

Die einen setzen auf Wettbewerb, Leistung, Eigenverantwortung und eine vom staatlich-sozialpartnerschaftlichen Einfluss (weitgehend) befreite Wirtschaft. Bei den anderen ist mit der Liberalität Schluss, wenn es um die Interessen der Wirtschaftskammer geht. Sie predigen zwar den freien Markt, verteidigen aber die Pflichtmitgliedschaft. An ihrer Spitze steht Leitl.

Zu den „echten Wirtschaftsliberalen“ wird intern der neue Staatssekretär Harald Mahrer gezählt. Er hat als Präsident der Julius-Raab-Stiftung, der Denkfabrik des Wirtschaftsbundes, einige programmatische Schriften publiziert und darin immer wieder die „Krise der Freiheit“ und eine „Renaissance des Paternalismus“ kritisiert. Wohl wissend natürlich, dass die Kammer-Fraktion im Wirtschaftsbund nicht ganz unschuldig an dieser Entwicklung ist.

Mahrer, der auch den Programmprozess der ÖVP („Evolution“) federführend mitbetreut, teilt seine Weltsicht mit dem Jungstar der Partei, Außenminister Sebastian Kurz. Nach Spindeleggers Demission forderte eine Gruppe um Mahrer eine Urabstimmung, um Kurz als nächsten Parteiobmann durchzusetzen. Mahrers Bestellung zum Staatssekretär war dann auch ein Zugeständnis Mitterlehners an die Kurz-Anhänger, eine Gruppe mehr oder weniger junger Leute, die für eine Liberalisierung der ÖVP – in alle Richtungen – eintritt. Nicht nur, aber auch, um den Neos etwas entgegenzusetzen.
Vermeintliche Durchgriffsrechte. Die entscheidende Frage ist, wohin Mitterlehner und Schelling in diesem latenten Richtungsstreit zwischen Erneuerern und Bewahrern tendieren. Eine Prognose will derzeit niemand abgeben, weder im Wirtschaftsbund noch anderswo in der ÖVP. Beides scheint möglich. Es würde aber nicht überraschen, wenn die Kammer-Leute um Leitl den Vizekanzler und den Finanzminister als Vehikel in der Regierung zur Durchsetzung ihrer Interessen betrachten würden. Das handhaben Teilorganisationen der ÖVP (und auch der SPÖ) für gewöhnlich so. Keine Unterstützung ohne Gegengeschäft.

Eine wachsende Gruppe in der Partei bezweifelt allerdings, dass sich Mitterlehner und Schelling diesem Willen beugen werden – obwohl beide eine einschlägige Vergangenheit in der Wirtschaftskammer haben. Der eine, Mitterlehner, war acht Jahre lang stellvertretender Generalsekretär, der andere, Schelling, zwischen 2004 und seinem Wechsel in die Regierung Vizepräsident. Doch Leitl, der sich nun im Hinterhof der Macht wähnt, werde sich noch wundern, prognostiziert ein ÖVP-Politiker. Denn Schelling sei „vor allem eines: Einzelkämpfer“.

Erste Meinungsverschiedenheiten zeigten sich bereits diese Woche. Während der Wirtschaftskammer-Chef die Sanktionen gegen Russland vehement ablehnt, weil sie den österreichischen Betrieben beträchtliche Exporteinbußen bescheren, steht der Finanzminister ausdrücklich dazu, wie er in einem Interview mit der „Presse“ erklärte. Die Vorgangsweise des russischen Präsidenten, Wladimir Putin, könne man nicht einfach hinnehmen, sagte Schelling. „Daher stehe ich auch zu den Sanktionen. Und die haben es so an sich, dass sie Auswirkungen haben.“

Vom Lehrmeister emanzipiert. Auch Mitterlehner, dem Leitl im Jahr 2008 in die Regierung verholfen hat, hat sich im Lauf der Zeit mehr und mehr von seinem Lehrmeister emanzipiert, also nicht mehr automatisch auf Zuruf der Wirtschaftskammer agiert. Sachpolitisch gab es deshalb immer wieder Differenzen zwischen den beiden, zum Beispiel in der Frage, ob es zur Krisenbewältigung weitere Konjunkturpakete geben solle. Oder auch, als Leitl einen Alleingang Österreichs bei der Finanztransaktionssteuer verlangte.

Es ist also nicht ausgeschlossen, dass sich die Geschichte wiederholt. Schon einmal gab es einen Politiker, der im Wirtschaftsbund und im erweiterten Kammerwesen groß geworden war, bevor er sich als Minister und später als Kanzler – zum Leidwesen Leitls – gegen die Sozialpartnerschaft stellte. Sein Name war Wolfgang Schüssel.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2014)

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