Steuerreform: Die Sechs-Milliarden-Euro-Suche

MINSTERRAT: SCHELLING
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Rote und schwarze Arbeitnehmervertreter legten ihre – höchst unterschiedlichen– Modelle vor. Die Finanzierung bleibt weiter offen.

Wien. Der Finanzminister bedankte sich artig für die Ideen zur Steuerreform, ließ sich aber nicht in die Karten blicken: Er bekomme jetzt „täglich Konzepte“, sagte Hans Jörg Schelling (ÖVP) am Dienstag, und er werde alle „auf ihre Auswirkungen hin überprüfen“. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Davor sind dem Finanzminister zwei – höchst unterschiedliche – Modelle ans Herz gelegt worden. Das eine, von Gewerkschaftsbund (ÖGB) und Arbeiterkammer (AK) erstellt, sieht ein Entlastungsvolumen von 5,9Milliarden Euro vor. Das andere, vom ÖVP-Arbeitnehmerbund ÖAAB konzipiert, beläuft sich auf 5,5 Milliarden Euro.

Inwieweit die Regierung darauf zurückgreifen wird, blieb vorerst offen. Kanzler Werner Faymann war am Dienstag mit einer Angina im Krankenstand, Vizekanzler Reinhold Mitterlehner verweigerte nach der Sitzung des Ministerrats jedwede Bewertung: Er könne und werde der Regierungsklausur am 26. und 27.September nicht vorgreifen. Erst dort, in Schladming, wollen sich SPÖ und ÖVP auf das Ausmaß der Reform einigen. Und vielleicht auch schon auf den Fahrplan.

Zumindest in diesem Punkt sind sich rote und schwarze Arbeitnehmervertreter einig: Die Steuerreform müsse bereits 2015 umgesetzt werden, notfalls in Etappen. Sonst weichen die Ansätze weit voneinander ab. Während Gewerkschaftsbund und Arbeiterkammer sechs statt drei Steuertarife vorschlagen, will der ÖVP-Arbeitnehmerbund einen Gleittarif einführen.

Gemeinsam haben beide Konzepte, dass sie die Frage der Gegenfinanzierung nur vage beantworten. Und dann wäre da noch das Thema Vermögensteuern: ÖGB und AK wollen sie, der ÖAAB lehnt sie ab. Wobei das nicht für alle Arbeitnehmervertreter der ÖVP gilt. Denn die Christgewerkschafter stimmten im ÖGB-Vorstand für das Modell mit der Arbeiterkammer – und damit auch für Vermögensteuern.

(C) DiePresse

Steuertarife

Das ÖGB/AK-Modell sieht sechs statt (der aktuellen) drei Steuertarife vor. Der Eingangssteuersatz, der weiterhin ab einem Jahreseinkommen von 11.000Euro greifen würde, soll von 36,5 auf 25Prozent gesenkt werden. Der Höchststeuersatz bliebe bei 50 Prozent, würde aber erst ab 80.000Euro fällig und nicht schon, wie derzeit, bei 60.000 Euro. Zwischen Eingangs- und Höchststeuersatz soll es weitere vier Stufen geben, um der kalten Progression entgegenzuwirken (wenn der Staat mehr von der Lohnerhöhung als der Dienstnehmer selbst hat). Demnach fallen 34 Prozent ab 20.000 Euro, 38Prozent ab 30.000 Euro, 43 Prozent ab 45.000Euro und 47 Prozent ab 60.000 Euro an.

Das ÖAAB-Modell sieht einen Gleittarif vor, die Steuerstufen werden abgeschafft. Das Ziel ist eine Entschärfung der kalten Progression. Die Formel, die dem Gleittarif zugrunde liegt, wird vorerst nur dem Finanzminister vorgestellt. So viel vorweg: Die Steuerpflicht soll ab einem Jahreseinkommen von 12.000 Euro gelten. Von hier aus gibt es eine „linear ansteigende Steuer“, außerdem einen „Durchschnittssteuersatz“. Der Ansatz dürfte von Donau-Uni-Professor Gottfried Haber stammen, der zuletzt als Finanzminister im Gespräch war. Haber hat vorgeschlagen, dass der Steuersatz mit jedem Cent kontinuierlich ansteigt. Den Höchststeuersatz will der ÖAAB auf 43,5Prozent senken; schlagend wird er ab 75.000 Euro.

Zusatzwünsche

Der ÖGB würde gern die Steuergutschrift für Niedrigverdiener von 110 auf bis zu 450 Euro anheben. Gemeint sind jene rund 2,3 Millionen Österreicher, die weniger als 11.000 Euro im Jahr verdienen und deshalb steuerbefreit sind. Auch Pensionisten mit niedrigem Einkommen sollen künftig eine Negativsteuer – bis zu 110 Euro – geltend machen können.

Der ÖAAB macht seine Zustimmung zur Steuerreform auch von einer Entlastung der Familien abhängig. Die Forderung ist nicht neu: Pro Kind soll es einen jährlichen Steuerfreibetrag von 7000 Euro geben. Außerdem sollen Kinderbetreuungskosten bis zum Ende der Schulpflicht abgesetzt werden können. Derzeit geht das nur bis zum zehnten Lebensjahr des Kindes.

Gegenfinanzierung

ÖGB und AK wollen ihr Paket über mehrere Schienen gegenfinanzieren. Zwei Milliarden sollen über Steuern auf „große Vermögen“ hereinkommen – Stiftungen und Erbschaften inklusive. Die Erbschaftssteuer, die 2008 abgeschafft wurde, hat mit ihren vielen Ausnahmen allerdings nur zwischen 110 und 150 Millionen Euro pro Jahr gebracht. Durch die Beseitigung von Ausnahmen im Steuersystem erwartet man sich zwei Milliarden Euro. Eine Milliarde soll über „wirksame Maßnahmen gegen Steuerbetrug“ hereinkommen, eine weitere durch die Konsumsteigerung infolge der Steuerentlastung. Das ist allerdings eine äußerst optimistische Annahme.

Auch das Gegenfinanzierungskonzept des ÖAAB beruht weitgehend auf dem Prinzip Hoffnung: Die Steuerreform würde sich zum Teil selbst finanzieren, hieß es am Dienstag. Denn die Entlastung führe zu einem Anstieg der Kaufkraft und so zu einem Steuerrückfluss an den Fiskus im Ausmaß von rund einer Milliarde Euro. Den Rest sollen Reformen besorgen, beispielsweise im undurchsichtigen Fördersystem. Außerdem setzt der schwarze Arbeitnehmerbund auf eine Bundesstaatsreform mit den Ländern. Die Details dazu? Blieben vorerst geheim. Man verwies nur auf die bereits eingesetzte Aufgabenreform- und Deregulierungskommission.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.09.2014)

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