Mahrer: „Die ÖVP ist entspannter, als man glaubt“

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Warum Harald Mahrer nicht zu den Neos ging, in welchen Bereichen er die ÖVP noch nicht auf der Höhe der Zeit sieht, und weshalb seine Partei stets aufseiten der Bürger, nicht der Institutionen stehen sollte.

Die Presse: Sie waren vor Jahren zeitweilig der Ansicht, dass es sinnlos sei, die ÖVP zu reformieren, dass man etwas Neues abseits der verzopften alten Tante Volkspartei machen sollte. Als es dann die Neos gab, sind Sie aber bei der ÖVP geblieben. Warum?

Harald Mahrer: Ich habe das immer innerhalb der ÖVP gemacht. Matthias Strolz und ich wollten seinerzeit auch die ÖVP von innen heraus verändern. Ich habe immer gesagt, man müsse sie reformieren. Ich habe nie gesagt, man müsse etwas Neues machen. Zu den Neos zu wechseln war nie ein Thema, vor allem, weil ich schon die programmatische Aufgabe in der Julius-Raab-Stiftung übernommen hatte.

Dennoch sollen Sie nun die Abwanderung junger, liberaler, kritischer Bürgerlicher zu den Neos verhindern.

Das ist nicht Teil meiner Job Description als Staatssekretär. Für mich ist Neos ganz klar das Symbol für einen bürgerlichen Protest. Warum? Weil wir keine attraktive bürgerliche Politik mehr angeboten haben, die die Menschen in ihren Lebensrealitäten abgeholt hat. Für uns geht es jetzt darum, dass wir auf der Höhe der Zeit ankommen.

Glauben Sie, dass es die Neos gar nicht gegeben hätte, wenn Josef Pröll ÖVP-Chef geblieben wäre?

Das Problem war, dass der Perspektivenprozess nicht weitergeführt wurde. Pröll wollte ihn als Parteichef zwar weiterführen und umsetzen, aber dann kam die Wirtschaftskrise, und alle Energie wurde dorthin investiert. Es hat geheißen, wir machen das dann später. Doch später war dann Spindelegger. Heute ist es so, dass das Perspektivenpapier sehr wohl eine der Grundlagen für unseren Evolutionsprozess ist.

Die ÖVP soll auf der Höhe der Zeit ankommen. Wo ist sie denn von dieser entfernt?

Wir haben zum Beispiel in Österreich keine netzpolitische Agenda. Eine ÖVP, die auf der Höhe der Zeit ist, die sich als bürgerliche Partei begreift, die also im Fall des Falles immer auf der Seite der Bürger steht und nicht der öffentlichen Institutionen, muss in diesem Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit, Bürgerrechte versus staatliche Überwachung eine ganz klare programmatische Position haben.

Also keine Vorratsdatenspeicherung zum Beispiel?

Zum Beispiel. Oder dies zumindest genau abwägen. Zweites Beispiel: bürgerliche Sozialpolitik. Dieses Feld hatten wir zuletzt kampflos aufgegeben. Unser Verständnis von Solidarität sollte sein: Hilfe zur Selbsthilfe – auf Zeit.

Das heißt konkret?

Anreize, um schneller wieder in Beschäftigung zu kommen. Brauchen wir eine Pflegeversicherung oder nicht? Dafür brauche ich erst einmal ein programmatisches Fundament, das nicht diffus ist.

Auch in der Bildungs- und Gesellschaftspolitik wird der ÖVP vorgeworfen, nicht auf der Höhe der Zeit zu sein.

Da gehört alles auf den Tisch. Ich habe eine private Meinung – die werde ich jetzt aber nicht anderen vorgeben. Als Volkspartei müssen wir viele Ansichten und Interessen integrieren, auf dem Land wird manches anders gesehen als in der Stadt. Ich orte in der Zwischenzeit aber eine Parteifamilie, die viel entspannter ist, als man medial glaubt.

Man könnte in Kauf nehmen, den konservativen Flügel bei manchem vor den Kopf zu stoßen?

Es gibt Leute, die das Leben durch eine religiös angehauchte Brille sehen, andere durch eine säkularisiertere. Man muss die Argumente abwägen und sich ansehen. Vielleicht hat es da oder dort zuletzt auch eine schweigende Mehrheit gegeben. Derzeit beherrschen oft Einzelgruppierungen die Debatte. Auch im bildungspolitischen Bereich muss man aufmachen und alle Argumente auf den Tisch legen.

Sie liegen längst auf dem Tisch.

Nein. Wir führen seit Jahren eine Debatte über ein Türschild. Es wird nicht vernünftig argumentiert, was dort genau passiert. Und wir reden dauernd darüber, dass wir hinten ein Problem beheben sollen.

Würden Sie vorn ansetzen?

Wir reden viel zu wenig darüber, was vorn passiert. Richten wir das Scheinwerferlicht dorthin: auf die Deutschkenntnisse, die frühkindliche Förderung. Das ist prioritär.

In der ÖVP war bisher das Gymnasium in der Langform eine Conditio sine qua non.

Es gibt nach wie vor eine große Gruppe, die sagt: „Ich will das.“ Und eine genauso große, die sagt: „Es kommt nicht darauf an, was auf dem Türschild steht.“ Die Frage ist: Wird entsprechend differenziert und gefördert? Da gibt es manche, die Angst haben, dass ihre Kinder nicht ausreichend gefördert werden. Aber das hängt alles damit zusammen, was am Anfang passiert: Es ist eine Frage des Niveaus.

Es gibt die Erwin-Pröll-Idee, die Volksschule zu verlängern.

Es gibt sehr gute Argumente dafür. Aber das würde schwere Strukturänderungen bedeuten. Und auch da sollen wir niemanden verunsichern. Derzeit wird jeden Tag eine neue Idee ausgegraben.

Bei Ihrer Antrittsrede haben sich manche vor den Kopf gestoßen gefühlt, weil in fünfeinhalb Minuten nur dreimal das Wort Wissenschaft gefallen ist.

Das war wohl eine Frage der Erwartungen. Sollte ich damit jemanden enttäuscht haben, tut es mir leid: Mir sind die Unis ein ganz besonders Anliegen. Aber ich bin nicht der Uni-Staatssekretär, ich unterstütze den Minister im ganzen Ressort. Mit Fokus auf Wirtschaftsförderung und Forschungsförderung.

Mit eigenen Ideen?

Sie werden in allen Bereichen eine Menge eigener Ideen hören.

Nennen Sie uns ein paar?

Ich bin jetzt zwei Wochen im Amt. Nach der Regierungsklausur gehen wir dann an die Themen heran.

Sie haben am Tag des Rücktritts von Michael Spindelegger eine Urabstimmung gefordert. Um Sebastian Kurz durchzusetzen?

Überhaupt nicht. Ich habe eine solche Urabstimmung schon früher gefordert. Das ist eine Frage der breiten Legitimation. Und soweit ich weiß, kann sich auch Reinhold Mitterlehner vorstellen, das bei der nächsten Wahl zu machen. In der jetzigen Situation ist Mitterlehner aber der beste Kandidat.

Das sagen Sie jetzt nicht nur, weil er Sie in sein Team geholt hat?

Nein. Das habe ich auch, einen Tag bevor ich gefragt wurde, gesagt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2014)

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