Asylquartiere: Familien bevorzugt

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THEMENBILD: ASYL-ERSTAUFNAHMESTELLE TRAISKIRCHEN(c) APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)
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Neue Unterkünfte sollen das überfüllte Lager Traiskirchen und Notschlafstellen in Turnsälen entlasten. Den Betrieb wickeln private Firmen ab. In der Nachbarschaft blieb Protest – bisher – aus.

Wien. Seit Montag steht die ehemalige Wiener Zollwachschule als Unterkunft für 350 Asylwerber zur Verfügung. Nächste Woche schon sollen 250 weitere in die alte Wirtschaftsuniversität einziehen.

Notwendig geworden sind die neuen Unterkünfte deshalb, weil alle anderen Bundesländer ihre Pflicht in der Betreuung von Flüchtlingen nicht erfüllen. Die Folge: Die vom Bund bezahlte Erstaufnahmestelle im niederösterreichischen Traiskirchen ist übervoll, die Polizei bringt Hilfesuchende bereits in Turnsälen unter.

Eben diese Unterkünfte sollen durch die Ausweichquartiere nun entlastet werden. Das Innenministerium will an den neuen Standorten insbesondere Familien mit Kindern unterbringen, für die das Leben in den übervollen Gebäuden besonders prekär ist. Im Zentrum Traiskirchen ist die Bewohnerzahl offiziell mit 480 Personen begrenzt– derzeit leben dort 1600. Und die, die selbst hier keinen Platz fanden, mussten – siehe oben– in Turnsäle in Salzburg, Eisenstadt, Linz und Villach ausweichen.

Wie aber will das Innenministerium die neuen Unterkünfte betreiben? Streng genommen gar nicht. Die Organisation vor Ort übernehmen, wie in den anderen sieben Betreuungsstellen des Bunds, private Auftragnehmer des Ressorts.

Das ist insbesondere die schweizerische ORS Service AG, die über ihr österreichisches Tochterunternehmen einen Asylbetreuung-Rundumservice anbietet und verkauft. Der Vertrag mit dem Innenministerium ist so gestaltet, dass er, abhängig von der Zahl der Asylwerber, angepasst werden kann. Die aktuelle Entwicklung in Wien bedeutet für ORS also zusätzliche Einnahmen. Dafür verwaltet und betreibt das Unternehmen die betroffenen Gebäude, bietet den Asylwerbern Integrations- und Beschäftigungsprogramme sowie soziale und psychologische Betreuung an. In ganz Österreich beschäftigt ORS dafür 149 Mitarbeiter.

Keine Polizei, aber Wachdienst

Auch der Bereich Sicherheit ist – zumindest im weitesten Sinn – ausgelagert. Wie an den anderen Standorten wird es in den beiden neuen Wiener Quartieren Zutrittskontrollen geben. Durchführen soll sie der Wachdienst und ORS-Partner Siwacht. Die Polizei ist in der Zollwachschule und im WU-Gebäude nicht permanent vor Ort. Das muss sie auch nicht. Flüchtlinge, die zum Asylverfahren zugelassen sind, dürfen sich nämlich auch unter der Fürsorge des Bunds frei im Land bewegen. Gibt es in der Unterkunft Probleme, ruft der Betreiber, also ORS, die Polizei. Wie in jeder anderen Wohnung auch.

Während zuletzt in Abtenau (Salzburg) und in Spital am Semmering (Steiermark) insbesondere Bürgermeister gegen die Unterbringung von Asylwerbern protestiert haben, scheint sich die Aufregung in Wien – zumindest bisher – in Grenzen zu halten. So baten Lehrer einer benachbarten Schule in diesem Zusammenhang sogar um vertiefende Informationen, weil sie das Thema Asyl im Unterricht behandeln wollten. Einige Eltern entwickelten spontan Ideen für eine Spendensammlung.

Doch die beiden Standorte sind nur eine Problemlösung auf Zeit. Der Betrieb soll auf vier Monate begrenzt bleiben. Bis dahin, hofft das Innenministerium, will man die Länder davon überzeugt haben, ihren Verpflichtungen doch endlich nachzukommen. Oder wie es Ressortsprecher Karl-Heinz Grundböck ausdrückt: „Wir wollen davon ausgehen, dass die Länder nun den dringenden Bedarf erkannt haben.“

Unterstützung dafür gibt es vom Wiener Bürgermeister Michael Häupl. Er will seine Landeshauptleute-Kollegen verstärkt in die Pflicht nehmen, denn: „Wir sind – mit Verlaub gesagt – nicht die Deppen der Nation.“

Kardinal Christoph Schönborn rief am Montag angesichts der Flüchtlingswelle zur Besonnenheit auf. „Das Thema ist sehr emotional. Ich kann nur für eine verbale Deeskalation appellieren.“

AUF EINEN BLICK

600 Plätze für Asylwerber entstehen nun in Wien. Notwendig wurde das, weil – bis auf die Hauptstadt – die Bundesländer ihre Pflicht nicht erfüllen, die Flüchtlinge aus der Bundesbetreuung gemäß einer vereinbarten Quote zu übernehmen. Der Bund betreut diese Personen auf eigene Kosten weiter, entsprechend voll sind die betroffenen Einrichtungen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)

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