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Udo Jürgens: Achtzig Jahr', sonderbar

Udo J�rgens wird 80
Udo J�rgens wird 80(c) APA/dpa
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"Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier", sang Udo Jürgens 1967. Er hatte und hat aber einiges zu sagen - mehr als in der biederen Welt des deutschen Schlagers üblich.

Musik ohne Pathos interessiert mich einfach nicht“, sagte Udo Jürgens. Melodien müssen Gefühle auslösen, wenigstens wenn sie seiner Kehle entsteigen. Nur in dieser brausenden Emotionalität verspürt er als Komponist jene Lebensmacht, die Nietzsche einst als die dionysische bezeichnete. Trotz dieses Strebens ins Sinnliche waren seine Anfänge erstaunlich zaghaft. Mit kitschigen Liedern wie „Weiße Chrysanthemen“ hatte er eine Affäre mit dem Nachkriegsschlager, dessen Sujets zwischen Heim- und Fernweh wechselten. Seine um drei Jahre ältere Jugendfreundin Gitta flüsterte ihm damals unangenehme Wahrheiten: „Du verrätst dich ständig“, kommentierte sie seine beruflichen Entscheidungen.

Ihre Kritik trieb ihn letztlich zum Komponieren. Tragischerweise auch dazu, Gitta zu verlassen. „Sie war, wenn man so will, mein erstes Opfer, ohne dass ich sie zum Opfer machen will“, sagt Jürgens heute. Gern erinnert er sich an den Zauber dieser Jahre. Gitta sieht es nüchterner: „Udos innigstes Verhältnis war immer das zu seinem Klavier.“

Erfolg kam zuerst im Ausland

Die Botschaft hörte Jürgens wohl. Jahre später, längst erfolgreich, veröffentlichte er 1967 das gefühlvolle Chanson „Was ich dir sagen will, sagt mein Klavier“. Getextet hat es der jüngst verstorbene Joachim Fuchsberger. Eine Zeile daraus: „Ich kann es fühlen, doch nicht sagen, wie es heißt.“ Und wirklich, Jürgens hörte auf, seine eigenen Texte zu verfassen. Seit damals versorgten ihn Kapazitäten wie Fred Jay, Thomas Hörbiger, Michael Kunze und Wolfgang Hofer mit Songlyrik. Mit ihnen machte er sich die Themen aus, erstritt den Feinschliff.

Der Erfolg kam über das Ausland. 1961 eroberte Shirley Bassey mit seinem „Reach for the Stars“ den Spitzenplatz der britischen Hitparade. Sie hatte das Lied in einem Katalog des Verlegers Ralph Siegel gefunden. Udo Jürgens erwog damals, ausschließlich als Komponist zu arbeiten. Sein künftiger Langzeitmanager Hans R. Beierlein stimmte ihn 1963 um. Ein Jahr später trat Udo Jürgens mit „Warum nur, warum“ beim Songcontest in Kopenhagen an, kam auf den sechsten Platz. Der Amerikaner Matt Monro verkaufte mit seiner Coverversion „Walk Away“ über 1,5Millionen Stück. Jürgens spürte seine Chance und komponierte „If I Never Sing Another Song“ für Frank Sinatra. Dieser gab den Song an Sammy Davis Junior weiter, der ihn jahrelang als Schlusslied seiner Auftritte zelebrierte. Auch Sarah Vaughan, Bing Crosby und Nancy Wilson haben Jürgens-Lieder gesungen.

Nach dem Sieg beim Songcontest 1966 mit „Merci Chérie“ kam die Solokarriere richtig auf Touren. Udo Jürgens schaffte es sogar in Frankreich und Japan an die Spitze. „Ich traf offensichtlich in der Musik exakt den Ton des romantischen Feelings“, mutmaßte er später. Anders als in seinen Chansons währte dieses in seinem Privatleben meist doch eher kurz. Die 1964 geschlossene Ehe mit dem Mannequin Panja hielt zwar auf dem Papier bis 1990, aber der von Musen und Groupies gejagte Künstler träumte stets, wie es in einem Lied von 2011 so schön hieß, von „der Frau, die ich nie traf“. Monogamie und Ehe waren keine Lebensmodelle für ihn.

„Total schlageruntaugliche“ Texte

Udo Jürgens ist nicht nur Verfechter einer Carpe-diem-Philosophie, sondern auch einer Haltung, die er einmal als integralen Bestandteil von Unterhaltung nannte. „Natürlich soll Kunst auch aufrütteln, aufzeigen und uns schmerzliche Dinge vor Augen führen, aber das kann nicht ihre einzige Aufgabe sein. Sie muss auch die Fähigkeit des Glücklichseins in uns verstärken.“ Mit diesem Wissen hat er die kleine Welt des Schlageridylls oft verlassen. Viele seiner kritischen Lieder sind dennoch Gassenhauer geworden. Er selbst wusste: „Besieht man die Texte von Liedern wie ,Ich war noch niemals in New York‘, ,Das ehrenwerte Haus‘ oder ,Griechischer Wein‘, dann sind sie total schlageruntauglich. Durch die Melodien sind sie das dann doch geworden. Damit kann ich leben.“ Gastarbeiterschicksal, Deutschlandkritik, Atomkraft, gläserner Mensch – kein Thema war tabu.

Das frühe Ziel, dass seine Lieder so locker klingen wie die amerikanischen Songs, die er in seiner Jugend gehört hat, konnte Udo Jürgens u.a. mit dem grandiosen „Ich weiß, was ich will“ realisieren. Er hatte Angebote aus der US-Plattenindustrie, die er ausschlug. Doch mit seiner Internationalität kann es niemand aus Deutschlands biederer Schlagerwelt aufnehmen. Viele, mit denen er begonnen hat, sind längst vergessen. Ihm war es gegeben, sich künstlerisch immer wieder zu häuten. Gegen das Gewicht der Zeit kann freilich auch er nicht an: „Das Schicksal wird den Flügel von meinen Händen wegschieben, dann werde ich begreifen, dass es vorbei ist.“ Bis dahin bleibt dem Agnostiker der metaphysische Trost der Musik. Und die Zuneigung seiner vielen Fans.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.09.2014)

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