Strasser-Urteil: "Ein Übel für die Demokratie"

Wohl der schwerste Gang seines Lebens: Strasser steigt im Justizpalast die Stiege empor und bekommt dann drei Jahre Haft.
Wohl der schwerste Gang seines Lebens: Strasser steigt im Justizpalast die Stiege empor und bekommt dann drei Jahre Haft. (c) Reuters (Heinz-Peter Bader)
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Drei Jahre Haft bedeuten für Ernst Strasser, dass er mindestens sechs Monate einsitzen und ein Jahr in Hausarrest muss. Im günstigsten Fall. Auch mehr Gefängnis ist möglich.

Wien. Man kann es unbeugsam nennen. Oder uneinsichtig. Oder stur. Ernst Strasser blieb am Montag buchstäblich bis zur letzten Sekunde dabei. Er habe „derartige Aktionen nicht geplant, nicht unterstützt, nicht ausgeführt“. Und er bat die Höchstrichter schlichtweg um – Freispruch. Was dann folgte, war ein Urteil von historischer Dimension. Strasser wurde wegen Bestechlichkeit – konkret: weil er als EU-Parlamentarier käuflich war – schuldig gesprochen.

Genau genommen wurde der erstinstanzliche Schuldspruch vom Obersten Gerichtshof voll bestätigt. Die Strafe: drei Jahre Gefängnis. Sobald dieses mündlich verkündete Urteil schriftlich vorliegt – und das soll, so war zu hören, nur noch ein paar Wochen dauern – wird der ehemalige ÖVP-Innenminister per Vollzugsanordnung aufgefordert werden, seine Strafe anzutreten. In der Regel muss dies dann binnen eines Monats geschehen. Damit ist Strasser nach dem früheren Innenminister Franz Olah (siehe unten) der zweite Minister Österreichs, der eine unbedingte Haftstrafe verbüßen muss.

Die Genesis dieser – endlich rechtskräftigen – Strafe sieht so aus: Im Jänner 2013 bekam Strasser vier Jahre Freiheitsstrafe. Wegen eines Rechtsfehlers wurde dieses Urteil aufgehoben. Der Prozess wurde wiederholt. Resultat: Strasser bekam dreieinhalb Jahre Freiheitsstrafe. Diese Sanktion milderte der fünfköpfige Höchstrichter-Senat unter Vorsitz von OGH-Präsident Eckart Ratz nun um ein halbes Jahr. Bleiben also drei Jahre Gefängnis – weil der 58-jährige, in Oberösterreich geborene Ex-Politiker für die Einflussnahme auf EU-Richtlinien (zum Beispiel ging es um Vorschriften für die Rücknahme von Elektroschrott durch den Einzelhandel) 100.000 Euro Honorar pro Jahr forderte. Und zwar von vermeintlichen englischen Lobbyisten, die in Wahrheit verdeckt arbeitende Journalisten waren.

Das große Rechnen beginnt

Was bedeutet diese Strafe „netto“ – also unter Berücksichtigung der vorzeitig bedingten Entlassung und der Umwandlung von Gefängniszeit in Hausarrest? Grundsätzlich gibt das Strafgesetzbuch einem zu einer (unbedingten) Haftstrafe Verurteilten die Chance, nach Verbüßung der halben Strafzeit („Halbstrafe“) vorzeitig bedingt (auf Bewährung) entlassen zu werden. Kommt man nach der Hälfte nicht in Freiheit, so sieht es nach „Absitzen“ von zwei Dritteln noch deutlich besser aus. Wann ein Häftling bedingt entlassen wird, entscheidet das Vollzugsgericht im Einzelfall. Es muss einschätzen, wie groß die Gefahr der Begehung weiterer strafbarer Handlungen ist. Zudem kann der Leiter der Haftanstalt einen Teil der Gefängnisstrafe – maximal ein Jahr – in elektronisch überwachten Hausarrest umwandeln. Als Überwachungsinstrument dient eine Fußfessel. Nimmt der Anstaltsleiter (bei dem Ex-Politiker könnte es das Gefängnis Wien-Simmering werden) an, dass Strasser nach der „Halbstrafe“, also nach 18 Monaten, freikommt, so kann er ein Jahr vor diesem (angenommenen) Entlassungstermin die Fußfessel gewähren. Strasser dürfte in diesem Fall nach sechs Monaten Gefängnis noch für ein Jahr von seiner Gefängniszelle in seine Wohnung übersiedeln. Dies wäre aus Sicht des früheren Regierungsmitglieds der Idealfall.

Ob bei Strasser tatsächlich die Annahme gerechtfertigt ist, dass er nach der ersten Strafhälfte bedingt freikommt, ist schwer zu sagen. Dagegen könnte die scharfe Begründung des Spruchs durch OGH-Präsident Ratz sprechen: „Ein EU-Abgeordneter, der korrupt ist, ist ein Übel, das die gesamte Funktion der Demokratie und der Europäischen Union infrage stellt.“ Auch musste sich der sichtlich gealterte, den Spruch aber gefasst über sich ergehen lassende Ex-Politiker sagen lassen: „Jemand, der für ganz Europa tätig ist, muss den Eindruck erwecken, dass die Politik für alle Bürger da ist – und nicht für die eigene Geldtasche.“

„Strasser kann einem leidtun“

Ratz gestand Strasser zu, durch die öffentlichkeitswirksame Strafverfolgung „ungeheure persönliche Nachteile erlitten“ zu haben. „Das kann einem für den Angeklagten auch leidtun.“ Aber dieser habe von sich aus ins EU-Parlament einziehen wollen. „Niemand wird gezwungen, sich in eine solche Position zu begeben.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.10.2014)

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