Asyl: „So viele wie wir können“

Maria Vassilakou
Maria Vassilakou(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die grüne Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou will, dass Wien bei der Aufnahme von Asylwerbern großzügig ist. Allen Zweijährigen in der Stadt will sie einen Krippenplatz garantieren.

Die Presse: Nervt Sie die Frage schon, warum die Grünen im Westen besser abschneiden als in Wien? Das wird vor allem deutlich, wenn man nur die Städte vergleicht: Bei den Landtagswahlen kamen die Grünen in Innsbruck auf 24,6 Prozent, in Bregenz auf 18,8. In Wien waren es 2010 nur 12,6.

Maria Vassilakou: Tatsächlich hat mich das noch niemand gefragt. Die großartigen Erfolge in den Ländern sind zeitlich gesehen erst nach der Wien-Wahl passiert. (Anm. der Red: Bei den Landtagswahlen 2008 hatte Innsbruck-Stadt 20 %, Innsbruck-Land 11,8 %, in Bregenz lagen die Grünen 2009 bei 12,2 %). Insofern stimmen mich die Ergebnisse im Westen optimistisch, dass wir bei der kommenden Wien-Wahl mit einem wesentlich besseren Ergebnis rechnen können als zuletzt.

Nämlich?

15 bis 16 Prozent.

Ist das nicht sehr bescheiden? Bereits 2005 lag man bei 14,6Prozent. Warum sind 18 Prozent wie in Bregenz unmöglich?

Weil sich die Bevölkerungsstruktur nicht eins zu eins übertragen lässt. In Innsbruck ist etwa der Studentenanteil an der Wahlbevölkerung viel höher als in Wien.

Hat das mit den Inhalten nichts zu tun? Die Wiener Grünen gelten gemeinhin als linker als die bürgerlichen Grünen im Westen.

Die grünen Schwerpunkte sind überall dieselben. Außerdem hat die Dichotomie links–bürgerlich schon lang ausgedient, wie ich finde. Vor allem, was die Grünen angeht.

Den Vorschlag Ihres Planungssprechers, Grundeigentümer, die Baugründe horten, als Ultima Ratio zum Verkauf zu zwingen, finden Sie also nicht links?

Mitnichten. Leistbaren Wohnraum zu schaffen ist eine der Hauptaufgaben der Stadt. Selbst das nicht so linke Deutschland kennt das Prinzip, dass Eigentum verpflichtet. Aber bei uns wird alles, was innovativ ist, als links denunziert.

Wenn Sie „links“ als Label nicht mögen, verwenden Sie „rechts“ dann auch nicht? Wie ordnen Sie dann zum Beispiel die FPÖ ein?

Kaum, auch „rechts“ ist nur eine Worthülse. Ich ziehe konkretere Begriffe vor. Für die FPÖ fällt mir da etwa zynisch, menschenverachtend, antiaufklärerisch ein. Aber langsam wird unser Gespräch etwas zu philosophisch.

Dann kehren wir in den Wiener Alltag zurück. Wien erfüllt die Quote für Asylwerber. Die meisten Bundesländer hinken jedoch hinterher, auch solche, in denen die Grünen mitregieren. Grüne Selbstkritik hört man aber kaum.

Man hat es noch nicht überall geschafft, den Koalitionspartner zu überzeugen. Aber die Tatsache, dass nach Wien auch Salzburg die Quoten erfüllt, zeigt, was sich ändert, wenn die Grüne mitregieren.

Wien hat schon vor Rot-Grün die Quote erfüllt.

Ja, aber dass Wien jetzt ohne mit der Wimper zu zucken 600 syrische Flüchtlinge zusätzlich aufgenommen hat, ist auch eine Folge dessen, dass Grün mitregiert. Anders formuliert: Mit der ÖVP als Koalitionspartner hätte sich die SPÖ diese spontane Aktion nicht getraut.

Die Asylwerber wurden für vier Monate aufgenommen. Was passiert, wenn diese vorbei sind? Dürfen sie dann trotzdem bleiben?

Wenn Sie mich fragen: ja, klar. Es ist unrealistisch, dass im Jänner der Krieg in Syrien vorbei sein wird. Natürlich brauchen wir eine österreichweite Lösung, denn es werden nicht weniger Flüchtlinge werden.

Wie viele Asylwerber könnte Wien maximal aufnehmen?

Ich kann die Versorgungskapazität nicht genau beziffern. Mein Zugang wäre: so viele, wie wir können. Was denn sonst? Dort werden Menschen geköpft, gekreuzigt. Wer hier diskutiert, ist kein Mensch.

Bleiben wir bei Themen, die aufregen. Die Grünen machen derzeit Hausbesuche, um – auch im Hinblick auf den Wahlkampf – zu sehen, was die Leute bewegt. Welche Themen kommen da?

Viele, auffällig oft das Thema Kindergarten. Viele Eltern beklagen sich, dass sie bereits während der Schwangerschaft mit der Suche beginnen müssen, damit das Kind später einen Betreuungsplatz bekommt. Oder dass bei der Vergabe von Kindergartenplätzen die Berufstätigkeit der Mutter ein Kriterium ist. Das finde ich übrigens wirklich absurd.


Warum?

Das ist ein Relikt aus der Zeit, als der Kindergarten nicht als Bildungseinrichtung, sondern als Kinderverwahrungsstätte für berufstätige Mütter gesehen wurde. Dabei hat es ein Kind, das im Kindergarten war, beim Schuleintritt viel leichter. Würde jedes Wiener Kind ab zwei oder drei Jahren den Kindergarten besuchen, hätten wir kein Sprachproblem mehr. Fast die Hälfte aller Neugeborenen in Wien stammt aus einem mehrsprachigen Haushalt. Gleichzeitig sind genau in diesen Haushalten die Mütter oft nicht berufstätig. Insofern ist die Berufstätigkeit als Vergabekriterium absurd.

Welches Kriterium wäre besser?

Gar keines. Jedes Kind hat ein Recht auf einen Betreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr, und das müssen wir auch garantieren. Für jedes Kind, das in Wien auf die Welt kommt, soll es einen Kindergartenplatz geben. Bei der Schule ist eine Vollversorgung ja auch selbstverständlich. Niemand sagt: Nur wenn deine Mutter berufstätig ist, kannst du die erste Klasse besuchen.

Wie groß ist denn die Lücke beim Angebot?

Bei den Kleinkindern sind wir in Wien sehr gut, aber Krippenplätze fehlen uns. Ich schätze, etliche hundert Kinder brauchen da noch einen Platz.

Wie viel würde das kosten?

Ein öffentlicher Ganztagskrippenplatz kostet Wien rund 12.000 Euro pro Jahr. 1000 neue Plätze kosten demnach zwölf Millionen Euro.


Deutschland garantiert für Einjährige einen Krippenplatz. Weil rasch Kinderkrippen errichtet wurden, hat die Qualität gelitten. Wie wichtig ist Quantität im Vergleich zur Qualität?

Gegenfrage: Würden wir bei der Volksschule darüber diskutieren? Dort ist es selbstverständlich, dass es Plätze für alle gibt und man trotzdem über die Qualität reden muss.

Bei der Schule besteht aber der Konsens, dass es keine Alternative gibt. Beim Kindergarten ist das bei sehr kleinen Kindern für viele nicht so klar. Finden Sie, dass ein zweijähriges Kind im Kindergarten immer besser aufgehoben ist als daheim?

Wenn das Kind pädagogisch erfahrene Eltern oder Großeltern mit extrem viel Tagesfreizeit hat, dann ist es zu Hause sicher gut aufgehoben. Aber auch dann fehlt ihm die Frühsozialisation mit anderen Kindern.

Wenn das so klar ist, müsste man dann nicht analog zur Schul- eine Kindergartenpflicht ab drei oder gar ab zwei Jahren fordern?

Wenn man das Wort Pflicht in den Mund nimmt, entstehen bei den Menschen grauenhafte Bilder im Kopf. Wir sollten tolle Angebote für die Kleinsten schaffen, dann werden sie auch angenommen.

Sie haben gesagt, ein garantierter Kindergartenplatz verhindere Sprachprobleme: Aber dass es ein Angebot gibt, heißt noch nicht, dass es angenommen wird.

Wenn es ausreichend Plätze gibt und man zu dem Zeitpunkt, an dem das Kind auf die Welt kommt, über die Garantie und die Bedeutung des Kindergartens informiert, wird das angenommen. Der Kindergartenplatz ist in Wien ja gratis.

Um in die Klischeekiste zu greifen: Glauben Sie wirklich, dass dann jedes Kind aus einer bildungsfernen Migrantenfamilie in den Kindergarten geschickt wird?

Wir alle haben dieses Klischee im Kopf, aber die Kinder, die bewusst nicht in den Kindergarten geschickt werden, stammen eher aus der Oberschicht.

Wenn das so wäre, hätten wir kein Sprachenproblem.

Sprachprobleme gibt es, weil Migranteneltern derzeit am System scheitern. Wenn man selbst Sprachprobleme hat, überfordert es, herumzurennen und einen Platz zu suchen. Manche wissen auch nicht, warum der Kindergarten wichtig ist. Dabei hat die Bildung der Kinder gerade in Zuwandererfamilien einen hohen Stellenwert.

Nicht immer.

Doch. Die meisten haben den Traum, dass das Kind Anwalt oder Arzt wird. Was fehlt, ist aber der Glaube, dass es möglich ist.

Was sagt die SPÖ zu Ihrer Idee?

Ich sehe die SPÖ da an unserer Seite. Keine Partei kann gegen einen möglichst frühen Kindergartenbesuch sein. Es geht nur darum, es zu tun. Das wäre eines meiner größten Anliegen für die nächsten fünf Jahre.

Vorher gibt es aber eine Wahl. Apropos: Kommt die Wahlrechtsreform am 27.November?

Ich hoffe es.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 17.10.2014)

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