Das Land der Schulversuche

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
  • Drucken

Allein an Pflichtschulen und Gymnasien gibt es derzeit mehr als 3500 Schulversuche. Flächendeckend umgesetzt wird von diesen bisher kaum einer.

Wien. Ein geplanter Schulversuch sorgt derzeit für einige Aufregung: Die gemeinsame Schule, in der alle Zehn- bis 14-Jährigen gemeinsam unterrichtet werden, soll im künftig schwarz-grün regierten Vorarlberg ein Stück weit umgesetzt werden. Wenn der Bund sein Okay gibt, könnte demnächst eine Modellregion starten: als Schulversuch.

Zumindest, wenn man sich die Erfahrungen mit den Schulversuchen ansieht, könnte man aber sagen: Die Aufregung ist überzogen. Dass es ein Schulversuch in das Regelschulsystem schafft, ist unüblich. Obwohl die Versuche eigentlich auf zehn Jahre beschränkt sind, laufen manche seit Jahrzehnten. Oft sehr erfolgreich – und trotzdem ohne, dass eine flächendeckende Umsetzung wahrscheinlicher würde. Denn hier stößt man auf ein altbekanntes Problem: ÖVP und SPÖ blockieren sich bei Schulreformen nur allzu gern gegenseitig.

Ganze Schulen als Schulversuch

Und so stehen die Schulen vor der Frage, wie sie sich ein eigenes Profil geben und annähernd innovativ arbeiten können. Die Antwort lautet oftmals: Schulversuch. Weshalb es in Österreich nicht nur sehr viele gibt, sondern auch ganze Schulen als Schulversuch deklariert werden müssen, wie etwa die Sir-Karl-Popper-Schule für Hochbegabte in Wien.

Oder wie es der Bildungsforscher Stefan Hopmann ausdrückt: „Die österreichische Variante, Dinge auf die lange Bank zu schieben, nennt sich Modellversuch. Das signalisiert, dass sich etwas tut – ohne, dass etwas passiert.“ Ein Beispiel: der Ethikunterricht. Seit 16 Jahren führen zahlreiche Schulen das Fach Ethik als verpflichtenden Gegenstand für jene Schüler, die an keinem konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen. Politische Einigung im Großen ist keine in Sicht.

Versuch Zentralmatura hat es geschafft

Schulversuche sind ungesichertes Terrain. Das Bildungsressort muss auf alte Zahlen zurückgreifen, und auch diese sind unvollständig. Im Schuljahr 2012/13 liefen an Pflichtschulen, Gymnasien und Kindergartenschulen mehr als 3500 Schulversuche. Zahlen für die berufsbildenden Schulen waren keine verfügbar. Dass die Zahl an den AHS mit 750dreimal so groß ist, wie an den (damaligen) Hauptschulen, dürfte an der Zentralmatura liegen: Sie ist einer jener Versuche, die es ins Regelschulwesen geschafft haben.

Die meisten Versuche gibt es aber ohnehin an den Volksschulen: nämlich 2456. Das hat einen einfachen Grund: Volksschulen geben in den ersten Schuljahren häufig keine Ziffernnoten. Verschiedene Formen der alternativen Beurteilung machen demnach auch die Top drei der Schulversuche aus. In Wien sind die Schüler, auf deren Zeugnissen in den ersten Schuljahren noch Noten zu finden sind, bereits in der Minderheit.

Doch obwohl es sich hier um eine seit mehr als zwanzig Jahren gut angenommene Praxis handelt, hat eine Übernahme ins reguläre System bisher nicht stattgefunden. Mehr noch: Sie muss – wie alle Schulversuche – mit bürokratischem Aufwand für jede Schulstufe extra beantragt werden. Und das jedes Jahr wieder, denn Schulversuche werden immer nur für ein Jahr genehmigt.

„Lerneffekt gegen null“

Für die Beteiligten könnten Schulversuche eine gute Erfahrung sein, meint Bildungsforscher Hopmann. Nur: Kaum etwas werde in den langfristigen Bestand des Schulsystems übernommen. „Der Lerneffekt tendiert gegen null.“ Unter den Ausnahmen, die flächendeckend umgesetzt wurden, sind die Zentralmatura und die Neue Mittelschule. Auch hier wurde die Kategorie Versuch aber nicht so genutzt, wie sie es sollte. Die Umsetzung erfolgte übereilt, bei der NMS sogar, ohne die vorgesehene Evaluierung überhaupt zu starten.

Die Neue Mittelschule soll vorerst offenbar frei von Schulversuchen bleiben. Aus dem Wiener Referat für Schulversuche heißt es, neue Schulversuche an der Neuen Mittelschule seien derzeit nicht gewünscht. Angeblich sei das bei einem neu kreierten Schultyp nicht nötig. Man darf abwarten, wie lang das so bleibt.

Autonomie statt Detailregelungen

Bildungsforscher Stefan Hopmann plädiert angesichts des Wildwuchses für mehr Eigenverantwortung. Ein Grund für die vielen Versuche sei, dass das österreichische Schulrecht dicht gestrickt ist. „Man sollte den Schulen die Detailregelungen des Unterrichtsbetriebs ersparen und es ihnen überlassen, für sich die richtige Mischung zu finden: Wann fange ich den Unterricht an, wie teile ich ein? Das muss man aber nicht Schulversuch nennen. Das könnte man auch Autonomie nennen.“

Zumindest ein klein wenig könnte sich hier in Zukunft ändern: Immerhin ist mehr Autonomie ein Teil des von der Regierung jüngst paktierten Sechs-Punkte-Programms für die Bildung. Und: Auch ein einfacherer Verzicht auf Ziffernnoten bis zur dritten Klasse Volksschule ist da Thema. (rovi/beba/j.n.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Leitartikel

Eine Reise ohne Plan oder: Der Umweg ist das Ziel

Der Bildungspolitik und den Schulversuchen liegt der gleiche Gedanke zugrunde: Irgendetwas Neues muss her. Hauptsache, das Alte ist weg.
Ganztagsschule
Schule

„Wo bleibt in der AHS-Unterstufe die Begabungsförderung?“

Neu an der Modellregion im Zillertal sei das, was in der Schule passiere, sagt Tirols Bildungslandesrätin Beate Palfrader (ÖVP).
Schule

Dämpfer für Gesamtschulprobe in Vorarlberg

ÖVP-Staatssekretär Mahrer bremst bei dem geplanten Modell in Vorarlberg. Es gebe bereits zu viele Schulversuche in Österreich.
Innenpolitik

Gesamtschule: "Totalumstellung wäre ein Flop"

Landeschef Wallner will nicht „von heute auf morgen“ ganz Vorarlberg zum Schulversuch machen.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.