Größte Marineaktion seit dem Kalten Krieg: Das Militär spricht von Anzeichen "ausländischer Unterwasseraktivität", möglicherweise ist ein russisches U-Boot verunglückt. Nun wurde ein erstes Foto präsentiert.
Der Stockholmer Schärengarten, eine zauberhafte Zone der Ostsee im Osten von Stockholm, ist über das Wochenende zum Schauplatz der größten See-Operation der schwedischen Streitkräfte seit Ende des Kalten Kriegs geworden. Flugzeuge und Hubschrauber, hunderte Soldaten auf Schnellbooten sowie mindestens zwei Korvetten der Visby- und Göteborg-Klasse waren im Einsatz, um, wie ein Sprecher der Marine sagte, „Anzeichen ausländischer Unterwasseraktivität“ nachzugehen.
Schwedische Medien spekulierten, dass ein russisches U-Boot untergegangen sein oder technische Probleme entwickelt haben könnte. Ob es „bloß“ entdeckt worden war und sich wieder davongemacht haben könnte, dazu gab es am Sonntag keine Angaben. Die schwedischen Streitkräfte wiesen zunächst jeden Kommentar zu der laufenden Aktion zurück, während aus dem russischen Verteidigungsministerium verlautete, es gebe keine Probleme.
"Das ist ein fremdes Schiff"
Hingegen hatte am Samstag der leitende Offizier der Suchaktion, Kommodore Jonas Wikstrom, gesagt, man habe die Suche aufgrund von Hinweisen aus glaubwürdiger Quelle eingeleitet. Der Rang eines Kommodores ist bei Marinen zwischen denen von Kapitän und Konteradmiral, er entspricht einem Brigadegeneral der Armee.
Im Verlaufe des Sonntags präsentierte die schwedische Armee Journalisten dann aber ein Foto, das das Objekt zeigen soll: "Das ist ein fremdes Schiff", sagte Konteradmiral Anders Grenstad. Leider sei es aber aufgrund dieses Bildes nicht möglich, die Herkunft des Schiffes zu bestimmen.
Notruf aus dem Schärengarten
Die Zeitung „Svenska Dagbladet“ berichtet, dass am Freitag ein Notruf bemerkt worden sei, emittiert aus dem Schärengarten. Das Gebiet besteht aus etwa 30.000 oft bewaldeten Inseln, es ist bei Urlaubern, Fischern und Wochenendhausbesitzern beliebt und zieht sich bis zu etwa 80 Kilometer östlich von Stockholm ins Meer. Pikant wurde die Sache, als der Notruf von einem Sender in Kaliningrad beantwortet worden sei – in dieser russischen Exklave zwischen Polen und Litauen ist justament das Hauptquartier der Ostseeflotte. Zudem sei bei den Russen eine „Kommunikation über einen Notruf“ belauscht worden. Der Lauscher sei (unter anderem) die Försvarets radioanstalt gewesen: die Sondereinheit des Militärgeheimdienstes zur Elektronischen Aufklärung.
Im Zentrum der Suche steht bzw. stand offenbar der Kanholmsfjärden, eine größere, von Schären umringte „Blase“ in den Schären 48 km östlich Stockholm. Allerdings sind U-Boot-Operationen im Schärengebiet recht fraglich, weil von Natur aus sehr schwierig: In der sowieso flachen Ostsee (Tiefe im Mittel 55 Meter), fallen getauchte U-Boote relativ leicht auf, man kann sie oft von Luftfahrzeugen aus sehen, und so haben die Russen nur zwei oder drei ihrer etwa 54 aktiven Boote (inklusive der strategischen) in der Ostseeflotte; es sind ein oder zwei konventionell betriebene Boote der etwas älteren Kilo-Klasse und eines der modernen Lada-Klasse.
In dem Schärengarten herrschen, das zeigen Seekarten, Tiefen von weit weniger als 50 m, ja weniger als 20 Meter – ein Boot wie das der Lada-Klasse (es heißt „Sankt Petersburg“) könnte mit seinen 70 m Länge bei sieben Meter Durchmesser darin eigentlich kaum fahren. Ein Klein-U-Boot allerdings schon: Tatsächlich mutmaßen Marinekenner, dass ein solches Boot alte Spionagesysteme am Meeresboden habe austauschen wollen, solche Kleinboote gebe es in Kaliningrad.
Um welche Boote es sich handeln könne, wurde nicht gesagt: Die russische Marine besaß in den 1980ern bis -90ern zwei der Piranha-Klasse (Länge 28 Meter, Durchmesser fünf Meter, neun Insassen). 2013 hieß es, dass neue, womöglich kleinere Boote in Entwicklung seien. Es könnten diesfalls freilich auch noch kleinere U-Boote zivilen Typs im Einsatz sein, die allerdings vermutlich ein Mutterschiff benötigen würden.
Als S-363 vor Karlskrona auf Grund lief
Im Kalten Krieg fuhren wiederholt sowjetische U-Boote in schwedische Gewässer. Berühmt wurde „S-363“, ein Boot der Whiskey-Klasse, das Oktober 1981 vor dem südschwedischen Karlskrona auf Grund lief. Ein sowjetischer Bergungskonvoi wurde verjagt, als sich Küstenartillerie und Kriegsschiffe feuerbereit machten. Etwa zehn Tage später wurde das Boot mit seinen etwa 60 Insassen von den Schweden geborgen und den Sowjets übergeben. Später hieß es, S-363 (die Schweden nannten es U137) hätte Nukleartorpedos an Bord gehabt; die Crew hätte das Boot zerstören sollen, falls es aufgebracht würde.
Seit einigen Jahren dringen russische Flugzeuge und Schiffe oft dicht an Grenzen fremder Lufträume vor, zuletzt vor Schottland und Alaska, was Alarmstarts von Jägern auslöste. Im September flogen zwei Suchoi Su-24 Fencer-Bomber in Schwedens Luftraum und wurden von Gripen-Jägern abgedrängt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)