Jung, türkisch, männlich – und kriminell?

STATISTIK. Ausländische Teenager werden öfter straffällig. Ja, aber . . . , sagen Experten.

1Sind türkischstämmige Jugendliche krimineller als inländische?Die Kriminalstatistik kennt Staatsbürger und Nicht-Staatsbürger. Sie geht nicht auf einen Migranten-Hintergrund österreichischer Verdächtiger ein – anders als in Deutschland (wo Untersuchungen zeigen, dass Migranten überproportional vertreten sind). Dass in Österreich der Familien-Hintergrund nicht erhoben wird, hat für Arno Pilgram vom Wiener Institut für Kriminalsoziologie nicht mit „Nicht-Wissen-Wollen“ zu tun, sondern damit, dass auch vieles andere (z.B. Bildung) nicht ausgewertet wird. Seine Bedenken: „Es stellt sich die Frage der Definition – wie weit geht man zurück? – bzw. auch ob nicht eine Gemeinsamkeit konstruiert wird.“

2Sind ausländische Jugendliche krimineller als inländische?Geht man nach der nackten Statistik: Ja. Laut der Studie „Juvenile justice in Austria“ betrug 2005 bei den jugendlichen Verdächtigen der Anteil der Nicht-Staatsbürger 20 Prozent. Nimmt man einige typische Delikte aus der aktuellen Kriminalstatistik (Diebstahl, Körperverletzung) beträgt der Anteil der zehn- bis 17-jährigen Ausländer 18,7 Prozent. Der Anteil an der jugendlichen Gesamtbevölkerung aber ist neun Prozent. Laut Experten hinkt der Vergleich jedoch, weil die Kriminalstatistik Fremde (Illegale) zählt, die nicht in der Bezugsgröße (Wohnbevölkerung) enthalten sind. Rechnet man dies und den Fakt heraus, dass Ausländer oft aus unteren, strafanfälligeren sozialen Schichten stammen, bleibe, so Pilgram, wenig „Kriminalitäts-Überschuss“, der sich bloß auf die fremde Nationalität zurückführen lässt.

3Bei welchen Delikten sind Ausländer stark repräsentiert?Laut „Juvenile“-Studie bei Eigentumsdelikten. Bei einer Untersuchung (2003) von Christian Grafl (Abteilung für Kriminologie, Juridicum) zeigt sich bei Drogendelikten der Anteil männlicher, ausländischer Teenager erhöht. Da diese Straftaten sowie Eigentumsdelikte (vor allem gewerbsmäßiger Diebstahl) aus kriminalpolitischen Überlegungen strikter bestraft werden, erklärt das zum Teil, warum die Verurteilungsquote von Ausländern höher ist. Im Jugendgefängnis Gerasdorf sind von 127 Insassen 35 Ausländer. Vom Rest haben 30 Prozent Migrations-Hintergrund.

5Warum werden Ausländer häufiger straffällig?Als Ursachen nennen Experten allgemein: Gewalt in der Familie, Armut, keine Perspektive. Eine Befragung von Jugendrichtern und anderen damit beschäftigten Fachleuten durch Katharina Beclin (Juridicum) ergab auch spezielle Gründe: So würden Migranten-Söhne oft verhätschelt und es nicht verkraften, wenn das Leben „draußen“ sie frustriert – vor allem weil sie anders als die (über)angepassten ersten Zuwanderern denselben Lifestyle wollen wie andere Teenager. Die Folge (siehe Frage 3): Man nimmt, was man nicht hat.

6Türken in der Schule, im Park: Die Probleme im Alltag?Türkischstämmige Jugendliche machen in der Schule nicht mehr Probleme als andere, sagt Mathilde Zeman, Leiterin der Schulpsychologie Wien. Eine Studie der Uni Wien zeigt, dass Kinder aus Migrantenfamilien nicht mehr Verhaltensauffälligkeiten aufweisen als österreichische. Trotzdem: Medial stehen brutale Einzelfälle im Mittelpunkt. Der Strafverteidiger Werner Tomanek, der oft türkische Straftäter vor Gericht vertritt: „Die Wiener Parks sind meist in der Hand der Einwanderer-Kinder, meist Türken oder Kinder aus Ex-Jugoslawien. Die österreichischen Jugendlichen haben sich verdrängen lassen, die sind heute oft Microsoft-Krüppel.“ som/eko/m.s./uw

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2008)

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