INTERVIEW. Jugendliche mit Migrationshintergrund, die weder Job noch Perspektive haben, können zum Problem werden, so Integrationsstadträtin Sandra Frauenberger.
Die Presse: Es soll in letzter Zeit immer wieder Probleme mit männlichen türkischen Jugendlichen, beziehungsweise mit österreichischen Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund gegeben haben. Haben Sie davon nichts bemerkt?
Sandra Frauenberger: Nicht mehr oder weniger als sonst. Derzeit ist das Thema Jugendkriminalität wegen der Morde in Großbritannien aktuell, es gibt auch bei uns größere Aufmerksamkeit. Ich bin aber in permanentem Kontakt mit der Polizei, die uns nichts berichtet was darauf schließen lässt, dass sich die Zahlen verändern. Wir wissen: Wir haben Identitätsprobleme bei der zweiten und dritten Generation jugendlicher Migranten. Deshalb wird 2009 mein Schwerpunkt in der Integration die Jugendarbeit sein.
Aber offenbar gibt es weniger ein generelles Gewaltproblem bei Jugendlichen, sondern vor allem eines bei türkischstämmigen männlichen Jugendlichen. Das aber wegen der FPÖ keiner so nennen will.
Frauenberger: Es lässt sich nicht auf eine Ethnie reduzieren. Es ist ein Perspektiven-Problem. Wir haben um die 70 Prozent Jugendliche mit Migrationshintergrund in den Jugendausbildungssicherungsgesetz-Maßnahmen. Das sind Maßnahmen für Jugendliche mit schlechter Ausbildung und ohne Lehrstelle. Wenn die auf der Straße wären und keine Perspektive hätten, wären sie in den Parks und dann wäre es gefährlich.
Gefährlich? Ohne Job werden Jugendliche mit Migrationshintergrund sofort zum Problem?
Frauenberger: Jugendliche ohne Perspektive können ein Problem werden, wenn man nicht ausreichende Maßnahmen setzt. Wie bieten daher Elternarbeit, Sprachförderung, Qualifizierungsmaßnahmen und außerschulische Freizeitangebote, damit die Kids nicht abdriften – zum Beispiel in die Moscheen, wie diskutiert wird.
Die Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen ist bei jungen Migranten Ihrer Meinung nach also nicht höher?
Frauenberger: Nein. Die Gewaltbereitschaft, die generell steigt, sorgt für mehr Konflikte in Schulen. Wir haben in den AHS einen 15-Prozent-Anteil von Kindern mit Migrationshintergrund, wo diese Gewaltbereitschaft vorkommt. Das sind klassische Jugendprobleme.
Sie konstatieren steigende Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen?
Frauenberger: Wir kennen alle die Bilder von Jugendlichen, die sich gegenseitig attackieren und das filmen. Ich würde die Tendenz zu Gewalt bei Jugendlichen nicht zu einem Integrationsproblem hochstilisieren. Schuld ist die Perspektivenlosigkeit. Hier sind wir als Stadt gut aufgestellt. Wir haben ein Netzwerk mit dem Jugend- und Sozialressort geknüpft, wo wir uns gemeinsam ansehen, was man Jugendlichen anbieten kann.
Trotzdem hat die Wiener SPÖ ein Problem: Die FPÖ legt in Umfragen gewaltig zu, die SPÖ hat massiv verloren. Was halten Sie der Anti-Ausländer-Linie der FPÖ entgegen?
Frauenberger: Ich kenne diese Umfragen nicht. Aber Heinz-Christian Strache hat kein anderes Thema als Hetzparolen gegen Ausländer. Wir werden dem sachliche Argumente entgegen halten. Es geht darum, darzustellen, was nicht funktioniert und was sehr wohl funktioniert. Diesmal wird Strache nicht so erfolgreich sein – gerade in Wien. In Wien hat sich in den vergangenen 15 Jahren viel getan im Bereich des Zusammenlebens. Es gibt viele in der Zivilgesellschaft, die bereit sind sich dem entgegen zu stellen.
Mit der Zivilgesellschaft gewinnt man aber selten Wahlen.
Frauenberger: Ich erlebe diese Stadt nicht als Stadt, wo Ausländerhetze noch viel Platz hat. Es gibt nach wie vor einen Prozentsatz, den die FPÖ für sich gewinnen kann. Daher muss man in diese Auseinandersetzung mit Selbstbewusstsein hineingehen. Strache reüssiert dort, wo es ihm gelingt Probleme, die keine Integrationsprobleme sind, zu Integrationsproblemen zu machen.
Wie soll dieses Selbstbewusstsein aussehen?
Frauenberger: Einerseits mit einer klaren antirassistischen Haltung, andererseits mit Sachargumenten, die letztendlich ein Appell an den sozialen Zusammenhalt sind. Probleme hier unter den Teppich zu kehren bringt aber auch nichts, vielmehr müssen wir den Dialog, die gute Nachbarschaft fördern.
Aber wo sind denn nun die Probleme im Integrationsbereich?
Frauenberger: Ein echtes Problem ist die Niederlassungs- und Integrationsbegleitung. Wir lernen die Zuwanderer mit unseren Ämtern und Institutionen kennen, verlieren sie dann in dieser Stadt. Sie sind nicht ausreichend begleitet in ihrer Niederlassung, um ausreichend Informationen zu Arbeitsmarkt, Gesundheit und Bildungswesen zu bekommen. Auf der anderen Seite haben sie nie Erwartungen ihnen gegenüber formuliert bekommen. Deshalb setzen wir im Herbst intensiv auf diese Begleitung. Wenn jemand neu hierher kommt, gilt: Willkommen, du hast hier Rechte und auch Pflichten.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2008)