Stundenlanges Duell ohne Moderator

Abgrenzen, Annähern, Ausgrenzen und Aufmuntern: Wenn sich der Nationalrat vier Tage vor der Wahl trifft, ist Wahlkampf, Aktionismus und selten blendende Rhetorik gefragt.

Wien. Es geht ja selten zimperlich zu im Nationalrat. Was die Abgeordneten und wechselweise anwesenden Regierungsmitglieder am Mittwoch abliefern, ist aber eher eine Art ausgedehntes TV-Duell denn eine Plenardebatte. Die ORF-Kameras liefern schließlich (zwischen neun und 17 Uhr) die begehrten Livebilder – unterbrochen nur von der Mittags-ZiB, aber da macht der Nationalrat sicherheitshalber Pause. Einziger Unterschied zum angekündigten Politiker-Showdown: Die grölende Fangemeinde der Spitzenkandidaten steht nicht abseits, sondern ist selbst laufend im Bild.

Kleine Pannen beim Klatschen

Kleine Pannen sind da durchaus inbegriffen: Als die ÖVP-Seite Wilhelm Molterer Standing Ovations angedeihen lässt, spricht sich das bis zur ersten Bankreihe zu Klubobmann Wolfgang Schüssel und seinem Stellvertreter Günter Stummvoll nicht sogleich herum. Das bringt ihnen Hohngelächter der anderen Fraktionen und die Aufforderung zur Welle ein. Was die SPÖ-Seite nicht hindert, wenig später selbst von den Bänken zu springen und Faymann dieselbe Ehre zu erweisen – bis auf ein paar rote Hinterbänkler, die hier das große Ereignis verschlafen. Der grüne Parteichef Alexander Van der Bellen ist also gewarnt, er bittet die Kollegen vom grünen Klub daher inständig, „mir keine Standing Ovations zu bereiten“.

In den Argumenten findet sich so gut wie nichts Neues – wie auch vier Tage vor der Wahl. Bloß die Koalitionen wechseln häufig und sind zuweilen sogar amüsant. Dass sich die einstigen Regierungskoordinatoren und allseits verdächtigen Großkoalitionäre Werner Faymann und Josef Pröll auf der Regierungsbank recht gut unterhalten, fällt im Plenum nicht nur positiv auf. ÖVP und BZÖ tuscheln hingegen betont auffällig miteinander, sind wieder ein Herz und eine Seele, was aber nicht weiter überrascht.

ÖVP mit BZÖ, FPÖ gegen alle

Rot und Blau hingegen, die finden zwar ab und an zur heraufbeschworenen Gemeinsamkeit. Die FPÖ erhofft sich aber offensichtlich durch Breitseiten gegen die SPÖ doch noch die eine oder andere wackelnde rote Wählerstimme. So mancher Freiheitliche scheut sich auch nicht vor einer Attacke auf die ÖVP und die Grünen, damit die Missgunst gleichmäßig verteilt ist. Die Grünen tun ihrerseits über weite Strecken so, als ginge sie das alles nichts an und als seien sie die Einzigen, die seriöse Politik betreiben. Und Heide Schmidt, die neue, alte LIF-Chefin, die sitzt auf der Galerie und hofft offenbar, zumindest bei dem einen oder anderen Kameraschwenk aufzufallen.

Und was kommt nach der Wahl?

Die Highlights der wahlkämpferischen Debatte, die am Nachmittag in einer Dringlichen Anfrage zur aufgewärmten Causa Eurofighter gipfelt, liefern aber erwartungsgemäß SPÖ- und ÖVP-Chef und die rhetorisch durchwegs geschulten Klubobleute. Eine kleine Auswahl: Molterer stellt Faymanns Fünf-Punkte-Programm „Fünf Leitlinien für fünf Jahre“ entgegen, denn: „Nach dem 28. September kommt nämlich in Wahrheit der 29.“ Was so viel heißt, wie: Nach der Wahl muss dann irgendwer mit irgendwem wohl oder übel wieder zusammenarbeiten. Faymann schießt seine Giftpfeile direkt auf Molterer ab, die zwei Stühle dazwischen sind zum Glück frei: „Ein Satz beim Herrn Finanzminister hat mir heute gefehlt, nicht, dass er mir direkt abgegangen wäre, aber: Was ist mit mehr privat und weniger Staat?“

Van der Bellen setzt wie immer auf ironische Ehrlichkeit: „Ich werde versuchen, zumindest teilweise keine Wahlkampfrede zu halten.“ SPÖ und ÖVP kommen allerdings auch bei ihm nicht ungeschoren davon: Erstere hätten eine Steuerentlastung versprochen, aber nichts dafür getan, Zweitere „in ihrem Zynismus“ nicht einmal eine angepeilt. SPÖ-Klubobmann Josef Cap stellt erneut seine jahrelange Übung als Alleinunterhalter im Dienste seiner Partei unter Beweis: „Hört's einmal auf damit, dass bei uns alles Schulden sind und bei euch sind es Wohltaten. Ihr solltet's überhaupt ein großes Nein plakatieren und darunter: ÖVP.“ FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache muss sich da offenbar bewusst abgrenzen (siehe oben) und poltert Richtung SPÖ: „Nur weil Sie keine Führungsstärke haben, müssen Sie nicht für alles die ÖVP verantwortlich machen.“ Faymann sei keine neue Wahl, sondern eine alte Qual. Dass er das BZÖ als Schoßhund der ÖVP abkanzelt, lässt wiederum der orange Klubobmann Peter Westenthaler nicht auf sich sitzen. Strache sei vom blauen Parteirebellen zum roten Mon-Chi-Chi geworden und im Übrigen Faymann nur ein Gusenbauer Nummer zwei.

Schüssel – kein Weihnachtsmann

Wolfgang Schüssel beliebt, den Zuhörer zu verwirren. Er hebt mit einer staatsmännischen Analyse der US-Bankenkrise an – nicht ohne den früheren US-Notenbankchef Alan Greenspan durch Sonne, Mond und Sterne zu hauen. Ein Seitenhieb auf die (SPÖ-nahe) Bawag darf freilich nicht fehlen. Und auch mit Faymann hat es der ÖVP-Klubchef nicht gar so sehr: „Alles für das Hier und Jetzt, nicht ein Wort zur Zukunft. Das reicht nicht für eine gute Politik.“ Die schwarzen Gräuel vor den roten Geschenken sind grenzenlos: „Wir sollten Weihnachten am 24. Dezember belassen und nicht Faynachten am 24. September.“

Womit auch das Geheimnis der Herkunft der verirrten Weihnachtsmänner geklärt war, die vor und im Parlament mit gruseligen Faymann-Masken und Erlagscheinen für die SPÖ-Hausbank fürs dirty campaigning sorgten.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.09.2008)

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