Vassilakou: Pflichtkurse für Migranten

(c) Die Presse (Michaela Bruckberger)
  • Drucken

Wende von Wiens Grünen-Chefin Vassilakou: Sie will von Zuwanderern ein klares Bekenntnis zu gemeinsamen Werten. Und spricht von fehlenden Visionen in der Integrationspolitik.

Integrationspolitik ist bei den Wiener Grünen ab sofort Chefsache: Klingt, als wäre sie bisher nicht sehr erfolgreich gewesen, oder?

Maria Vassilakou: Das Wahlergebnis vom 28. September war nicht nur für die Grünen ein Schock: Wenn sich fast 30 Prozent für FPÖ oder BZÖ entscheiden, darunter viele junge Wähler, sogar welche mit Migrationshintergrund. In Wien trägt die Verantwortung für dieses Wahlergebnis die SPÖ, die seit Jahr und Tag die Probleme ignoriert hat und den Menschen das Gefühl gibt, dass sie im Stich gelassen werden. Aber auch bei uns Grünen sehe ich den Bedarf nach einer Imagekorrektur. Wir haben zu Unrecht das Image, dass wir Probleme schönreden.

Wo sind denn die Probleme?

Vassilakou: Dass es nicht gelungen ist, in der Integrationspolitik eine Vision zu formulieren, eine gemeinsame gesellschaftspolitische Perspektive.

Da war grünes Multikulti?

Vassilakou: Multikulti ist ein öder Ausdruck, der mir nicht gefällt. Es geht in der Integrationspolitik darum, Zuwanderer zu einem Teil der österreichischen Gesellschaft zu machen. Ihnen in Österreich ein Zuhause zu geben, zu erreichen, dass sie sich im Herzen zu Österreich bekennen. Es bedeutet, dass es Rechte, aber auch Pflichten gibt. Es geht auch und sehr wohl um ein Bekenntnis zu einigen wesentlichen Werten.

Die da lauten...?

Vassilakou: Es war ein wesentlicher Fehler der modernen linken Bewegung in Österreich, dass sie diesen Wertediskurs nicht geführt hat. Als Beispiel nenne ich jetzt die Selbstbestimmung des Menschen, soziale Solidarität, Feminismus und etwa das Bekenntnis zum liberalen Rechtsstaat, inklusive der Menschenrechtskonvention.

Feminismus? Es ist eklatant, dass es da in vielen muslimischen Familien in Wien Mängel gibt, wie soll man denn die beheben?

Vassilakou: Es gibt absolut patriarchale Traditionen, die auch in Wien gepflegt werden, egal ob mit oder ohne Islam. Fest steht auch, dass die meisten Religionen nicht unbedingt Garant für Gleichberechtigung der Frauen sind. Der Islam ist da alles andere als eine Ausnahme, obwohl es durchaus feministische Bewegungen in islamischen Ländern gibt. Der Islam wird in der Öffentlichkeit leider nur durch die konservative Linie vertreten. In Wien aber sind die größte Gruppe die Alewiten, die modern sind, für Gleichberechtigung und Bildung stehen, und die leider öffentlich kaum wahrgenommen werden.

Omar Al-Rawi und Anas Shakfeh haben Ihrer Meinung nach ein Legitimationsproblem?

Vassilakou: Diese Debatte gibt es bereits seit Jahren. Es täte der Glaubensgemeinschaft gut, ihre Strukturen weiter zu öffnen. Denn erst wenn alle Strömungen vertreten sind, entsteht auch in der Öffentlichkeit eine repräsentativeres Bild. Heinz-Christian Strache bedient sich einseitiger Klischeebilder über den Islam, die Wirklichkeit in Wien schaut anders aus.

Viele junge Wiener Wähler, die sich für die FPÖ entschieden haben, haben offenbar ein subjektiv schlechtes Sicherheitsgefühl: Jeder kennt offenbar irgendjemanden, der von Jugendlichen mit türkischem Migrationshintergrund beraubt oder belästigt worden ist: Sehen Sie das auch so, oder stellen Sie das wie das offizielle Wien als Problem in Abrede?

Vassilakou: Das ist nicht subjektiv, es ist durchaus Realität. Wien ist zwar nicht Chicago, aber selbst in meinem Bekanntenkreis weiß ich von Jugendlichen, die geschlagen worden sind, oder denen das Handy oder die Jacke geraubt worden ist: Das ist sehr traumatisch. Wenn dir das mit 14 oder 15 passiert, prägt es dich auch sehr. Ich halte überhaupt nichts davon, das zu beschönigen. Da sind wir einmal mehr mitten in der Schuldebatte. Wenn es einen Ort gibt, wo Jugendliche, die erhöhtes Aggressionspotenzial haben, auffallen und wir sie erreichen können, ist das die Schule. Wir Grünen fordern seit Jahr und Tag Schulsozialarbeit, aber die gibt es in Wien nicht. Grete Laska (Vizebürgermeisterin, Anm.) und Susanne Brandsteidl (Stadtschulratschefin) tragen Mitverantwortung an der immensen Stärkung der FPÖ. Das Aggressionspotenzial der Jugendlichen lässt sich durch Präventionsarbeit in den Griff kriegen. Und dann ist das eine Frage der Aufstiegschancen: Wenn sie mit 15 nach der Schulpflicht keine Lehrstelle und keinen Job bekommen, ist es kein Wunder, wenn die Aggression steigt. Man muss diesen Jugendlichen signalisieren, dass sie einen Platz in der Gesellschaft haben. Dann kann man auch einiges von ihnen einfordern.

Das sagen aber alle: Wie soll das mit Einfordern denn funktionieren?

Vassilakou: Wir können die Kinder in der Schule erreichen und wesentlich zu ihrer Weiterentwicklung beitragen. Der Staat muss mehr in die Menschen investieren: Es kostet Geld, flächendeckend Deutschkurse anzubieten. Es kostet auch Geld, entsprechende Grundsätze der Verfassung, der Landeskunde und eben der Rechte und Pflichten zu unterrichten. Und es kostet auch Geld, Qualifikationen anzuerkennen. Doch diese Investitionen lohnen sich.

Aber was ist mit dem Einfordern?

Vassilakou: Einfordern heißt, dass man einen angemessenen Zeitraum gibt, um Kurse zu absolvieren. Man könnte beispielsweise sagen, innerhalb der ersten drei Jahre muss ein bestimmtes Fortbildungsprogramm ähnlich wie im kanadischen Modell gemacht werden.

Wir reden hier von einem verpflichtenden Programm, nicht?

Vassilakou: Es ist ein Willkommensprogramm für Neuankömmlinge, und es ist ein Fortbildungsprogramm.

Und verpflichtend?

Vassilakou: Ich glaube, dass man das einfordern kann. Sie müssen allerdings kostenlos sein. Man muss auch positive Anreize daran koppeln. Wenn diese Kurse erfolgreich absolviert werden, könnten etwa uneingeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt und die Staatsbürgerschaft schneller gewährt werden. Ich halte nichts davon, Zuwanderer auf sich allein gestellt zu lassen.

Zur Person: Maria Vassilakou

Die gebürtige Griechin kam am 23. Februar 1969 in Athen zur Welt und 1986 nach Österreich, wo sie in Wien ihr Dolmetsch-Studium begann. Sie engagierte sich dabei politisch in der Österreichischen Hochschülerschaft und wurde im Jahr 1996 für die Grünen in den Wiener Gemeinderat gewählt.
Von 2001 bis 2004 war Vassilakou nichtamtsführende Stadträtin und löste danach Christoph Chorherr an der Spitze des grünen Rathaus- klubs ab. Sie gilt als Pragmatikerin und ist stellvertretende Bundessprecherin der österreichischen Grünen. Ihren Schwerpunkt legt Vassilakou auf die Integration.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.10.2008)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.