Tod als Alltag: "Viele Ärzte haben Angst"

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ndreas Valentin ist Intensivmediziner und leitet die Arbeitsgruppe zum Thema Lebensende in der Bioethikkommission.

Die Presse: Als Intensivmediziner entscheiden Sie oft, wie und wann ein Patient stirbt. Was ist dabei am schwierigsten?

Andreas Valentin: Man muss unterscheiden, ob Patienten noch selbst ihren Willen kommunizieren können oder nicht. In der Intensivmedizin ist oft Letzteres der Fall. Dann ist das Gespräch mit den Angehörigen sehr wichtig, aber grundsätzlich entscheidet man auf Basis von medizinischen Fakten. Es ist meist eindeutig, wann die Grenze der sinnvollen Medizin erreicht ist. Manchmal, etwa bei einer massiven Hirnblutung, ist von Beginn an klar, dass eine Therapie nutzlos ist. Manchmal startet man zunächst eine Therapie, damit man genug Zeit hat, um die Diagnostik abzuwickeln. Aber wenn sich zeigt, dass man die Therapie besser gar nicht begonnen hätte, muss man sie zurücknehmen.

Entscheidet man das als Arzt allein?

Nein, im Team, zu dem auch die Pflege gehört. Aber letztlich muss einer die Verantwortung tragen – als Leiter einer Intensivstation ist das oft meine Aufgabe.

Wenn das alles so klar ist, wie Sie schildern, warum gibt es dann die viel kritisierte „Übertherapie“ am Lebensende, vor der sich viele auch fürchten?

Ich habe Ihnen einen idealen Ablauf geschildert. So ist es aber leider nicht immer und überall. Fehlentscheidungen können etwa schon außerhalb des Krankenhauses beginnen, z.B. wenn in einem Pflegeheim ein schwerstdementer, bettlägriger Mensch wiederbelebt wird. Wenn man weiß, dass schwerste Demenz eine Erkrankung ist, die einem Endstadium des Lebens entspricht, ist das nicht sinnvoll.

Warum passiert das dann?

Weil viele, auch Ärzte, die mit Entscheidungen am Lebensende nicht so viel Erfahrung haben, einfach Angst haben. Dazu kommt die Unsicherheit bezüglich juristischer Konsequenzen.

Zu Recht?

Jede Entscheidung wird mit Fakten begründet und dokumentiert. Unter Zeitdruck wie im Notfall kann das schwierig sein. Belastende, nutzlose Therapien sind nicht gerechtfertigt. Natürlich gibt es wie überall einen juristischen Interpretationsspielraum.

Wurden Sie selbst schon belangt?

Nein.

Als Graubereich gilt die Steigerung der Dosis von Schmerzmitteln, die quasi als Nebenwirkung den Tod beschleunigt. Wie heikel ist das in der Praxis?

Es ist ein Mythos, dass Opiate bei Sterbenden das Leben verkürzen. Im Gegenteil, die Linderung des Stresses zögert den Tod eher hinaus. Und: Wenn der Tod früher eintritt, ist das überhaupt eine „negative Nebenwirkung“? Das wäre ja keine Lebens-, sondern eine Sterbeverkürzung. Es geht am Lebensende nicht um das Wann, sondern um das Wie. Der Tod ist heute häufig etwas, was wir selbst gestalten und gestalten müssen, da der Fortschritt in der Medizin Entscheidungen nötig macht, die es früher so nicht gab.

Die Patienten können ja auch selbst Behandlungen ablehnen. Fällt es einem Arzt schwer, auf Wunsch eine lebenserhaltende Maßnahme abzubrechen?

Nehmen wir das Beispiel künstliche Beatmung: Wenn sich eine Lungenkrankheit immer mehr verschlechtert und sich abzeichnet, dass jemand ständig künstliche Beatmung braucht, ist eine Ablehnung nachvollziehbar. Wenn der Arzt hingegen weiß, dass die künstliche Beatmung nur für einige Tage nötig wäre, wird er wohl versuchen, den Patienten davon zu überzeugen.

Welche Rolle spielen Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht?

Bisher keine große. In meinen vielen Jahren in der Intensivmedizin habe ich nur ein Dutzend gesehen. Das hat mehrere Gründe, etwa bürokratische Hürden und Kosten. Vielleicht wollen sich viele Menschen aber auch nicht frühzeitig mit dem Tod auseinandersetzen.

Bei chronisch Kranken wie ALS-Patienten ist das wohl anders. Sie haben ihr Ende früh vor Augen. Haben Sie Verständnis für jene, die nicht warten wollen, bis eine lebenserhaltende Maßnahme nötig wird, die sie dann ablehnen können, sondern die fordern, dass die Beihilfe zum Suizid hier straffrei wird?

Prinzipiell wird die Bedeutung des assistierten Suizids überschätzt. Vermutlich ginge es bei 80.000 Toten in Österreich pro Jahr um 200 Personen, die darüber nachdenken. Natürlich sind darunter verzweifelte Fälle, vor allem wenn es um Menschen geht, die den Suizid selbst nicht herbeiführen können. Ich habe keine gute oder endgültige Antwort. Ich sehe es aber als gesellschaftspolitisches Problem, wenn man einen Menschen kriminalisiert, der einem anderen in einer extremen Leidenssituation beistehen will. Muss ein Mann, der seine schwerkranke Frau zum assistierten Suizid in die Schweiz begleitet, vor Gericht gestellt werden? Das tut einem doch in der Seele weh. Es müsste ein juristischer Weg gefunden werden, wie man der Barmherzigkeit Genüge tun kann, ohne der Kommerzialisierung Tür und Tor zu öffnen.

Manche sagen, dass ein Suizid immer einer Depression entspringt und deshalb nie wirklich gewollt sein kann.

Die wissenschaftliche Literatur ist eindeutig. Nicht jeder Suizidgedanke entspringt einer Depression. Er kann auch auf rationalen Überlegungen fußen.

In Deutschland wird gerade über die Rolle der Ärzte bei der Suizidbeihilfe diskutiert. Könnten Sie sich das denn vorstellen?

Das kommt auf die konkrete Situation an.

Vielen Patienten würden es wohl schon helfen, wenn sie mit ihrem Arzt offen ihre Optionen diskutieren könnten – von Palliativmedizin bis Ablehnung von Maßnahmen. Gibt es denn genug Sterbeberatung?

Nein, es gibt sicher zu wenig Sterbeberatung. Es fehlen vielleicht die Zeit und die Offenheit, die notwendig wären, damit sich die Patienten einem Arzt anvertrauten.

Wie stehen Sie zur Forderung, das Verbot der Tötung auf Verlangen in die Verfassung aufzunehmen?

Ich finde die Debatte unnötig. Konkret formuliert würde nur das gesetzliche Verbot wiederholt werden, und schwammig formuliert würde die Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte gefährdet werden, weil die notwendige Rücknahme einer Übertherapie in ein falsches Licht gerückt würde.

Das heißt, vor einigen Jahren war die Haltung der Ärzte zu einem solchen Behandlungsstopp eine andere – Stichwort: Apparatemedizin?

Ja, spätestens Mitte der 1990er-Jahre gab es einen Paradigmenwechsel. Inzwischen herrscht ein Konsens, dass man das Sterben nicht verlängern darf. Ihn sollte man nicht gefährden.

Sie leiten in der Bioethikkommission die Arbeitsgruppe zum Thema Lebensende. Die Vorschläge der Kommission sind öfter in der Schublade gelandet. Wie wird es diesmal?

Es hilft bereits, dass es überhaupt eine Debatte gibt und die Menschen nachdenken, was sie am Lebensende möchten.

Wie läuft denn die Zusammenarbeit mit der parlamentarischen Enquetekommission?

Derzeit arbeiten wir eher parallel. Wir werden sehen, wie es sich entwickelt.

ZUR PERSON

Andreas Valentin leitet die Allgemeine und Internistische Intensivstation in der Rudolfstiftung Wien, übernimmt aber demnächst die Abteilung für Innere Medizin im Krankenhaus Schwarzach (Salzburg). Er ist Präsident des Verbands der Intensivmedizinischen Gesellschaften Österreichs. In der Bioethikkommission leitet er die Arbeitsgruppe zum Thema Lebensende.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.10.2014)

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