Heinz Fischer: "2008 hat ein Krisenjahrzehnt begonnen"

Bundespräsident Heinz Fischer im Interview
Bundespräsident Heinz Fischer im Interview(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Er nehme die Wirtschafts- und Finanzkrise sehr ernst, sagt Bundespräsident Heinz Fischer im Interview. Besorgt zeigt er sich über die Uneinigkeit auch großer Ökonomen hinsichtlich der richtigen Maßnahmen, um gegenzusteuern. Bei der Steuerreform in Österreich hofft er auf einen Konsens, Ungleichheiten nicht größer werden zu lassen.

Sind die Budgetnöte des Bundesheeres, dessen Oberbefehlshaber Sie sind, Beispiel dafür, dass Ihnen realpolitisch eigentlich niemand folgt?

Heinz Fischer: Ich habe ein gutes Gespräch mit dem Herrn Finanzminister gehabt, bei dem das Bundesheer Thema war. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine der derzeitigen Wirtschaftssituation entsprechende, aber für das Bundesheer wichtige Lösung finden werden. Dies sagend, füge ich hinzu, dass der Nationalrat autonom ist bei der Beschlussfassung des Budgets. Der Bundespräsident ist kein Budgetminister. Aber da mir das Bundesheer wichtig ist, habe ich mich in die laufenden Gespräche eingeschaltet.

Haben Sie die Gespräche geführt, weil Sie das Bundesheer durch den Sparkurs in seinem Bestand gefährdet sehen, oder weil Sie an die krisenhaften Entwicklungen in Osteuropa denken?

Beide Aspekte spielen eine Rolle. Wir alle wissen, und niemand kann es bestreiten, dass das Bundesheer wirklich unter einem sehr engen finanziellen Korsett leidet. Außerdem ist es natürlich Teil eines strategischen Denkens, dass man die Wahrscheinlichkeit krisenhafter Entwicklungen miteinbeziehen muss. Momentan gibt es leider beträchtliche Spannungen in Europa.

Rechnen Sie damit, dass die Konflikte zunehmen werden?

Die Hauptverantwortlichen für die Politik in Europa, in Washington und in Moskau sind sich der Schwierigkeiten bewusst. Ich kann zwar kein nahes Ende der Krise prophezeien. Mein Eindruck ist aber, dass die Stimmen stärker werden, die zu Verantwortungsbewusstsein mahnen.

Woher rührt dieser Eindruck? Beim jüngsten G20-Gipfel erweckte es eher den gegenteiligen Anschein.

Ich verweise zum Beispiel auf die Diskussion in der letzten Außenministerkonferenz. Das ist eben auch die Meinung von Leuten, auf deren Urteil ich viel gebe. Dazu zählt zum Beispiel der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier, der begonnen hat, in diesem Sinne auch Schritte zu setzen.

Sie waren unlängst in der Republik Moldau. Wie sehr ist dort die Angst vor Russland zu spüren?

Es würde eine Ostukraine als Teil der Ukraine nicht mehr geben, wenn sich Europa nicht sehr intensiv eingeschaltet hätte. In der Republik Moldau gibt die Befürchtungen mancher, dass für Russland die Versuchung besteht, einen Einflusskorridor von der Krim bis Transnistrien zu schaffen. Dass die Ukraine eine sehr starke moralische und finanzielle Unterstützung von Europa erhält, wird in Moldau genau registriert. Ich persönlich hoffe, dass man nicht von einer weitergehenden Unvernunft der russischen Führung ausgehen muss.

Und würde das doch passieren?

Dann wäre Europa auf dem Weg zu einer instabileren Situation und einer Vertiefung des Grabens zu Russland ein gutes Stück weiter. Und Russland würde sich noch größeren Schaden zufügen.

Welche Fehler hat Europa im Ukraine-Konflikt begangen?

Europa hat etwa viel zu lange den Standpunkt vertreten, die zukünftige Orientierung der Ukraine geht nur Europa etwas an und Russland nichts. Das war nicht weitschauend genug und hat die Geschichte dieser beiden Staaten ausgeblendet.

Zu einer anderen Konfliktzone: Ist Europas Haltung gegenüber der palästinensischen Führung nicht schwierig? Diese wird von der Hamas gestützt, die sich über Terroranschläge freut.

Ohne Wenn und Aber: Dieser Terroranschlag gegen Betende in einer Synagoge war ein schreckliches Verbrechen, das ich schärfstens verurteile. Was ich noch sagen möchte: Die Tendenz der derzeitigen israelischen Regierung, das Problem mit den Palästinensern primär durch eine Politik der Repression und mit einer forcierten Siedlungspolitik zu lösen, kann ich nicht nachvollziehen. Das ungelöste Problem zwischen Israelis und Palästinensern hat dazu beigetragen, dass der gesamte Nahe Osten ein so heikles Territorium geworden ist. Dass wir nach Jahrzehnten noch immer keinen Frieden haben, tut weh und ist unverantwortlich und unklug. Abbas will eine friedliche Lösung, und mit seinen Nachfolgern wird man es nicht leichter, sondern schwerer haben.

Stimmen Sie vor dem Hintergrund der derzeitigen Krise zu, dass Europa von 1989 bis 2008 die 20 goldenen Jahre erlebt hat?

Wenn Sie schon Jahreszahlen nennen: Für mich waren die goldenen Jahre von 1970 bis zu Beginn der Wirtschaftskrise im Jahr 2008.

Innenpolitisch.

Auch außenpolitisch.

Aber da gab es ja noch den Kalten Krieg.

Aber der Kalte Krieg ist schrittweise abgebaut worden. Es gab Abrüstungsverträge, die KSZE (Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, Anm.) und viele gute außenpolitische Initiativen. Die Periode von 1970 bis 2008 halte ich für die beste Zeit im 20. und zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

Wir gehen in das siebente Krisenjahr. Zu Beginn dieser Krise sind jene, die von zehn verlorenen Jahren gesprochen haben, als Kassandren gebrandmarkt worden. Rechnen Sie mit einem baldigen Ende?

Man muss sagen, im Jahr 2008 hat ein Krisenjahrzehnt begonnen. Das ist kein Zweckpessimismus. 2015 wird noch ein sehr schweres Jahr. Auch 2016 wird noch schwer werden, und selbst über die Jahre danach darf man sich keine Illusionen machen.

Wurde auf die Krise gut genug reagiert?

Ein zweites 1929 konnte zum Glück abgewendet werden. Die Befürchtungen, dass die Europäische Union oder die Eurozone zerbricht, waren ebenfalls übertrieben. Dennoch ist diese Krise sehr ernst zu nehmen. Was mich so besorgt, ist, dass zwischen den besten Ökonomen eine Trennlinie verläuft – zwischen jenen, die sagen, sparen ist das oberste Gebot, und den anderen, die Vorrang für Investitionen fordern, um die Konjunktur anzukurbeln. Das ist für mich beunruhigend. Denn es kann ja nur eine der beiden Richtungen recht haben.

Instinktiv nehmen wir an, dass Sie eher der zweitgenannten Schule anhängen.

Ich registriere, dass sich jetzt auch das Österreichische Wirtschaftsforschungsinstitut für verstärkte Impulse ausspricht, und sich unter US-Ökonomen die zweite Schule de facto durchgesetzt hat. Wahrscheinlich werden Sie sagen, typisch Fischer, wenn ich sage, weder die einen noch die anderen haben die alleinige Wahrheit. Die österreichische Bundesregierung darf das Prinzip der Sparsamkeit keineswegs aus den Augen verlieren, aber es gibt ein wachsendes Ausmaß an Konsens zwischen Sozialpartnern und Regierung, dass wir keinesfalls zu wenig investieren dürfen.

Zusätzliche Investitionen des Staates oder eine Steuerreform auf Pump würden Ihnen also keine schlaflosen Nächte bereiten?

Eine Steuerreform auf Pump ist ein Propaganda-Ausdruck, weil eine Steuerreform auch viel Positives indiziert. Ich bin zuversichtlich, dass die Regierung sich vorsichtig an einen Kurs herantastet, der unser Steuersystem verbessert und bei dem Investitionen nicht zu kurz kommen, ohne dass die Einsicht verloren geht, sparsam mit den Budgetmitteln umzugehen.

Sie sind, was das Volumen einer Steuerreform betrifft, wahrscheinlich eher bei den acht Milliarden Euro des Wifo.

Ich habe keine Zahlen anzubieten. Es soll eine ambitionierte, gerechte und impulsgebende Steuerreform werden. Zu Volumina äußere ich mich nicht.

Sie haben Sympathien für eine Vermögensteuer gezeigt. Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Können Sie sich mit einer Erbschaftssteuer anfreunden?

Mir geht es nicht darum, wie die Steuer heißt. Mich machen die Zahlen besorgt, die zeigen, wie groß die Vermögenskonzentration auf der einen Seite ist, wie rasch sie vor sich geht und wie schwer es auf der anderen Seite viele haben, die nahe oder unter der Armutsgrenze leben. Da müsste es doch einen breiten gesellschaftlichen Konsens geben können – von christlicher Soziallehre über Gewerkschaften bis zu den Koalitionspartnern –, dass man sagt, wir sind für das Leistungsprinzip, wir wissen, dass es Einkommens- und Vermögensgefälle in jeder Gesellschaft gibt, aber wir wollen die beträchtlichen Ungleichheiten nicht noch größer werden lassen, besonders in einer Zeit, in der eine Ankurbelung des Konsums wichtig ist.

Ist es da bei den Verhandlungen über eine Steuerreform sehr hilfreich, wenn SPÖ und ÖVP einander Ultimaten ausrichten wie zuletzt?

Ich halte alles für hilfreich, was dazu beitragen kann, dass man die Steuerreform in einem guten Klima und auf Basis einer gemeinsamen Lösung über die Bühne bringt, und ich halte alles für wenig hilfreich, was für das Zustandekommen einer die Regierungsfähigkeit der Bundesregierung unter Beweis stellende Steuerreform hinderlich ist.

Rechnen Sie damit, dass es nach den Parteitagen – jener der SPÖ folgt Ende nächster Woche – leichter wird?

Die Zahlen und die Probleme werden zwar unverändert bleiben, aber psychologisch sollte es leichter werden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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