Wie man in der Türkei seinen Weg bahnt

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To match feature TURKEY-MALLS/(c) REUTERS (OSMAN ORSAL)
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Die politische Unsicherheit bremst die Dynamik der türkischen Wirtschaft. Doch die Chancen für Investoren und Exporteure bleiben groß. Die Wirtschaftskammer will nun auch Österreichs Mittelstand auf den Bosporus locken.

Der pechschwarze Mohr mit dem roten Fes hatte es Ali Gökhan angetan. Beim Hotelfrühstück in Bukarest machte der junge türkische Geschäftsmann die erste Bekanntschaft mit Meinl-Kaffee. Das Logo, in der Heimat der Marke längst unter Rassismusverdacht, fand er auf Anhieb „perfekt, weil man es so leicht wiedererkennen kann“. Der Plan war geboren: Zurück nach Istanbul, als „Botschafter einer Marke“. Heute ist Meinl in der türkischen Gastronomie die Nummer zwei nach Nespresso. Das Herz des Projekts: ein Kaffeehaus in Istanbul, mit einer eigenständigen „türkischen Seele“. Auch wenn es mit alten Plakaten der österreichischen Kaffeeröster dekoriert ist, heißt es nicht nach dem Mohren, sondern nach einem schwarzen Vogel: „Karabatak“, dem Kormoran. Fröhliche Großstädter in den Zwanzigern laben sich an Eiskaffee und Sachertorte in dem zwanglosen Szenelokal.

Welch ein Wandel. Denn als Gökhan hier zuerst ein Lager einrichtete, schloss er schon nachmittags die Pforten. Die schäbige Gegend am Rand des Stadtteils Karakoy hatte einen schlechten Ruf. Junkies und Obdachlose trieben sich dort herum. Gökhan aber hatte eine Vision. Er trommelte Freunde zusammen, die nebenan mehrere Bars aufmachten, zugleich mit seinem Kaffeehaus. Damit die mächtige Moscheegemeinde des Viertels seine kühnen Pläne billigte, stattete er ihre Fußballmannschaft mit Mohrentrikots aus. Heute leuchten bunte Glühbirnen in dem Blätterdach, das sich zwischen die Dächer spannt. Entspannte Flaneure bevölkern die Gasse. Ein holländisches Ranking zählt das Café zu den zehn bestgestylten in Europa. Ob „New York Times“, „Vogue“ oder indische Magazine: In keinem Reisespecial, das in die Metropole auf dem Bosporus lockt, fehlt der Kormoran. Und auf seinen schwarzen Schwingen trägt er den Ruhm von Meinl-Kaffee in die Welt hinaus.

Türkische Tücken. Kein mitteleuropäischer Businessplan würde so gekrümmte Wege zum Erfolg vorzeichnen. Und ohne einen gewieften Überlebenskünstler vor Ort, ist Gökhan überzeugt, kann dort kein Mittelständler aus Österreich reüssieren. Zu tückisch sei die türkische Bürokratie, zu fremd die Mentalität und die ungeschriebenen Gesetze. Genau darum aber ging es einer Delegationsreise der Wiener Wirtschaftskammer nach Istanbul und Ankara in dieser Woche: auch mittelgroßen Unternehmen den Weg in das dynamische Schwellenland vor den Toren Europas zu ebnen. Zu einem Zeitpunkt, zu dem es politisch und gesellschaftlich auf der Kippe steht – und damit wohl auch ökonomisch.

Die Politik des Präsidenten Erdoğan nimmt zunehmend diktatorische Züge an. Mit seiner Partei, der AKP, reißt er alle Macht an sich. Viele fürchten, dass die Türkei in ein vom Islam geprägtes Staatsmodell zurückfällt. Das Kopftuch gewinnt Präsenz, auch in Teilen Istanbuls. Die Proteste im Gezi-Park, der Korruptionsskandal, das Grubenunglück von Soma: Das alles sorgt für Unsicherheit, die auch das Wachstum bremst. Doch die Signale sind widersprüchlich: Manche Minister aus Erdoğans AKP-Partei treiben weiterhin vernünftige Reformen voran, hört man von Österreichs Wirtschaftstreibenden vor Ort. Bleibt der Gezi-Park nun eine grüne Lunge im Moloch Istanbul? Oder muss er doch dem 111.Einkaufszentrum weichen? So ungewiss wie das Schicksal der Grünfläche, an dem sich die Wut der Regimegegner entflammte, ist auch die Zukunft des Landes.

Für große heimische Unternehmen steht einiges auf dem Spiel. Drei Jahre lang, von 2009 bis 2011, war Österreich der wichtigste Investor in der Türkei. Die OMV kaufte um eineinhalb Milliarden Euro die Petrol Ofisi mit dem größten Tankstellennetz des Landes. Der Verbund investierte in ein missglücktes Joint Venture hunderte Millionen. Das jüngste größere Investment ist die Beteiligung der Post AG an dem Paketdienst Aras. Doch der Expansionsdrang hat stark nachgelassen. Was nicht dem Trend entspricht: Im ersten Halbjahr legten die ausländischen Direktinvestitionen um 28 Prozent zu. Und das, obwohl sich die Dynamik vor Ort merklich abschwächt. Die große Aufbruchsstimmung ist vorerst vorbei: Zwischen 2000 und 2013 wuchs die Wirtschaft im Schnitt pro Jahr mit über fünf Prozent. Die Erwartungen für heuer sind mit 3,3 Prozent gedämpft.

Potenzial stark, Struktur schwach. Wo aber liegt das Potenzial? Die Aufholjagd ist auf halbem Weg. Die Türkei ist ein junges Land: Die Hälfte der 77 Millionen Türken ist jünger als 30 Jahre. Immer noch strömen Hunderttausende von den Dörfern Anatoliens in die Metropolen. Damit sie alle Arbeit abseits der Felder finden, braucht es um die fünf Prozent Wachstum. Mehr aber verträgt die Volkswirtschaft vorerst gar nicht, da ihre Struktur zu wenig robust ist. Das Land dient als günstige Werkbank, global bekannte Marken hat es noch nicht hervorgebracht. Zudem hat die Industrie an Bedeutung verloren. Zu viel hängt am Inlandskonsum, zu viel wird dafür importiert. Der Boden gibt keine Rohstoffe her, die Energie kommt fast ganz von außen. Die Preise steigen heuer um fast zehn Prozent. Die Leistungsbilanz ist chronisch negativ. Zum Ausgleich muss Kapital ins Land fließen. Die Türkei hängt am Tropf der launischen Finanzmärkte, die ihre Gunst den Schwellenländern entziehen, sobald die US-Notenbank mit einem Zinsschritt nach oben überrascht.

Und der Bauboom? Dass sich die Skyline von Istanbul oder Ankara immer rasanter verwandelt, macht Osman Boyner Sorgen: „Wir wollen kein zweites Spanien werden“, sagt der Chef der türkischen Industriellenvereinigung Tüsiad. „Das Nachspiel eines solchen Booms ist gar nicht schön.“ Doch auch wenn die Hochhäuser in den Himmel schießen – auf die finanziellen Mittel trifft das nicht zu. Die Türken sind kein Volk von Sparern. Die meisten Darlehen für Bauvorhaben laufen in Euro oder Dollar, um den großen Zinsvorteil zu nutzen. Da die niedrigen Zinsen in den hochentwickelten Staaten kaum ewig halten und die Rendite bei vielen Projekten nicht berauschend ist, sollte sich auch das Baufieber abkühlen, bevor es echte Blasen bildet.

Eine Bedrohung ganz anderer Art ist der Bürgerkrieg in Syrien. Er beschert der Türkei fast zwei Millionen Flüchtlinge. Dass die öffentliche Hand sie ernähren und ihnen ein Dach über dem Kopf schaffen muss, wirkt noch wie ein wenig nachhaltiges Konjunkturprogramm. „Das Problem ist: Die meisten Flüchtlinge wollen bleiben. Wir müssen sie also auf dem Arbeitsmarkt integrieren“, erklärt Boyner.

Der Tourismus sorgt weiter für helle Farben im ökonomischen Tableau. Seine Erfolge sind bislang ungebremst. Weiters auf der Habenseite: ein solider Bankensektor, eine niedrige Staatsverschuldung und eine für ein Niedriglohnland gut ausgebildete Jugend. Eine Renaissance erlebt die schon totgesagte Textilindustrie: Da die Löhne an den Küsten Chinas so stark anziehen, kommen europäische Modeketten reumütig auf türkische Anbieter zurück. Dass diese vor der Haustüre produzieren, macht die Logistik einfach und flexibel– was den verbliebenen Mehrpreis allemal lohnt. In anderen modischen Sphären schwebt Atıl Kutoğlu. Der Designer, halb in Wien, halb in Istanbul zuhause, schwärmt von der kreativen Atmosphäre der türkischen Kulturmetropole – und der wachsenden Kaufkraft der Kunden: „Ich verkaufe hier schon mehr als in Wien.“ Ein Botschafter zweier Welten ist auch Attila Dogudan. Der Caterer profitiert vom rasanten Wachstum der Turkish Airlines und baut gerade eine ausgebrannte Sultansvilla auf dem Bosporus zum Luxushotel um.

Als Frau hoch hinaus. Braucht es für solche Erfolgsgeschichten mit Österreich-Bezug tatsächlich türkische Gene und doppelte Staatsbürgerschaften? Die Architektin Brigitte Weber zeigt, wie man auch als Vorarlberger Frau in dieser Männergesellschaft nach oben kommt – genauer: 37 Stockwerke hoch. An einem wichtigen Verkehrsknoten im Zentrum Istanbuls ragen ihre Trump Towers in den Himmel – eines der teuersten Projekte der Stadt: Büros, ein Shoppingcenter, vor allem aber 200 lichtdurchflutete Luxuswohnungen. Mit Charme und Beharrlichkeit hat Weber etwas geschafft, woran selbst Größen wie Norman Foster scheiterten: als Nichttürke eine Architektenlizenz zu bekommen. So konnte sie auch auf dem Istanbuler Markt für Premium-Immobilien Fuß fassen.

Webers Geheimnis? Sie verteidigt ihre Konzepte, geht aber auch auf die Psychologie der kaprizierten Kunden ein, beobachtet der Wirtschaftsdelegierte Marco Garcia: „Das brauchen die Türken.“ Vor 19 Jahren kam sie ohne Rückflugticket an das Goldene Horn. Seitdem hat sie 150 Projekte realisiert: „Wenn man einen Auftrag hat, kommen die anderen nach“, erzählt die Stararchitektin ganz ohne Allüren. Und auf einmal erscheint es ebenso einfach wie verlockend, die Schwelle zum Morgenland zu überschreiten.

HINWEIS

Der Autor war auf Einladung der Wiener Wirtschaftskammer in der Türkei.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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