Töchterl ist frustriert

Erste Erfahrungen des Kindes mit der Vorbereitung auf die Zentralmatura in Deutsch. Man muss zu allem eine Meinung haben. "Und dauernd eine Meinung haben ist auch fad."

Töchterl ist frustriert. Und ich kann es gut verstehen. Einen Leserbrief soll sie verfassen als Hausaufgabe – zu einem Geschwafel eines Jugendforschers: PISA-Test, bla, bla, bla, angepasste Teenager, bla, bla, bla, Herzensbildung, bla, bla, bla. „Was soll ich denn dazu schreiben?!“, ruft Töchterl. „Da fallen mir nie 350 Wörter ein!“

„Keine Ahnung“, sage ich. Ich habe erst einmal einen Leserbrief verfasst, und der war maximal 80 Wörter lang. „Seit wann lernt ihr überhaupt in der Schule so einen Unfug?“

Das ist natürlich eine rhetorische Frage: Ich weiß genau, seit wann. Seit die Klasse von ihrem Lehrer auf die Zentralmatura vorbereitet wird. Seither gibt es kein kreatives Schreiben mehr, keine Geschichten, Bildbeschreibungen, fantastischen Erzählungen, auch keine ausufernden Erörterungen und Literatur-Interpretationen. Seither werden nur mehr Artikel zusammengefasst und Kommentare kommentiert, werden Berichte referiert und eben Leserbriefe geschrieben. Einen Leserbrief schreiben, das muss man offenbar heutzutage können, wenn man sich reif nennen will, für so etwas gibt es sogar bildungsministerielle Vorschriften.


Und die Literatur? Dafür kommt die Literatur zu kurz, auch wenn Ministerin Heinisch-Hosek nach dem Aufschrei von Autoren und Lesern im Oktober nicht müde wurde zu betonen, dass die Literatur doch eh ein fixes Plätzchen in der Zentralmatura habe, ja erstmals sei sogar verpflichtend ein Literaturthema unter den Aufgaben.

Aber was für eines! Weil man offenbar nicht alle Achtklässler bundesweit verpflichten kann, die gleichen Bücher zu lesen, beschränkt sich der belletristische Stoff auf eine Kurzgeschichte, die zu interpretieren ist, und zwar nicht irgendwie, sondern unter einem bestimmten Aspekt, etwa so: „Deuten Sie den Inhalt der Kurzgeschichte im Hinblick auf das Thema Umgang mit Natur und Leben, indem Sie auch auf den Symbolcharakter der Schnecke eingehen“.

Eine Kurzgeschichte, die sich so zurichten lässt, will ich gar nicht lesen. Und ich will auch nicht, dass meine Töchter den Eindruck kriegen, Kurzgeschichten seien so banal. Da wäre mir schon lieber, das Ministerium ließe die Literatur ganz in Ruhe.


Missglückt. Töchterl hat den Leserbrief dann geschrieben, er ist ihr total missglückt, sagt sie, denn eigentlich weiß sie nicht, wie die Jugend ist, jedenfalls nicht die ganze – und ob der PISA-Test so schlecht ist, kann sie auch nicht beurteilen, und sie findet manches, was dieser Jugendforscher sagt, eh interessant, anderes dagegen nicht, aber in einem Leserbrief kann man ja nicht abwägen, da muss man doch eine Meinung haben! Hauptsache, es wird gemeint.

bettina.eibel-steiner@diepresse.com

diepresse.com/amherd

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.11.2014)

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