Analyse: Warum die SPÖ in der Krise ist

Hundstorfer and Faymann display a diagram during a news conference on the pension system in Vienna
Hundstorfer and Faymann display a diagram during a news conference on the pension system in Vienna(c) REUTERS (HEINZ-PETER BADER)
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Noch nie ging es den Sozialdemokraten so schlecht wie unter Werner Faymann. Doch der Bundeskanzler ist nicht der einzige Grund für die kontinuierlichen Stimmenverluste der Partei.

Wien. Die SPÖ hat schon bessere Zeiten erlebt. Viel bessere. Mit Bruno Kreisky holte sie 50 Prozent, mit Franz Vranitzky 40, und selbst mit dem ungeliebten Alfred Gusenbauer noch mehr als 35 Prozent.

Unter Werner Faymann, der am Freitag als Parteivorsitzender bestätigt wurde (siehe nebenstehenden Bericht), fiel sie auf 26,8Prozent zurück. Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil: In Umfragen hält die SPÖ derzeit zwischen 22 und 24 Prozent – hinter der ÖVP und zum Teil sogar hinter der FPÖ. Es wäre allerdings falsch, Faymann allein die Schuld dafür zu geben (auch wenn das manche in der Partei tun). Der Kanzler mag ein Grund für die Krise der SPÖ sein, aber nicht der Einzige. Ein Erklärungsversuch in fünf Thesen:

1 Die Faymann-SPÖ kämpft mit schwierigen Rahmenbedingungen.

Als Faymann 2008 an die Macht kam, brach gerade die Wirtschaft in Europa ein. Die Linke war überzeugt, dass sie gestärkt hervorgehen wird, wenn die Lehren aus der Krise erst einmal gezogen sind. Stattdessen warf man ihr vor, dass sie diese nicht verhindert hatte.

Dass es noch immer nicht vorbei ist, zeigen die Arbeitsmarktdaten. Ende Oktober waren in Österreich fast 390.000 Personen ohne Job – um 7,8 Prozent mehr als ein Jahr davor. Tendenz steigend. Erich Fröschl, der ehemalige Direktor des Renner-Instituts, der sich in seinem neuen Buch („Von der konkreten Utopie zur Höllenfahrtpolka“) den Problemen der Sozialdemokratie widmet, sieht Faymann in der Doppelmühle. Der Bundeskanzler bemühe sich zwar, „von den sparfetischistischen Plänen in Europa wegzukommen“. In einer Koalition mit der ÖVP sei er jedoch zu Kompromissen gezwungen. Und das schade der SPÖ.

2 Die Faymann-SPÖ hat ein Zielgruppenproblem.

Die Kernklientel der SPÖ, die Arbeiterschaft, ist über die Jahrzehnte zwar nur unwesentlich kleiner geworden: Die meisten Arbeiter – 1,84Millionen – hat es laut Hauptverband der Sozialversicherungen 1961 gegeben. Derzeit sind es 1,34Millionen. Doch ist ihr Anteil an der Bevölkerung heute deutlich geringer. So stieg etwa die Zahl der Angestellten im selben Zeitraum von 579.000 auf 1,92 Millionen.

Hinzu kommt, dass sich immer mehr Arbeiter von der SPÖ ab- und wenn nicht der FPÖ, dann dem Nichtwählerlager zuwenden. Darüber hinaus habe sich, wie Fröschl meint, auf dem Dienstleistungssektor „ein neues Proletariat“ entwickelt, um das sich die SPÖ verstärkt kümmern müsse. Gemeint sind prekär Beschäftigte, also z.B. Leiharbeiter, Scheinselbstständige und Ein-Personen-Unternehmen.

3 Die Faymann-SPÖ ist eine alte Partei.

Problematisch ist auch die demografische Struktur der SPÖ. Bei der Nationalratswahl 2013 gaben nur 17 Prozent der unter 30-Jährigen der SPÖ ihre Stimme, also deutlich weniger als insgesamt (26,8Prozent). Das bedeutete Platz vier in diesem Alterssegment. Dafür wählte jeder Dritte über 60 rot.

Dietmar Ecker, einst Kommunikationschef der SPÖ und heute Inhaber einer PR-Agentur, führt dieses Nachwuchsproblem nicht nur auf eine „mangelnde Rekrutierungsarbeit“ zurück, sondern auch auf eine „besitzstandswahrende Politik“. Die Ausrichtung an den Pensionisten führe notgedrungen zu einem Konflikt mit der Jugend.

Ein weiterer Beleg dafür sind die sinkenden Mitgliederzahlen. Im Jahr 1980 hatten 730.000 Personen ein SPÖ-Parteibuch, heute sind es nur noch 205.000. Wobei hier ein gesamtgesellschaftliches Phänomen mitspielt: Auch andere Parteien und Organisationen wie die katholische Kirche klagen über immer weniger Gefolgschaft.

(c) Die Presse

4 Die Faymann-SPÖ hat keinen Mut zu Reformen.

Die Reformfreude hält sich nicht nur bei den Pensionen in Grenzen. Der Kanzler verwaltet gern, aber er gestaltet kaum. Vermutlich aus einem Machterhaltungsbedürfnis heraus. Er will es sich mit niemandem verscherzen, schon gar nicht mit den Gewerkschaftern und der Wiener SPÖ, aus der er kommt.

Gusenbauer träumte von einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft“, auch um die SPÖ für neue Wählerschichten attraktiv zu machen. Wohin Faymann das Land führen will, ist auch nach fast sechs Kanzlerjahren nicht klar.

5 Die Faymann-SPÖ verliert an Einfluss in den Bundesländern.

In der Ära Faymann hat die SPÖ nur bei zwei Wahlen – 2013 in Kärnten und bei der EU-Wahl im heurigen Frühjahr – dazugewonnen. Die Folge war ein Machtverlust in den Bundesländern. Es gibt zwar nach wie vor vier sozialdemokratische Landeshauptleute, die Grünen sind aber mittlerweile in mehr Landeskoalitionen vertreten.

Besonders schwierig ist die Situation im Westen. In Vorarlberg ist die SPÖ seit der Wahl im September nur noch einstellig. Mitte der Siebzigerjahre, unter Kreisky, kam sie dort noch auf beinahe 30 Prozent.

(c) Die Presse

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2014)

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