Rundruf: Ökonomen enttäuscht über zu kleine Reform

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Ob zu einnahmenseitig, zu wenig ambitioniert oder auch zu wenig umverteilend: Die Wirtschaftsforscher sind über die Konzepte von SPÖ und ÖVP nicht erfreut.

Wien. Die Steuerreformkonzepte liegen auf dem Tisch, die Enttäuschung folgt auf dem Fuß – jedenfalls unter den österreichischen Wirtschaftsforschern. Ein Rundruf der „Presse“ zeigt: Die Ökonomen aus den großen Instituten und Thinktanks finden viele Haare in einer Suppe, die den einen zu heiß und den anderen zu lauwarm geraten ist.

Christian Keuschnigg muss sich einen Tag vor seinem medialen Abschied als IHS-Chef kein Blatt mehr vor den Mund nehmen. Immerhin: Den Ansatz, untere und mittlere Einkommen zu entlasten, findet er richtig. Aber die Gegenfinanzierung entscheide, „was netto herauskommt“. Und da hat der Noch-Institutsleiter große Zweifel, denn „es ist alles sehr knapp kalkuliert“. Wichtiges sei man nicht angegangen: den intransparenten Fremdkörper des 13. und 14. Monatsgehalts, das „oben mehr begünstigt als unten“. Die Kalte Progression bleibt, „was heißt: wir brauchen in vier Jahren wieder eine Reform“. Vor allem aber hätte die Regierung mehr Ausnahmen streichen müssen, für ein einfaches System mit klaren Verteilungswirkungen. Durch Mitnahmeeffekte seien Begünstigungen wie die Pendlerpauschale viel zu teuer erkauft.

Franz Schellhorn von der Agenda Austria beobachtet das Machtspiel der Parteien: „Ich finde es interessant, dass sich SPÖ und ÖVP nicht auf ein Konzept einigen können.“ Deshalb werde wohl die nächsten Monate über die Substanzbesteuerung diskutiert – „das hat die SPÖ taktisch gut hingekriegt“. Eine echte Reform müsse bei der Frage ansetzen, welche Ausgaben gekürzt werden können, um mit den so frei werdenden Mitteln die Steuerzahler zu entlasten. Dieses Ziel sei fast „völlig untergegangen“. Nur im Konzept der ÖVP sieht Schellhorn zarte Pflänzchen: die „dringend notwendige“ Pensionsautomatik und den Versuch, die Ausgabendynamik bei den Ländern und Gemeinden einzubremsen. Im Grunde aber ginge es bei beiden Konzepten um das Falsche: „Wie schließt man die Einnahmen-Lücken einer nicht erfolgten Reform? – typisch österreichisch!“

Für den Wirtschaftsforscher Stephan Schulmeister steht die Reform im kleinen Österreich im großen Kontext einer Krise keynesianischer Prägung: „Wir haben eine Depression in Europa.“ Auch wenn die Forderung der Gewerkschaften nach weniger Lohnsteuer berechtigt sei: Entlastungen für Gehälter über 6000 Euro monatlich seien „entbehrlich“, weil Gutverdiener in solchen Krisen das Geld beiseite legen, statt es in Konsum zu stecken. „Richtiger wäre eine Reform, die Ungleichheit mildert, den Konsum stimuliert und dem Staat nicht zu viel kostet“ – denn der brauche Geld, um die Wirtschaft aus der Krise zu holen. Stattdessen raube er sich nun den Handlungsspielraum.

Schulmeister plädiert für eine „moderate“ Vermögenssteuer, die nicht erst ab einer Million Nettoeinkommen ansetzt – „das ist kindisch“. Aber dafür müsse man den Staat erst einmal als „gemeinschaftlichen Verein“ sehen und nicht als „Leviathan, der uns das Geld aus der Tasche zieht“.

Zu guter Letzt noch Ulrich Schuh von Eco Austria. Der wissenschaftliche Leiter des IV-nahen Instituts gibt beiden Parteien schlechte Noten, aber aus unterschiedlichen Gründen. Die SPÖ sei zwar konkreter in ihren Vorschlägen zur Gegenfinanzierung. Aber die halbe Milliarde bei der Erbschaftssteuer sei zu hoch gegriffen. Und die Millionärssteuer wäre ein „Vernichtungsschlag für die Privatstiftungen“ und hoch problematisch bei der Übertragung von Unternehmen.

Die ÖVP wiederum sei bei der Gegenfinanzierung „zu unkonkret“ und „wenig überzeugend“. Die Milliarde aus der Bekämpfung von Steuerbetrug sei in beiden Konzepten „utopisch“. Bei der ÖVP kämen die vagen Streichungen bei Ausnahmen und Förderungen dazu. Dabei habe sich ja schon bei den reduzierten Mehrwertsteuersätzen gezeigt: „Sobald so etwas konkret wird, ist der Volksaufstand da“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.12.2014)

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