Volksbefragungspläne: „Die Bürger sind nicht die Depperln“

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Parlament Wien(c) FABRY Clemens
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Im Parlament startet die Enquete zur Bürgerbeteiligung. Den geladenen Experten Öhlinger und Pichler gehen die Volksbefragungspläne zu wenig weit. Werden Ausschüsse öffentlich?

Wien. 2013 schien schon alles klar. Dann passierte vor der Nationalratswahl doch nichts mehr, und es wurde ruhig zum Thema Demokratiereform. Ab heute, Donnerstag, soll das wieder anders werden. Im Parlament startet eine Enquete unter Einbeziehung von Politikern, Experten und Bürgervertretern. Die wichtigsten Themen:

1. Inwieweit sollen Bürger Gesetze erzwingen können?

Der Plan von 2013 sieht vor, dass erfolgreiche Volksbegehren einer (nicht bindenden) Volksbefragung unterzogen werden müssen, wenn das Parlament den Forderungen nicht nachkommt. Auf diesen Kompromiss hatten sich SPÖ, ÖVP und Grüne (die wie andere Oppositionsparteien gern noch mehr direkte Demokratie gehabt hätten) geeinigt. Die Befragung soll es dann geben, wenn die Initiative von mehr als zehn Prozent der Wahlberechtigten bei einfachen Gesetzen bzw. von mehr als 15Prozent bei Verfassungsgesetzen unterstützt wird. Unzulässig soll eine Befragung über Forderungen sein, die gegen EU-Recht, Völkerrecht oder Grund- und Freiheitsrechte verstoßen.

2. Warum könnten die bisherigen Pläne zu kurz greifen?

Sechs Experten werden heute in der Enquete diesen Plan analysieren, mit zwei davon sprach „Die Presse“ vorab: So wird sich Verfassungsjurist Theo Öhlinger gegen thematische Beschränkungen für Volksabstimmungen wenden. „Es lässt sich nämlich nicht genau definieren, wo dann die Grenzen liegen“, meint Öhlinger. Er will, dass über alles eine Volksbefragung erzwungen werden kann. Denn am Ende läge es ohnedies noch am Parlament, ob die Initiative in ein Gesetz mündet. Es brauche auch eine solche rationale „Bremse“ meint der Jurist.

Einen Automatismus, dass ein Plebiszit direkt zu einem Gesetz führt, will Öhlinger daher auch nicht. Er befürworte in Grundzügen den bisherigen Plan zur Reform. Zu viele Volksbefragungen seien ohnedies nicht zu befürchten: Allein, dass es die Möglichkeit gebe, Volksbefragungen zu erzwingen, würde für einen besseren Diskurs zwischen Bürger und Politik sorgen.

Johannes W. Pichler, Jus-Professor an der Uni Graz, will noch weiter gehen, wie er heute im Parlament sagen wird. Nicht bloß eine Volksbefragung, sondern eine bindende Volksabstimmung solle erzwungen werden können. Das Volk sei der Souverän, und vor dem dürfe man keine Angst haben, betont Pichler. „Die Bürger sind ja nicht die Depperln vom Dienst, die haben sehr wohl eine Ahnung.“ Man könne nicht sagen, die Leute seien nicht fähig für die direkte Demokratie, aber „das Kreuzerl“ bei der richtigen Partei traue man ihnen zu. Gerichte könnten immer noch ein Gesetz für illegal erklären, wenn es etwa tatsächlich gegen die Menschenrechte verstößt, meint Pichler.

Der bisherige Plan zur Demokratiereform ist für den Juristen ein „Flickschustern“, man brauche eine „ganz neue Architektur der Mitbestimmung“, etwa mit Bürgerräten.

3. Welche Bedenken gibt es gegen verpflichtende Plebiszite?

Von andernorts kommt freilich die Befürchtung, dass schon erzwungene Volksbefragungen zu weit gehen können. So stellte Bundespräsident Heinz Fischer schon 2013 „die unmittelbare Verknüpfung von Volksbegehren und Volksbefragung“ infrage. „Nicht alles, was gut gemeint ist, ist auch wirklich gut“, sagte er. In den letzten 200 Jahren seien die Grenzen der direkten Demokratie und die Vorteile der parlamentarischen Demokratie immer deutlicher geworden. Auch Clemens Jabloner, früherer Präsident des Verwaltungsgerichtshofs, warnte vor der Novelle: Er fürchte „die Macht der Demagogen“, die mit Volksbefragungen Druck ausüben könnten.

4. Welche Reformen könnte die Enquete noch bringen?

Die Neos fordern, dass parlamentarische Ausschüsse öffentlich werden und über Oppositionsanträge abgestimmt werden muss, ohne sie im Ausschuss dauerhaft zu vertagen. Das Team Stronach will niedrigere Hürden für eine Volksbefragung. Die Grünen betonten, dass die Enquete nicht nötig gewesen wäre, weil die Demokratiereform schon vor der Nationalratswahl 2013 hätte beschlossen werden können. Die ÖVP hofft, dass die Reform vor allem „die Jugend für Demokratie begeistern“ kann.

Die SPÖ wird mit Nationalratspräsidentin Doris Bures den Vorsitz über die Enquete übernehmen: Es gehe nicht darum, repräsentative Demokratie und direkte Demokratie gegeneinander auszuspielen, sondern sie sinnvoll zu kombinieren, erklärte Bures. Die Enquete soll sieben Sitzungen umfassen und bis 2.Juni 2015 dauern.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.12.2014)

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