Simone Farina: Der blonde Engel mit der frohen Kunde

(c) REUTERS (PHIL NOBLE)
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Ein schlichtes Nein verwandelte den italienischen Durchschnittsspieler Simone Farina in einen gefeierten Helden. Als Beispiel für Integrität kämpft der frühere Profi-Fußballer heute unermüdlich für den sauberen Sport.

Ist der Aufbau moralischer Integrität im italienischen Fußball Utopie? Simone Farina muss schmunzeln, wenn er mit dieser Frage konfrontiert wird. Der 32-Jährige ist guter Dinge. Gerade eben, zwei Tage vor Weihnachten, ist der frühere italienische Fußballprofi zum dritten Mal Vater geworden. Cristiano, der dreieinhalb Kilo schwere Neuzugang im Familienbund, und Scilla, die Mutter, sind wohlauf. Der Jungfamilie geht es prächtig, beruflich wie privat.

Die Farinas haben ein neues Zuhause in einem Vorort von Birmingham, der zweitgrößten Stadt Englands, gefunden. Seit zwei Jahren wohnen sie inmitten von stimmungsvollen Backsteinbauten im Grünen. Francesco, sieben Jahre, und Mia Sole, sechs Jahre, Simones ältere Kinder, wachsen bilingual auf. In der Schule sprechen sie Englisch und Italienisch. Simones Frau kümmert sich um das traute Heim.

Er selbst arbeitet als Community Coach. Der ehemalige Nachwuchsspieler von AS Roma agiert als Jugendausbilder für Fünf- bis Zwölfjährige. Im Auftrag des Premier-League-Klubs Aston Villa besucht Farina Schulen im Norden der Grafschaft Warwickshire und versucht den Kids die wesentlichen Werte, die den Fußball und das Leben ausmachen, spielerisch zu vermitteln. Als Beispiel für Integrität kämpft er heute gegen die Manipulation von Fußballspielen und für einen sauberen Sport. Für diese hehren Ideale setzt er sich auch bei den Erwachsenen ein.

Im Auftrag von Interpol und dem Weltverband Fifa bereist er als Fair-Play-Botschafter die Welt. Er hält Vorträge und erzählt seine Geschichte. Seine Botschaft ist simpel: Ich habe Match-Fixern eine Absage erteilt. Die gute Nachricht lautet: Was ich kann, kannst du auch. Und: Anstand macht sich bezahlt. „Wir müssen stolz auf Simone sein. Er hat nicht nur seine Würde, sondern die Würde von uns allen verteidigt. Er repräsentiert das, wofür wir kämpfen – den ehrlichen Sport.“ Mit diesen Worten hatte Joseph Blatter Farina im Jänner 2012 bei der Fifa-Gala in Zürich für seinen Mut ausgezeichnet. Cesare Prandelli, der damalige italienische Nationaltrainer, setzte eins drauf. Aus Solidarität lud er Farina zum Trainingslager nach Coverciano ein.

Über Nacht war der einstige Durchschnittskicker im Fußball-Olymp. Seitdem ist Farina eine große Nummer. Lionel Messi und Wayne Rooney posieren auf Fotos mit ihm. Das Internationale Olympische Komitee hat Farina als Role Model, als Vorbild, zu den Jugendspielen ins chinesische Nanjing entsandt. Wikipedia führt mittlerweile Einträge auf Russisch und Arabisch zu seiner Person.

200.000 Euro abgelehnt

Es ist nicht nur Freundlichkeit, wenn sich Menschen im Villa-Park-Stadion erheben, sobald Farina als Gast aufkreuzt. Allerorts begegnet man ihm mit Respekt und Anerkennung. Dem war aber nicht immer so.

Zu Weihnachten vor drei Jahren war Farina die Situation in Gubbio, einer 30.000-Einwohner-Gemeinde in Umbrien, so unheimlich geworden, dass er sich nicht mehr vor die Tür traute. „Ich war verunsichert und um meine Familie besorgt. Ich wusste nicht mehr, wem ich trauen konnte“, erinnert sich Farina an die wohl schwärzeste Zeit seines Lebens.

Farina war 2011 als Linksverteidiger beim Serie-B-Klub AS Gubbio unter Vertrag. Im Herbst hatte er sich geweigert, ein Spiel absichtlich zu verlieren. Gubbio hätte im Pokal in Cesena mit drei Toren Unterschied verlieren sollen. 200.000 Euro, das Fünffache von Farinas damaligem Bruttojahresgehalt, bot Alessandro Zamperini, ein ehemaliger Teamkollege, im Auftrag eines indonesischen Wettsyndikats für das schmutzige Geschäft. Doch das Treffen war schnell wieder beendet. „Ich habe schlicht und einfach Nein gesagt“, erzählt Farina. Es war ein klares Nein – mit Folgen.

Wenngleich ihm der Kontaktmann deutlich zu verstehen gab, von dem Treffen tunlichst niemandem zu erzählen, wandte sich Farina an den italienischen Verband, der die Polizei informierte. Mit der Anzeige bei der Staatsanwaltschaft brachte Farina die Ermittlungen ins Rollen. 17 Personen wurden verhaftet, unter anderem Cristiano Doni, der Kapitän des Erstligisten Atalanta Bergamo.

Serie A als Wettspielplatz

Getürkte Fußballspiele haben in Italien Tradition. 1979 war Paolo Rossi, Weltmeister von 1982 und mit sechs Treffern WM-Torschützenkönig, in den Totonero-Skandal um die geschobene Partie zwischen Perugia und Avellino verwickelt. 2006 erschütterte der Calciopoli-Skandal, bei dem Ex-Juventus-Manager Luciano Moggi Schiedsrichterbestechung nachgewiesen worden war, das ganze Land. Fußballwetten sind ein gigantischer Wachstumsmarkt, es geht um Milliarden. Auffallend oft enden Spiele zu Saisonende in Richtung des gewünschten Wettausgangs. Nicht nur in der Serie A. Asien ist der Hauptumsatzmarkt.

Verbände und Vereine allein stehen diesem Kampf bisweilen hilflos gegenüber. Das von der Fifa eingeführte Early-Warning-System reicht nicht aus, um der Problematik Herr zu werden. Das Thema ist umfangreich und komplex. Derart komplex, dass der Weltverband 2011 ein Zehnjahresprogramm mit Interpol, der größten Polizeiorganisation weltweit, verabschiedet hat. Das IOC hat sich dem angeschlossen. Hauptaugenmerk liegt auf der Prävention. Ziel ist es, die Akteure auf die Gefahr der Spielmanipulation aufmerksam zu machen und zu sensibilisieren.

Es bleibt eine Herausforderung, den illegalen Geschäftemachern das Handwerk zu legen. Es ist fast nur durch Geständnisse oder Kronzeugen möglich. Doch die Angst vor Repressalien ist groß. Immer wieder wurde berichtet, wie unbestechliche Spieler ausgeschaltet werden. Mit körperlicher Gewalt, auch von Gift war die Rede.

Kein Wunder, dass sich Farina in seiner Haut unwohl gefühlt hat. Er war auf sich allein gestellt und stets auf der Hut. Ans Handy ging er nur, wenn er die Nummer kannte. Jede noch so leichte Berührung mit der Außenwelt war von einem mulmigen Gefühl begleitet. Und das, nur weil er etwas seiner Ansicht nach „Normales“ getan hat. „Ich habe nach meinem Gewissen gehandelt, damit ich mich in den Spiegel schauen kann. Ich bin kein Held“, sagt er bescheiden.

Der Fall samt Wiederaufstieg

Farina stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater betrieb einen Zeitungskiosk in Rom. Als Bub wollte er für Schlagzeilen auf dem Platz sorgen, begann bei AS Roma zu kicken. Mit Francesco Totti und Daniele De Rossi, den ewigen Helden der ewigen Stadt. Mit beiden ist er heute noch befreundet. Farina war kein schlechter Spieler. Anfangs galt der 1,82 Meter große Verteidiger als Talent. Mit der Unter-15 spielte er sogar zweimal für Italien. Für den großen Sprung reichte es aber nicht. Die meiste Zeit seiner Karriere verbrachte Farina in der zweiten und dritten Liga. Die Serie A blieb ein Traum.

Nach der Anzeige ging es steil bergab. Vom Verein fühlte sich Farina im Stich gelassen, er war nur noch Ersatz. Gubbio stieg in die dritte Liga ab, Farina musste gehen. Aber den gefeierten Helden wollte keiner mehr engagieren. Farina wusste nicht mehr weiter. Im Sommer 2012 wollte er sich arbeitslos melden, als das Telefon läutete. Interpol-Generalsekretär Ron Noble, ein Bekannter des Aston-Villa-Eigentümers Randy Lerner, bot ihm zwei Jobs an. Jugendtrainer bei Aston Villa und Botschafter für Interpol. „Simone ist ein feiner Kerl“, bestätigt Noble. „Er hat in einer Ausnahmesituation Mut und Integrität bewiesen. Das gehört wertgeschätzt.“

Farina steht für die Restmoral im italienischen Fußball. Doch nicht jede couragierte Tat schafft es automatisch auf die Titelseiten. Von Fabio Pisacane beispielsweise hat die Welt kaum Notiz genommen. Dabei war der 28-jährige Verteidiger aus der Hafenstadt Neapel der Erste, der in Italien der Versuchung widerstanden hat. Pisacane ist im spanischen Viertel von Neapel groß geworden. Das Viertel ist für seine hohe Kriminalitätsrate bekannt. Im April 2011, wenige Monate vor Bekanntwerden des Wettskandals, zeigte Pisacane, der anno dazumal sein Geld beim Drittligisten Lumezzane verdiente, einen Manipulationsversuch an. „Neapel ist immer nur auf den Titelseiten, wenn es um Mord oder Müllberge geht“, sagt Pisacane. „Ich wollte allen aus meinem Viertel zeigen, dass man auch den geraden Weg gehen kann.“

Sport ist Hoffnungsträger und Milliardengeschäft zugleich. Er hat vielen Facetten. Eine besonders romantische Ansicht ist jene, dass der Sport die Welt besser macht. Das ist das, was Eltern ihren Kindern erzählen. Doch die idealisierte Vorstellung entspricht nicht immer der Realität. Der Sport ist ein Spiegelbild der Gesellschaft. Diese funktioniert tendenziell nach dem darwinistischen Prinzip.

In einer Welt, in der es an Führungspersönlichkeiten mangelt, ist Farina zum Leader einer neuen Disziplin geworden. Der 32-Jährige verkörpert das Gute im Sport. Deshalb jettet er jetzt unermüdlich durch die Weltgeschichte. In der Antikorruptionsakademie in Laxenburg stand er in Anzug und Krawatte vor Funktionären aus aller Welt. Mit Flipchart und Filzstift erklärte er, was richtig und was falsch ist. Immer wieder appellierte Farina, Werte wie Integrität und Ehre hochzuhalten. „Ich weiß, wie hart ihr gearbeitet habt, um dorthin zu kommen, wo ihr jetzt seid. Setzt das nicht aufs Spiel“, rief er in den Saal. Egal, ob er zu Waisenkindern in Lesotho im südlichen Afrika oder zu Investmentbankern in Singapur spricht, die Kunde ist dieselbe: Seid stark – sagt Nein.

Die Geschichte des blonden, sympathischen Farina ist fast zu kitschig, um wahr zu sein. „Nein!“, widerspricht er, „es gibt das Gute im Menschen.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.12.2014)

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